Freiwillige des Roten Kreuzes bringt ein Kleinkind von einem Flüchtlingsboot im Hafen von Neapel, Italien
IMAGO/Sipa USA/Vincenzo Izzo
Flucht über Mittelmeer

Starker Anstieg bei unbegleiteten Kindern

Ein endgültiger Durchbruch bei der EU-Asylreform ist noch immer nicht gelungen. Italien hat sich Bedenkzeit erbeten. Hier kommt der Großteil der Geflüchteten über die Mittelmeer-Route an. Am Freitag schlug das UNO-Kinderhilfswerk (UNICEF) Alarm: Die Zahl der unbegleiteten Kinder, die über das Mittelmeer flüchten, stieg in diesem Jahr bisher um 60 Prozent. Auch die Zahl der Todesfälle sei gestiegen.

11.600 Kinder kamen laut UNICEF heuer bereits über das zentrale Mittelmeer nach Italien. Im vergangenen Jahr waren 7.200 Kinder unbegleitet oder von ihren Eltern getrennt geflüchtet. Diese Angaben basieren auf Zahlen des italienischen Innenministeriums.

Einen Anstieg beobachtete die Organisation auch bei den Todesfällen. Zwischen Juni und August dieses Jahres starben oder verschwanden mindestens 990 Menschen. Auch Kinder waren unter den Toten und Vermissten. Im selben Zeitraum des Vorjahres lag die Zahl der Toten und Vermissten bei 334. Diese Zahlen stammen aus dem „Missing Migrants Project“ der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Für heuer wurden vom IOM bisher 2.700 Tote und Vermisste gemeldet.

Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch

„Das Mittelmeer ist zu einem Friedhof für Kinder und ihre Zukunft geworden“, kritisierte Regina De Dominicis, UNICEF-Regionaldirektorin und Sonderkoordinatorin für die Unterstützung von Flüchtlingen und Migranten in Europa. Das sei das Ergebnis politischer Entscheidungen und eines kaputten Migrationssystems. Sie forderte eine europaweite Antwort für die Unterstützung von Kindern und Familien.

Aufgrund fehlender koordinierter und angemessener Such- und Rettungskapazitäten und mangelnder Zusammenarbeit bei der Ausschiffung auf See seien die Gefahren von Kindern bei der Überfahrt besonders groß. Kinder würden oft besonders gefährlich in überfüllten Schlauchbooten, einige in Laderäumen von Schiffen und Lastkähnen untergebracht, klagte die UNO-Organisation. Zudem seien Kinder der Gefahr von Ausbeutung und Missbrauch besonders stark ausgesetzt.

186.000 flüchteten heuer über Mittelmeer

Erreichen die Kinder Italien, werden sie vorübergehend in ein Hotspot-Zentrum und von dort in – häufig geschlossene – Aufnahmeeinrichtungen gebracht. Dort sind derzeit mehr als 21.700 unbegleitete Kinder untergebracht; im vergangenen Jahr waren es noch 17.700.

Migranten von einem Flüchtlingsboot warten auf Betreuung durch das Rote Kreuz im Hafen von Lampedusa, Italien
APA/AFP/Alessandro Serrano
Auf Lampedusa wurde aufgrund der hohen Zahl an Flüchtlingen der Notstand ausgerufen

Der Großteil der Geflüchteten erreicht Italien. Besonders stark betroffen ist die Insel Lampedusa. Von 186.000 Menschen, die laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) seit Anfang des Jahres über das Mittelmeer kamen, wurden 130.000 allein in Italien registriert. Das entspreche einem Anstieg von 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Neben Italien würden Boote auch Griechenland, Spanien, Zypern und Malta ansteuern.

Großteil kommt via Tunesien

Mit über 100.000 starteten die meisten Flüchtenden aus Tunesien, gefolgt von Libyen mit mehr als 45.000 die Route über das Mittelmeer. Die hohen Zahlen aus Tunesien seien auch auf eine „Unsicherheit unter den Flüchtlingen nach Vorfällen rassistisch motivierter Angriffe und Hassreden“ sowie kollektiven Abschiebungen aus Libyen und Algerien zurückzuführen, hieß es von der Direktorin des UNHCR-Büros in New York, Ruven Menikdiwela. Das geschehe auch vor dem Hintergrund einer verschlechterten Sicherheitslage in mehreren Nachbarländern nordafrikanischer Staaten.

Schwierige EU-Asylreform

Die Organisationen mahnen die Regierungen zu sicheren und legalen Wegen für die Asylsuche. In der EU drängt die Zeit für den Abschluss der längst überfälligen Asylreform. Bis zur EU-Wahl im Juni kommenden Jahr soll sie abgeschlossen sein. Am Donnerstag hatte es nach einem Durchbruch ausgesehen, da Deutschland seine Blockade gegen die Krisenverordnung aufgegeben hatte. Mit diesem Instrument soll etwa ein EU-Staat unterstützt werden, wenn er plötzlich eine große Zahl von Geflüchteten bewältigen muss.

Eine Einigung scheint noch nicht gelungen zu sein. Österreich will sich nach derzeitigem Stand enthalten, Polen und Ungarn wollen dagegen stimmen, und Italien verließ das EU-Innenministertreffen am Donnerstag vorzeitig. Die Pläne für die Asylreform wurden im Juni beschlossen und sehen zahlreiche Verschärfungen vor.

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg erklärte am Freitag die Enthaltung Österreichs. Das sei „keine Ablehnung, sondern eine Abwägung. Das Paket enthält Punkte, die uns sehr wichtig sind, aber wir wären weiter gegangen.“ Schallenberg meinte damit eine noch stärkere Grenzüberwachung sowie Abkommen mit Drittstaaten, etwa mit Tunesien. Die greifbare Einigung bei der Krisenverordnung bezeichnete der Außenminister als „großen Durchbruch“.