Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki  und der ungarische Premierminster Viktor Orban
APA/AFP/Ludovic Marin
Granada-Gipfel

Ungarn und Polen bei Migration isoliert

Der informelle EU-Gipfel im spanischen Granada ist ohne eine geplante gemeinsame Erklärung zur Migrationspolitik zu Ende gegangen. Ungarn und Polen haben sich bis zuletzt gegen diese Vorgangsweise gewehrt – gleichzeitig aber auch vergeblich eine Textänderung eingefordert, um einstimmige Beschlüsse statt Mehrheitsentscheidungen bei der Flüchtlingspolitik zu erreichen. Vielmehr wurde in der Abschlusserklärung nun die Passage zur Migration ausgespart – und von Ratspräsident Charles Michel extra veröffentlicht.

Die Granada-Erklärung der EU-Staats- und -Regierungschefs zur Zukunft der EU wurde nun ohne Passage zur Migration veröffentlicht. Die ursprüngliche Gipfelerklärung habe zu Unstimmigkeiten mit mehreren Mitgliedsstaaten geführt, die die Erklärung blockieren wollten, sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron nach dem Rat vor Journalisten.

Ungarn und Polen hätten ihre Ablehnung wiederholt, die sie schon auf Ministerebene erklärt hatten. Da der Bereich Asyl- und Migrationspolitik mit qualifizierter Mehrheit entschieden werde, werde Europa nach den Worten Macrons trotzdem voranschreiten. Michel verwies zudem darauf, dass die Veröffentlichung der Passage zur Migration mit „breiter Unterstützung“ der EU-Staaten erfolgt sei.

Morawiecki: „Beschlossen, mein Veto einzulegen“

„Ich habe beschlossen, gegen den Teil über die Migration mein Veto einzulegen“, teilte zuvor der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki mit. Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban blieb, so wie bereits im Vorfeld angekündigt, beim Widerstand gegen Pläne für eine EU-Asylreform, die eine Pflicht zur Solidarität mit besonders stark von Migration betroffenen Staaten vorsieht.

Aus seiner Sicht gebe es keinerlei Chance mehr auf Kompromisse und Vereinbarungen, nachdem Ungarn und Polen „rechtlich vergewaltigt“ worden seien. Orban spielte darauf an, dass wichtige Entscheidungen für die geplante Reform des europäischen Asylsystems jüngst gegen den Willen von Ungarn und Polen per Mehrheitsentscheidung getroffen wurden. Die beiden Länder sind ungeachtet anderslautender juristischer Analysen der Meinung, dass das nur im Konsens, also ohne Gegenstimmen, hätte geschehen können.

Ungarn droht auf Europagipfel

Der EU droht im Streit über neue Ukraine-Hilfen eine Zerreißprobe. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kündigte am Freitag am Rande des informellen EU-Gipfels in Granada Widerstand gegen Unterstützungspläne an. Zudem erneuerte er Drohungen zur Migrationspolitik. Auch Polen war auf Konfrontation gebürstet.

Verweis auf Dublin-Reform

Sie verweisen dabei auf EU-Gipfel-Erklärungen in den Jahren 2016, 2018 und 2019. So heißt es in einem Text der Staats- und Regierungschefs aus dem Juni 2019: „Es muss ein Konsens für eine Reform der Dublin-Verordnung auf der Grundlage eines ausgewogenen Verhältnisses von Verantwortung und Solidarität gefunden werden.“ Ungarn und Polen interpretieren das so, dass in der gesamten Asylpolitik nur noch mit Konsens entschieden werden soll.

Sie wehren sich insbesondere dagegen, dass den Plänen zufolge stark belasteten Staaten wie Italien und Griechenland künftig ein Teil der Asylsuchenden abgenommen werden soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen.

Die Blockade der geplanten gemeinsamen Erklärung zur Migration hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf den laufenden Prozess für eine europäische Asylreform. Denkbar ist allerdings, dass Polen und Ungarn die derzeit laufenden Verhandlungen über eine Revision des langfristigen EU-Haushalts nutzen, um weiteren Druck beim Thema Asylreform zu machen. Bei diesem Thema ist Einstimmigkeit erforderlich, und die Revision soll auch eine Fortsetzung der Finanzhilfen für die Ukraine ermöglichen.

„Wichtige Schritte“

So wie der spanische Premier und Gipfelgastgeber Pedro Sanchez betonten bei einer gemeinsamen Pressekonferenz auch Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die in Granada für die Zukunft der EU unternommenen Schritte. Von der Leyen verwies unter anderem auf das Thema EU-Erweiterung. Der Beitrittsprozess sei ein „leistungsbasierter“ Prozess, so von der Leyen, die hinzufügte, dass es bei diesem Beitrittsprozess auch „keine Abkürzungen“ gebe. Laut Michel habe man aber auch „wichtige Schritte“ beim Thema Migration unternommen.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte, es gebe erstmals seit Jahrzehnten eine realistische Aussicht auf eine Einigung auf gemeinsame EU-Asyl- und -Migrationsregeln. „Es ist in Reichweite“, sagte Metsola. Nach der Einigung auf die Asylkrisenverordnung könnten auch weitere fünf Dossiers beschlossen werden. Sie erwarte einen Abschluss des Asylpakets bis zum Ende der Legislaturperiode des Europaparlaments, die im Sommer kommenden Jahres endet.

Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Granada
Reuters/Juan Medina
Familienfoto ohne Nehammer: Der Bundeskanzler sagte krankheitsbedingt kurzfristig ab

Der informelle Europäische Rat fand einen Tag nach einem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) statt. Neben rund 45 Staats- und Regierungschefs sowie den Spitzen der EU-Institutionen war am Donnerstag auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Granada zu Gast gewesen.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) musste seine Teilnahme an beiden Tagen krankheitsbedingt kurzfristig absagen. Der Kanzler wurde beim Granada-EU-Gipfel vom niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte vertreten.

Orban poltert gegen Migrationspakt

Wie tief die Gräben in Sachen Migrationspolitik innerhalb der EU weiter sind, machte Orban bereits vor Gipfelbeginn deutlich. Wie er bei seiner Ankunft in den Raum stellte, werde die EU wohl über Jahre weiter keine Kompromisse im Bereich der Migration finden.

Schließlich sei auch die Einigung auf den Asyl- und Migrationspakt gegen den Willen von Ungarn und Polen erfolgt, so Orban, der im Gipfelvorfeld in diesem Zusammenhang mit den Worten „wir wurden rechtlich vergewaltigt“ aufhorchen ließ. Wenn man „vergewaltigt und gezwungen wird, etwas zu akzeptieren, was einem nicht gefällt, wie soll man dann eine Einigung finden, das ist unmöglich“.

Orban spielte darauf an, dass die Entscheidung für die geplante Asylreform gegen den Willen von Budapest und Warschau per Mehrheitsentscheidung getroffen wurde. Die beiden Länder pochten auf Einstimmigkeit, die aber laut EU-Verträgen nicht notwendig ist.

„Kann nicht von Einzelnen blockiert werden“

Deutschlands Kanzler Olaf Scholz warf in Granada indes Staaten wie Polen und Ungarn eine widersprüchliche Position in der Flüchtlingspolitik vor. Es könne nicht sein, dass ausgerechnet Länder, die in der EU-Asyldebatte für eine harte Linien stünden, „diejenigen, die bei ihnen ankommen, durchwinken, damit sie in Deutschland ankommen“, sagte Scholz nach Gipfelende, ohne Polen und Ungarn konkret beim Namen zu nennen.

Zugleich spielte Scholz Warnungen der beiden Länder herunter, eine endgültige Einigung auf europäischer Ebene noch zu verhindern: „Das kann nicht von Einzelnen blockiert werden“, so Scholz: Deswegen sei er „zuversichtlich“, dass eine in dem Trilog zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Rat verhandelte Einigung noch gelingen werde.

Grünes Licht von EU-Innenministern

Die EU-Innenminister hatten im Juni Pläne für eine weitreichende EU-Asylreform beschlossen. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um illegale Migration zu begrenzen.

Erst am Mittwoch erfolgte die Einigung der Länder auf die Krisenverordnung, die als letzter Baustein der Asylreform gilt. Die Krisenverordnung sieht deutlich verschärfte Maßnahmen vor, wenn eine „Überlastung der Asylsysteme“ droht. Damit kann der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Österreich, Tschechien und die Slowakei hatten sich bei der Abstimmung enthalten.

V.l.: Der spanische Premier Pedro Sanchez,  EU-Ratsvorsitzender Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
APA/AFP/Thomas Coex
Sanchez, Michel und von der Leyen zogen bei der Gipfelpressekonferenz trotz aller Turbulenzen eine positive Bilanz

Asylkompromiss für Prag und Wien „unerlässlich“

Das Thema EU-Asylkompromiss war am Freitagvormittag auch Thema bei einem Treffen von Tschechiens Innenminister Vit Rakusan mit seinem Amtskollegen Gerhard Karner (ÖVP) in Wien. „Wir wissen, dass viel zu tun ist“, sagte Karner bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Aber der Pakt sei „unerlässlich“ und „absolut notwendig“. Auch Rakusan stimmte zu.

Sollte es keinen Asylpakt geben, würde jedes Land einzeln versuchen, das Problem zu lösen. Das sei für die Sicherheit innerhalb der EU nicht förderlich. Wenig Verständnis zeigte Rakusan auch für die Formulierung Orbans, Ungarn würde „rechtlich vergewaltigt“.

„Kompromisse zu schließen ist etwas, was die Basis der Politik sein sollte.“ Im Bereich Migration „entscheiden nicht Ideologien, sondern die Geografie“. In Sachen Krisenverordnung ortet Karner indes noch Verbesserungspotenzial. Es sei demnach notwendig, das Asylsystem „Schritt für Schritt“ zu verbessern.

Meloni und Sunak preschen vor

Italien und Großbritannien wollen im Kampf gegen die „illegale Migration“ indes eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen. „Unsere Perspektiven und unsere Ziele sind die gleichen. In der Tat sind wir heute zwei der engsten Freunde in Europa“, schrieben Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und Großbritanniens Premier Rishi Sunak in einem am Freitag vom „Corriere della Sera“ und der „Times“ veröffentlichten gemeinsamen Artikel.

„Wir arbeiten zusammen, um die Migrantenboote zu stoppen, und wir fordern andere auf, mit der gleichen Dringlichkeit zu handeln“, so Meloni und Sunak. Auf einer Linie sehen sich die beiden auch bei anderen Themen – sie teilten etwa auch die Ansichten zur Ukraine und zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Laut Sunak und Meloni suchen das Vereinigte Königreich und Italien demnach „gemeinsam nach langfristigen, strukturierten Lösungen für die großen globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen“.