Sitzungssaal im ORF-Zentrum
APA/Hans Punz
ORF-Aufsichtsgremien

Bestellmodus teils verfassungswidrig

Schneller als erwartet hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die Zusammensetzung der höchsten Gremien des ORF entschieden. Die Regelung zur Zusammensetzung des Stiftungs- und Publikumsrates ist teils verfassungswidrig. Das geht aus dem am Dienstag publizierten Erkenntnis der Höchstrichter und Höchstrichterinnen hervor. Bis März 2025 muss das Gesetz repariert werden.

Der VfGH ortet „Verstöße gegen das Unabhängigkeits- und Pluralismusgebot“ nach dem Bundesverfassungsgesetz (BVG) Rundfunk. Als problematisch bewertet er vor allem den übermäßigen Einfluss der Regierung auf die Besetzung der ORF-Gremien. Denn die Unabhängigkeitsgarantie im BVG Rundfunk beziehe sich nicht nur auf die Arbeit der Organe, sondern auch auf das Organ selbst, wie die Höchstrichter und -richterinnen im Erkenntnis festhalten.

Bei der Bestellung der Mitglieder müsse die gesetzliche Regelung daher dafür sorgen, dass keinem staatlichen Organ „ein einseitiger Einfluss auf die Zusammensetzung des Organs zukommt, der dessen Unabhängigkeit insgesamt gefährden kann“. Aber das ist zum Teil laut VfGH eben nicht der Fall.

ORF-Stiftungsrat

Der Stiftungsrat ist das oberste Aufsichtsgremium des ORF und hat 35 Mitglieder, die von Regierung (neun), Parteien (sechs), Ländern (neun), ORF-Publikumsrat (sechs) und Zentralbetriebsrat (fünf) beschickt werden und zum Teil in „Freundeskreisen“ organisiert sind.

Im Gegensatz zu den im Parlament vertretenen Parteien und dem Publikumsrat, die je sechs Stiftungsratsmitglieder bestellen, zeichnet die Regierung für die Nominierung von neun Räten und Rätinnen verantwortlich. Gerade wegen dieses Ungleichgewichts hatte das Land Burgenland den VfGH angerufen, um den Bestellprozess zu prüfen.

„Verstößt gegen die Unabhängigkeit“

Die Bestellung von Mitgliedern durch die Bundesländer (neun), die Parlamentsparteien (sechs) und den Zentralbetriebsrat des ORF (fünf) stufte das Höchstgericht aber als „verfassungsrechtlich unbedenklich“ ein. Vielmehr legten die VfGH-Richter und -Richterinnen ihr Augenmerk auf das ungleiche Verhältnis zwischen Regierung (neun Mitglieder) und Publikumsrat (sechs Mitglieder).

Bei den Mitgliedern, die von der Regierung nominiert werden, „handelt es sich um eine relativ große Gruppe, die ein deutliches Übergewicht zu den vom (gesellschaftlich repräsentativ zusammengesetzten und staatsfernen) Publikumsrat bestellten sechs Mitgliedern hat. Das verstößt gegen die Verfassungsgebote der Unabhängigkeit und des Pluralismus bei der Bestellung und Zusammensetzung der Leitungsorgane des ORF“, heißt es in dem Erkenntnis.

Grafik zur Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats und des ORF-Publikumsrats
Grafik: ORF

Dieses Ungleichgewicht zwischen den neun Stiftungsratsmitgliedern, die von der Regierung bestellt werden, und den sechs Stiftungsratsmitgliedern, die vom Publikumsrat nominiert werden, widerspreche der Unabhängigkeitsgarantie im BVG Rundfunk. Dieser Überhang sei nicht zu rechtfertigen. Das unabhängige nicht staatliche Organ Publikumsrat dürfe nicht weniger Mitglieder in den Stiftungsrat schicken als das staatliche Organ Bundesregierung, so das Höchstgericht.

„Spielraum des Bundeskanzlers zu weit“

Ebenso stößt man sich an der vorzeitigen Abberufungsmöglichkeit von Mitgliedern nach Wahlen. Einzig die sechs Parteienvertreter bzw. -vertreterinnnen und die fünf Belegschaftsvertreter bzw. -vertreterinnen im Stiftungsrat sind davon ausgenommen.

Auch an den Bestellungsmodalitäten für den Publikumsrat stößt sich der VfGH. Der Gesetzgeber müsse die Regelung so austarieren, „dass die unmittelbar von repräsentativen Einrichtungen bestellten Mitglieder zumindest im selben Ausmaß im Publikumsrat vertreten sind wie die vom Bundeskanzler (bzw. von der Medienministerin) in Auswahl aus Vorschlägen bestellten Mitglieder“.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter und seine Verfassungsrichterkollegen und Kolleginnen
APA/Helmut Fohringer
Ende September kam es im Verfassungsgerichtshof zum öffentlichen Hearing

Durch die aktuellen Bestimmungen sei der Spielraum des Bundeskanzlers bei der Wahl zu groß: Die Bestellung „der 17 Mitglieder des Publikumsrats“ sei „so weitgehend in das Belieben des Bundeskanzlers (bzw. der Medienministerien) gestellt, dass die verfassungsrechtlichen Gebote der Unabhängigkeit und pluralistischen Zusammensetzung dieses Leitungsorgans des ORF verletzt sind“, heißt es.

