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ORF/Georg Hummer
ORF-Aufsichtsgremien

VfGH konfrontiert Politik mit neuer Aufgabe

Die Politik muss sich erneut mit dem ORF-Gesetz beschäftigen. Denn nach der Frage der Finanzierung steht nun eine Gremienreform vor der Tür. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat geurteilt, dass der Bestellmodus des Stiftungs- und Publikumsrats teils verfassungswidrig ist. Die Politik hat bis März 2025 Zeit, das Gesetz zu reparieren. Wie sie mit der Aufgabe umgehen wird, ist noch unklar.

Konkret ortete der VfGH „Verstöße gegen das Unabhängigkeits- und Pluralismusgebot“ nach dem Bundesverfassungsgesetz (BVG) Rundfunk. Als problematisch bewertet er vor allem den übermäßigen Einfluss der Regierung auf die Besetzung der ORF-Gremien. Teile des ORF-Gesetzes widersprechen dem BVG Rundfunk und werden vom VfGH aufgehoben. Das betrifft sowohl den Stiftungs- als auch den Publikumsrat. Bisherige Entscheidungen und Beschlüsse der Gremien werden vom Erkenntnis nicht tangiert.

Trotzdem stellt sich die Frage, wie die Politik mit dem Machtwort der Höchstrichter und Höchstrichterinnen umgehen wird. Denn immerhin beschicken allen voran Parteien den Stiftungs- und Publikumsrat. Seit Jahren wird der politische Bestellmodus kritisiert – insbesondere die „Freundeskreise“ im Stiftungsrat, die sich nach ideologischen Werten zusammensetzen und in Sitzungen ihr künftiges Stimmverhalten diskutieren.

ORF-Aufsichtsgremien: Bestellmodus teils verfassungswidrig

Schneller als erwartet hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über die Zusammensetzung der höchsten Gremien des ORF entschieden. Die Regelung zur Zusammensetzung des Stiftungs- und Publikumsrates ist teils verfassungswidrig. Das geht aus dem am Dienstag publizierten Erkenntnis der Höchstrichter und Höchstrichterinnen hervor. Bis März 2025 muss das Gesetz repariert werden.

Raab: Experten „prüfen“ Erkenntnis

Man nehme „das heute veröffentlichte Erkenntnis des VfGH sehr ernst“ und verstehe es „als Auftrag an die aktuelle Bundesregierung“, um nach „eingehender Prüfung“ der VfGH-Ausführungen tätig zu werden, sagte die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger. Die Frist bis 31. März 2025 bedeute ihrer Ansicht nach, dass die amtierende Regierung das Vorhaben „umsetzen muss, damit es zeitgerecht dem Parlament zugeleitet werden kann“.

Susanne Raab
APA/Georg Hochmuth
Medienministerin Raab zeigte sich ob des Erkenntnisses überrascht

Seitens der Grünen fordere man „seit Jahren eine Gremienreform, in der Vergangenheit gab es jedoch in keiner Regierung eine Mehrheit für dieses Vorhaben. Wir sehen die Entscheidung des Gerichtshofs deshalb positiv“, so Blimlinger. Angesichts der Neuaufstellung der ORF-Finanzierung durch eine Haushaltabgabe ab kommendem Jahr müssten die „öffentliche Akzeptanz und das Vertrauen an die Unabhängigkeit des ORF“ gestärkt werden.

„Das Erkenntnis des VfGH wurde uns übermittelt und wird derzeit von den Fachexpertinnen und Fachexperten des Verfassungsdienstes geprüft. Überraschend ist jedenfalls, dass die Gremienstruktur seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert ist und dies jetzt mit einem Mal verfassungswidrig ist“, so Medienministerin Susanne Raab (ÖVP). Zuletzt musste die Regierung die ORF-Finanzierung regeln, nachdem der VfGH vergangenes Jahr Teile des ORF-Gesetzes aufgehoben hatte.

Eva Blimlinger
APA/Tobias Steinmaurer
Grünen-Mediensprecherin Blimlinger will eine Gremienreform rasch umsetzen

NEOS lacht über Bekundungen der Regierung

Das Bekunden der Grünen, dass die Regierung die Unabhängigkeit des ORF stärken will, brachte NEOS bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz laut Eigenaussage zum Lachen. So hätten die Regierungsparteien bei der Reform des ORF-Gesetztes alle Möglichkeiten zur notwendigen „Entpolitisierung“ gehabt, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

Nun müsse erneut der VfGH mit einem „nicht überraschenden“ Erkenntnis der Regierung die Rute ins Fenster stellen, damit diese tätig wird. Es ist laut Meinl-Reisinger „völlig ausgeschlossen, dass ÖVP und Grüne jetzt hinter geschlossenen Türen herummauscheln“. Es brauche in den kommenden Wochen Verhandlungen mit allen Parteien: „Die Zeit, an kleinen Schräubchen zu drehen, ist wirklich vorbei.“

