Satellitenbild von Sewastopol mit brennenden Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte
AP/Planet Labs PBC
Angriffe auf Krim

Kiews doppeltes strategisches Ziel

Die Ukraine hat nach eigenen Angaben den Admiral der russischen Schwarzmeer-Flotte und Dutzende weitere Offiziere mit dem Raketenangriff auf Sewastopol letzte Woche getötet. Moskau schwieg tagelang, nun zeigt es ein Video, das Admiral Viktor Sokolow lebend zeigen soll. Unabhängig von Sokolows Schicksal ist klar: Kiew hat die Angriffe auf die Krim stark intensiviert. Dabei hat sie aber weniger die Halbinsel selbst im Blick, vielmehr zwei strategische Ziele.

Bereits mit Anfang Sommer erhöhte die Ukraine die Zahl der Angriffe gegen russische Militärziele auf der Krim stark. Mit einer Mischung aus Luft- und Wasserdrohnen sowie Marschflugkörpern griff Kiew Stützpunkte der russischen Luftstreitkräfte und der Marine sowie Kommandozentralen an.

Am 13. September war im Hafen von Sewastopol ein Landungsfahrzeug und eines von insgesamt sechs Kilo-Klasse-U-Booten, die Marschflugkörper nahe der ukrainischen Küste abfeuern können, getroffen worden. Am nächsten Tag wurde ein hochmodernes S-400-Luftabwehrsystem im Wert von rund einer Milliarde Dollar zerstört. Am Freitag dann der Luftschlag auf das Hauptquartier der Schwarzmeer-Flotte. Dabei kamen laut Kiews Angaben der Admiral Sokolow und 34 weitere Offiziere ums Leben. Am nächsten Tag folgten weitere Raketen- und Drohnenangriffe auf den Hafen von Sewastopol.

Moskau zeigt Bilder von Sokolow

Nach tagelangem Schweigen zeigte Moskau am Dienstag Aufnahmen vom Chef der Schwarzmeer-Flotte, die diesen lebend zeigen sollen. Mehrere vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichte Fotos und ein Video sollen zeigen, wie Sokolow an einer von Verteidigungsminister Sergej Schoigu geleiteten Sitzung teilnimmt. Zu sehen ist er allerdings lediglich als angeblich online zugeschalteter Teilnehmer auf einer schräg hinter Schoigu angebrachten Leinwand.

Auffällig ist, dass Sokolow in der kurzen Sequenz völlig starr wirkt. Auch dass die Bilder wirklich am Dienstag aufgenommen wurden, ließ sich nicht unabhängig überprüfen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte Fragen zum Tod Sokolows derweil nicht kommentieren. Er habe dazu keine Information, das sei der Aufgabenbereich des Verteidigungsministeriums, sagte er lediglich. Kiew kündigte seinerseits an, die eigenen Informationen über den angeblichen Tod Sokolows nochmals prüfen zu wollen.

„Langsam und methodisch“

„Langsam und methodisch verringert die Ukraine Schritt für Schritt die russische Kampffähigkeit auf der Krim“, so das britische Magazin „Economist“. Die Angriffe seien dabei kein Zweck für sich, so das Magazin unter Berufung auf ukrainische Militärs. Es seien vielmehr taktische Maßnahmen, um zwei wichtige strategische Ziele zu unterstützen.

Es gehe einerseits darum, so indirekt die ukrainische Gegenoffensive in der Region von Saporischschja nordöstlich der Krim zu unterstützen. Denn die dort stationierten russischen Truppen werden direkt von der Halbinsel aus logistisch versorgt. Dieser Nachschub soll mit den Luftschlägen auf der Krim möglichst stark beeinträchtigt werden. Und militärische Erfolge sind für Kiew gerade wegen der sich viel langsamer als erwartet entwickelnden Gegenoffensive auch psychologisch wichtig.

Kiew: Russischer Kommandeur getötet

Bei ihrem Angriff auf die Krim am Freitag hat die ukrainische Armee nach eigenen Angaben den Kommandeur der russischen Schwarzmeer-Flotte, Viktor Sokolow, getötet.

Abschreckung auf hoher See

Das zweite übergeordnete Ziel der Angriffe sei der Kampf um den Meereszugang. Kiew versuche zu verhindern, dass Moskau die alleinige Kontrolle über das nördliche Schwarze Meer hat, um so das Offenhalten von Schiffsrouten zu gewährleisten. Denn die Wirtschaft der Ukraine ist abhängig von den Seerouten. Die russische Marine wird daher so weit wie möglich von der ukrainischen Küste ferngehalten. Der Anfang dieser Strategie war das Versenken der „Moskwa“ wenige Wochen nach der russischen Invasion.

Insgesamt gelang es der Ukraine laut „Economist“, 19 russische Schiffe zu versenken oder zu beschädigen. Es ist vor allem eine Abschreckungsmaßnahme: Kiew signalisiert Moskau damit, dass es bei Angriffen auf Handelsschiffe mit Vergeltungsschlägen zu rechnen hat.

Für die Luftschläge werden derzeit vor allem relativ weitreichende britische und französische Storm-Shadow-Raketen eingesetzt. Wenn die USA tatsächlich ATACMS-Raketen liefern sollten, könnte das Russland zu einer weiteren Verlegung von Kommandozentren und Gerät von der Krim weg an die russische Schwarzmeer-Küste zwingen.

Analyst: Weit von Moskaus Schmerzgrenze

Der Bestand der für solche Angriffe benötigten Raketen ist allerdings stark eingeschränkt. Und beim strategischen Ziel, die russischen Nachschublinien zu gefährden, sei die Ukraine bisher nur begrenzt erfolgreich, betonte der Militäranalyst Dmitri Kusnez (Kuznets) von der kremlkritischen, aus dem Ausland operierenden russischen Website Meduza gegenüber der „New York Times“. Die Schläge hätten noch lange nicht Moskaus Schmerzgrenze erreicht, so Kusnez.

Überraschend am jüngsten Schlag der Ukraine, so er sich bestätigt, wäre laut „New York Times“ nicht nur die damit demonstrierte militärische Kapazität, sondern vor allem auch, dass Kiew die detaillierten Informationen über das hochrangige Treffen erhielt – und offenbar auch danach an Informationen über die Identität der Opfer und den angerichteten Schaden gelangte. Das dürfte auf der russischen Seite einige Fragen aufwerfen.

Bei dem Angriff am Freitag verwendete laut „New York Times“ die ukrainische Armee eine Kombination aus Marschflugkörpern und explodierenden Drohnen, um die russische Luftabwehr zu
überwältigen. Die russische Nachrichtenagentur TASS zeigte ein Bild, in dem Teile des Gebäudes eingestürzt sind.