Pflegerin in einem Altersheim
ORF.at/Zita Klimek
Weibliche Pflegekräfte

Schwieriger Weg nach oben

Die Mehrzahl der Beschäftigten im Pflege- und Betreuungsbereich ist weiblich. Der Weg in eine Führungsposition bleibt ihnen allerdings oftmals verwehrt. Die Doppelbelastung durch Familie und Beruf ist ein gewichtiger, aber nicht der einzige Grund. Die Wissenschaftlerin Sabine Ludwig rät Frauen, ihre Kompetenzen nicht zu unterschätzen, sich für Führungspositionen zu bewerben – und keine Angst vor der Zuschreibung „Quotenfrau“ zu haben.

Der Anteil der weiblichen Beschäftigten im stationären Pflegebereich wie Spitälern und Altersheimen liegt in Österreich bei 84 Prozent. In der mobilen Pflege und Betreuung sind es sogar 91 Prozent. Im Vergleich zur Führungsetage tut sich eine Lücke auf, zeigt eine Untersuchung des Karl Landsteiner Instituts für Human Factors & Human Resources im Gesundheitswesen (KLI) aus dem November 2020.

Analysiert wurden Daten aus 233 Krankenanstalten. In den überprüften Pflegedirektionen waren immerhin noch 71 Prozent der Stellen von Frauen besetzt. „Besonders gering“ war der Frauenanteil in leitenden Positionen laut KLI dagegen in Rehazentren und -kliniken (64 Prozent), Sonderkrankenanstalten (60 Prozent) sowie Therapiezentren (50 Prozent).

Runder Tisch zu Reformen im Gesundheitssystem

Das Gesundheits- und Pflegesystem in Österreich kostet viel Geld, dennoch steigt die Unzufriedenheit damit. Angesichts von Personalmangel, Wartezeiten und Kompetenzgerangel – welche politischen Maßnahmen sind notwendig, um die Situation zu verbessern? Darüber diskutierten bei Claudia Dannhauser am runden Tisch die Gesundheitssprecherin und Gesundheitssprecher der Parlamentsparteien.

„Karrierekiller“ Teilzeitarbeit

Die Gründe für die Diskrepanz ähneln jenen in anderen Branchen. Ganz oben auf der Liste steht die Teilzeitarbeit. In Oberösterreich arbeiten 72,6 Prozent der Pflegekräfte Teilzeit, geht aus einer Anfang August von der Landesregierung veröffentlichten Erhebung hervor. Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) nahm die Teilzeitquote im Pflege- und Betreuungsbereich 2019 unter die Lupe. Damals betrug der Teilzeitanteil 57 Prozent.

„Wir sehen weiterhin – wie auch in anderen Berufen –, dass Teilzeitarbeit ein Karrierekiller ist“, sagt Ludwig, Professorin für Diversität in der Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck, gegenüber ORF.at.

Fehlende Vereinbarkeit

Hinter der hohen Teilzeitquote stehen wiederum weitere Hürden, mit denen Frauen im Laufe ihres Berufslebens konfrontiert sind, allen voran die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Job. Besonders im ländlichen Raum fehlen breitflächige Kinderbetreuungsangebote. Die Zeit, die Frauen für die Kinderbetreuung, emotionale und Erziehungsarbeit sowie Hausarbeit aufwenden, fehlt ihnen für den Aufbau von Netzwerken – ein weiteres Karrierehemmnis.

Pflegekraft in einem Krankenhaus
ORF.at/Birgit Hajek
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert weiblichen Pflegekräften den beruflichen Aufstieg

Hinzu kommen Normen in der Gesellschaft und im Arbeitsleben. In Skandinavien etwa werde es im Berufsleben eher akzeptiert, wenn eine weibliche Führungskraft am Nachmittag keine Sitzungen ansetzt, weil sie ihr Kind aus dem Kindergarten abholen muss, sagt Ludwig, „da sind wir noch nicht so weit wie die nordeuropäischen Staaten“.

Unterschätzte Kompetenzen

Die Tätigkeit in der Pflege geht mit hoher Verantwortung einher. Arbeitskräfte müssen täglich weitreichende Entscheidungen treffen. Der Schritt in eine höhere Ebene wird Frauen dennoch oft nicht zugetraut. „Die mit einer Führungsrolle und der traditionellen Geschlechterrolle der Frau verbundenen Eigenschaften und Erwartungen stimmen nicht überein“, sagt Ludwig.

Frauen neigten auch dazu, ihre Kompetenzen zu unterschätzen, „während Männer die eigenen Fähigkeiten tendenziell überschätzen“, so Ludwig. Das halte weibliche Beschäftigte oftmals von der Bewerbung auf höhere Stellen ab.

In Studien habe sich zudem gezeigt, dass Männer von einer beruflichen Machtposition auch emotional mehr profitierten. Frauen dagegen „sind häufiger auf die inhaltliche Arbeit fokussiert und haben nicht so einen persönlichen Gewinn an der Führung von anderen Personen“, so die Forscherin.

Aufgeteilte Toppositionen und Mentoringprogramme

Beim Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen sieht Ludwig die Politik gefordert. Eine Möglichkeit für Unternehmen, Frauen verstärkt in Führungspositionen zu bringen, seien „Shared Leadership“-Modelle, sagt Ludwig. Dabei wird eine Spitzenposition auf zwei Personen aufgeteilt. Einige Kliniken in Deutschland hätten dieses Modell erfolgreich umgesetzt, so Ludwig, die vor ihrer Professur in Innsbruck lange an deutschen Universitäten lehrte.

Weiters plädiert die Forscherin für objektive Kriterien bei Beförderungen: „Wenn eine höhere Stelle ausgeschrieben ist, muss klar kommuniziert werden, was die Anforderungen sind und warum jemand den Posten erhalten hat.“ Die Politik könne hier Rahmenbedingungen vorgeben.

Neue Lösungsansätze gegen den Pflegenotstand

Pflege ist zum überwiegenden Teil weiblich. Mit der Initiative „Boys Days“ sollen junge Männer für das Berufsfeld begeistert werden.

Auf Ebene der Unternehmen können Mentoringprogramme helfen. Aufstrebenden Nachwuchstalenten wird dabei eine erfahrene Mitarbeiterin aus der Führungsebene zur Seite gestellt. Damit ließe sich auch das Problem der fehlenden Rollenvorbilder angehen, sagt Ludwig. Zudem gelte es, Netzwerke für Frauen zu etablieren. Ludwig verweist hier auf Women in Global Health Austria, das Ende September beim European Health Forum gegründet wurde. Die Initiative soll Frauen in Gesundheitsberufen helfen, ihre Führungskompetenzen zu stärken und sich untereinander besser zu vernetzen.

Keine Angst, „Quotenfrau“ zu sein

Überwiegend männliche Führungsriegen in Einrichtungen und Institutionen schrecken Frauen oftmals von der Bewerbung um eine Spitzenposition ab. Frauen hätten in solchen Situationen häufig das Gefühl, „sie steigen auf, weil sie ‚Quotenfrauen‘ sind, und nicht aufgrund ihrer Kompetenz. Frauen müssen lernen, da drüberzustehen“, sagt Ludwig. Dieses Drüberstehen sollte auch in Führungskräfteseminaren vermittelt werden, so die Wissenschaftlerin, denn: „Sobald sie in der Position sind und ihre Arbeit gut machen, ist die Quote kein Thema mehr.“