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ORF/Viviane Koth
IEA zu 1,5-Grad-Ziel

Am seidenen Faden, aber noch erreichbar

Die weltweiten Klimaziele sind nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) noch immer in Reichweite. Das sei dem erstaunlichen Rekordwachstum bei Solarenergie und Elektromobilität zu verdanken, hieß es am Dienstag. Doch für einen Erfolg müsse man die Anstrengungen noch beschleunigen.

Klimaforscherinnen und -forschern zufolge hängt das Ziel, die Erderhitzung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, am seidenen Faden. Zwar gilt es als noch theoretisch möglich, allerdings nur durch ein radikales Umsteuern in der Klimapolitik. Auch die IEA sieht das so, wie eine am Dienstag vorgestellte Analyse zeigt: Der Weg zum 1,5-Grad-Ziel „hat sich in den letzten zwei Jahren verengt, aber saubere Energietechnologien halten ihn offen“, so IEA-Chef Fatih Birol.

Die Agentur rief die reicheren Länder dazu auf, das Ziel auf 2045 vorzuziehen, China solle das Ziel auf 2050 vorziehen. Damit wäre die Zielmarke für die meisten Industrieländer um fünf Jahre nach vorne versetzt und für China um zehn Jahre. Die Welt habe bereits zu lange gezögert, „um harte Entscheidungen zu vermeiden“, so die IEA.

Der Agentur zufolge erbringen saubere Energietechnologien zusammengenommen voraussichtlich ein Drittel der bis 2030 erforderlichen Emissionsreduzierungen. Der Energiesektor „verändert sich schneller, als viele Menschen glauben“, erklärte die IEA weiter. Es bleibe aber viel zu tun, und die Zeit dränge.

CO2-freie Energieerzeugung bis 2050

Auch gebe es noch die Möglichkeit, dass die weltweite Energieerzeugung bis 2050 CO2-neutral wird. Allerdings sei auch dieser Weg schwieriger geworden als vor zwei Jahren, die Anstrengungen müssten verstärkt werden. Trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energiequellen erreichten die Treibhausgasemissionen des Energiesektors 2022 ein Rekordniveau.

Die Erholung der Wirtschaft von der Coronavirus-Krise und der Angriff Russlands auf die Ukraine ließen die Nutzung von fossilen Energieträgern wieder steigen, so die IEA. Investitionen in fossile Energieträger nahmen zu und die weltweiten CO2-Emissionen der Energiewirtschaft stiegen auf den Rekordwert von 37 Mrd. Tonnen (Gigatonnen) CO2. Das ist ein Prozent mehr als vor der Pandemie.

Die IEA geht davon aus, dass der Verbrauch von Kohle, Öl und Gas in den 2020er Jahren seinen Höhepunkt erreicht, auch wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden. „Das ist ermutigend, aber bei Weitem nicht genug, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten“, heißt es in dem Bericht.

Klima vs. Geopolitik

„Um das Ziel der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad zu erreichen, muss die Welt schnell zusammenkommen. Die gute Nachricht ist, dass wir wissen, was wir tun müssen – und wie wir es tun können“, sagte Birol. „Aber wir haben auch eine sehr klare Botschaft: Eine starke internationale Zusammenarbeit ist entscheidend für den Erfolg.“ Die Regierungen müssten angesichts des Ausmaßes der anstehenden Herausforderung das Klima von der Geopolitik trennen.

Die Veröffentlichung des IEA-Berichts erfolgt einige Wochen vor der nächsten Weltklimakonferenz im Dezember in Dubai (COP28). Es handelt sich um eine aktualisierte Version des Fahrplans der Agentur zur CO2-Neutralität, in dem die IEA im Jahr 2021 die Welt zum sofortigen Verzicht von neuen Öl-, Gas- und Kohleprojekten aufforderte.

Heute sieht die IEA zwar Fortschritte im Ausbau der erneuerbaren Energiequellen. Aber sie warnte vor den negativen Auswirkungen gestiegener Investitionen in fossile Brennstoffe und „hartnäckig hohen Emissionen“ im selben Zeitraum.

Abkehr von bestehenden fossilen Optionen

Der Bericht fordert nun einen „massiven, von der Politik angetriebenen Ausbau der Kapazität von erneuerbaren Energien“, um die Nachfrage an fossilen Brennstoffen bis 2030 um 25 Prozent zu senken. Auch wird davor gewarnt, dass die Welt bei einer Weiternutzung der bisherigen Öl- und Gasfelder und Kohlekraftwerke bis zum Ende deren Lebensdauer wesentlich über das CO2-Budget hinausschießen würde, das ihr bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zur Verfügung stünde.

Grafik zur Prognose der CO2-freien Energieversorgung
Grafik: APA/ORF; Quelle: IEA

Das 2015 geschlossene Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, möglichst aber auf 1,5 Grad zu begrenzen. Sie steuert aber nach UNO-Angaben mit der aktuellen Politik eher auf plus 2,8 Grad zum Ende des Jahrhunderts zu. Das Klima hat sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts bereits um fast 1,2 Grad Celsius erwärmt, was die Intensität, Häufigkeit und Dauer von Hitzewellen, Dürren und Stürmen erhöhte.

In einer kürzlich veröffentlichten Bilanz warnte die UNO, dass die Welt nicht auf dem richtigen Weg sei, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Demzufolge sei der Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen notwendig, deren Emissionen nicht aufgefangen oder kompensiert werden können, um bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen.

Gegen Technologien zur Kompensation

Die IEA stellte sich nun hinter die Kritiker von Technologien zum Auffangen von Kohlendioxidemissionen. Eine Verzögerung der Klimaschutzmaßnahmen würde die Welt dazu zwingen, sich auf die „teuren und nicht im großen Maßstab erprobten“ Technologien zu verlassen, hieß es. Wenn diese Technologien dann aber nicht im erforderlichen Umfang funktionierten, wäre die Rückkehr zu einer Erderwärmung von 1,5 Grad „nicht möglich“.

Klimakonferenz unter Beobachtung

Die Zukunft von fossilen Energien dürfte bei der Weltklimakonferenz in Dubai für bittere Debatten sorgen. „Das Zeitalter der fossilen Brennstoffe geht zu Ende“, sagte Laurence Tubiana, Geschäftsführerin der European Climate Foundation und eine der Architektinnen des Pariser Klimaabkommens. „In Dubai wird die COP-Präsidentschaft zeigen müssen, wie eine Führung nach dem Ende der fossilen Brennstoffe aussieht.“ Der Leiter der diesjährigen COP ist umstritten: Sultan Ahmed Al Dschaber ist auch Chef der staatlichen Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (ADNOC).