Aus diesen Gründen wird der VfGH Teile des ORF-Gesetzes aufheben. Konkret sollen unter anderem die Bestimmungen, wonach die Regierung neun und der Publikumsrat sechs Stiftungsräte bestellt, fallen. Bis 31. März 2025 hat die Politik Zeit, die Passagen zu ändern. An der operativen Tätigkeit der Gremien ändert sich nichts, da sie trotz Aufhebung weiterhin funktionsfähig wären. Auch bisherige Entscheidungen der Gremien sind vom VfGH-Erkenntnis nicht betroffen.

ORF-Publikumsrat

Der Publikumsrat besteht aus 30 Mitgliedern und erstattet etwa Empfehlungen für die ORF-Programmgestaltung und genehmigt Beschlüsse des Stiftungsrats. 17 Mitglieder entsendet die Regierung auf Basis der Vorschläge von Interessenvertretungen, 13 Mitglieder kommen direkt von Organisationen wie Kammern und Kirche sowie den Parteiakademien.

Grüne sehen Auftrag an „aktuelle Regierung“

Laut der grünen Mediensprecherin Eva Blimlinger wird man nun „unverzüglich die Arbeit an einer Gremienreform im ORF“ aufnehmen. Man nehme „das heute veröffentlichte Erkenntnis des VfGH sehr ernst“ und verstehe es „als Auftrag an die aktuelle Bundesregierung“.

Das Medienministerium verwies in einer Stellungnahme auf eine Prüfung durch „Fachexpertinnen und Fachexperten des Verfassungsdienstes“. Überraschend sei, „dass die Gremienstruktur seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert ist und dies jetzt mit einem Mal verfassungswidrig ist“, hieß es seitens des von Susanne Raab (ÖVP) geführten Ressorts.

Für NEOS hatten die Regierungsparteien bei der jüngsten Reform des ORF-Gesetztes (Stichwort Haushaltsabgabe und Digitalnovelle) alle Möglichkeiten zur notwendigen „Entpolitisierung“ gehabt und nicht genutzt. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der den Prüfantrag initiiert hatte, sprach in einer ersten Reaktion von einem „demokratiepolitischen Erfolg“ – mehr dazu in burgenland.ORF.at. Nach Ansicht von FPÖ-Chef Herbert Kickl sollte das ORF-Gesetz gar nicht repariert werden. Denn es brauche eine „Totalreform des ORF“, so Kickl.

Mit dem Erkenntnis herrsche „nun Klarheit, welche gesetzlichen Bestimmungen verfassungskonform sind und welche nicht“, reagierte ORF-Stiftungsratvorsitzender Lother Lockl. Positiv sei das eindeutige Bekenntnis des VfGH zur Unabhängigkeit und Pluralität des ORF: „Diese Unabhängigkeit ist das Fundament des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“

Burgenland: Nötige Staatsferne nicht gegeben

Ende September hatten das Land Burgenland und die Vertreter des Bundeskanzleramts ihre Positionen zur Zusammensetzung der ORF-Gremien im VfGH öffentlich verhandelt. Zu Beginn sagte der Vertreter des Burgenlands, Florian Philapitsch, Leiter des Verfassungsdienstes und früher jahrelang stellvertretender Vorsitzender der Medienbehörde KommAustria, dass die aktuelle Rechtslage keine Staatsferne garantiere. Die Regierung könne zu viel Einfluss auf die Bestellung der Organe ausüben.

Die Bundesregierung, die durch Matthias Traimer und Michael Kogler vom Verfassungsdienst vertreten wurde, widersprach dem Land Burgenland. Am Ende sei nämlich das Ergebnis, also die Zusammensetzung der Organe, wichtig, sagte Traimer, der auf die verschiedenen „Kräfte“ innerhalb der Organe verwies.

So seien für die Bestellung des Publikumsrates gesellschaftliche Vertretungen zuständig, auch die 17 vom Bundeskanzler bestellten Mitglieder seien aufgrund von Dreiervorschlägen der Vertretungen zu bestellen. Der Stiftungsrat werde von demokratisch legitimierten Organen bestellt, sagte er.

Teile des ORF-Gesetzes werden aufgehoben

Schneller als erwartet hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die Zusammensetzung der höchsten Gremien des ORF entschieden. Die Regelung zur Zusammensetzung des Stiftungs- und Publikumsrates ist teils verfassungswidrig. Das geht aus dem am Dienstag publizierten Erkenntnis der Höchstrichter und Höchstrichterinnen hervor. Bis März 2025 muss das Gesetz repariert werden.

Besonders interessiert waren die VfGH-Mitglieder allerdings an den „Freundeskreisen“ im Stiftungsrat. Es sei nicht der Sinn des ORF-Gesetzes, dass sich alle Mitglieder des Stiftungsrates in „Freundeskreisen“ organisieren müssen, sagte Traimer, der das Bundeskanzleramt vertrat. Sie würden aber die Vorberatung für Entscheidungen erleichtern. Allein die Existenz von „Freundeskreisen“ sei ein Indiz dafür, dass es einen parteipolitischen Einfluss auf den ORF gibt, sagte hingegen Philapitsch.