Man stehe dafür bereit, den ORF „vom parteipolitischen Gängelband zu befreien“ und für eine „verlässliche Information und Absicherung von Medien zu sorgen“. Die Versuche, die öffentliche Meinung „durch Inserate zu kaufen“, müssten ein Ende haben, so Meinl-Reisinger. Man fordere nicht umsonst seit zehn Jahren ein Ende des „Selbstbedienungsladens“ im ORF. Diese Kritik sieht NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter durch den VfGH bestätigt.

Doskozil spricht von „demokratiepolitischem Erfolg“

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ), der den Prüfantrag initiiert hatte, sprach in einer ersten Reaktion von einem „demokratiepolitischen Erfolg“ und einer „historischen Chance für die Medienlandschaft in Österreich“. Die Entscheidung des Höchstgerichts sei ein „klarer Auftrag zu einer Entpolitisierung des ORF“ – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Hans Peter Doskozil
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Landeshauptmann Doskozil sieht sich in seiner Ansicht bestätigt

Das Gesetz müsse nun transparent und unter Einbindung aller wesentlichen Akteure des gesellschaftlichen Lebens reformiert werden, forderte Doskozil. Eingebracht hatte die burgenländische Landesregierung die Beschwerde nach dem Bekanntwerden der „Sideletter“ der früheren und gegenwärtigen Koalitionspartner ÖVP und FPÖ bzw. ÖVP und Grüne zu ORF-Personalbesetzungen.

FPÖ-Chef Herbert Kickl und -Mediensprecher Christian Hafenecker erneuerten unterdessen ihre hasche Kritik am ORF: „Dass die Österreicher aber ab 1. Jänner 2024 für einen jetzt auch noch in Teilen verfassungswidrigen, durchpolitisierten ORF mit einer ‚Zwangssteuer‘ bezahlen müssen, ist ein einziger Skandal.“ Anstatt einer Reparatur des ORF-Gesetzes brauche es „gleich eine Totalreform des ORF in Richtung eines verschlankten ‚Grundfunks‘“.

Mayer-Bohusch (ORF) zum VfGH-Urteil

Andreas Mayer-Bohusch (ORF) spricht unter anderem über das VfGH-Urteil zu den ORF-Gremien. Des Weiteren berichtet er, was diese Entscheidung für das Verhältnis zwischen Politik und ORF bedeutet.

Lockl: „Aufgabe des Gesetzgebers“

Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) sieht im Erkenntnis „eine eindeutige Bestätigung“ seines Fünfpunkteprogramms zum ORF. „Eine Gremienreform sowie die Entpolitisierung und Verkleinerung des Stiftungsrates“ seien eine der Kernforderungen, sagte VÖZ-Präsident Markus Mair. „Dass eine umfassende ORF-Reform mehr als überfällig ist, wird nun auch durch den VfGH bestätigt“, betonte er.

Mit dem Erkenntnis herrsche „nun Klarheit, welche gesetzlichen Bestimmungen verfassungskonform sind und welche nicht“, reagierte ORF-Stiftungsratvorsitzender Lother Lockl. Positiv sei das eindeutige Bekenntnis des VfGH zur Unabhängigkeit und Pluralität des ORF: „Diese Unabhängigkeit ist das Fundament des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“

Medienrechtler Forgó über VfGH-Urteil zu den ORF-Gremien

Der Medienrechtsexperte der Universität Wien, Nikolaus Forgó, spricht unter anderem über das VfGH-Urteil zu ORF-Gremien. Zudem berichtet er, ob der Verfassungsgerichtshof eine zu große Dominanz der Politik im ORF erkannt hat.

Für die Tätigkeit in den kommenden Monaten sei wichtig, „dass die Stabilität und Handlungsfähigkeit des Unternehmens sichergestellt ist“, so Lockl. Die Arbeit im Stiftungsrat funktioniere, alle Beschlüsse des Stiftungsrates würden uneingeschränkt aufrecht bleiben. „Es ist nun Aufgabe des Gesetzgebers, für neue gesetzliche Bestimmungen zu sorgen“, so Lockl.

Ex-ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hielt auf Twitter (X) fest: „Durch das Erkenntnis des VfGH wird der ORF im Jahr 2024 existenziellem parteipolitischem Druck ausgesetzt. Hoffentlich beweisen die Parlamentsparteien, dass sie mit breiter Mehrheit die geforderten Änderungen umsetzen, ohne das Unternehmen im Wahljahr zu lähmen oder zu gefährden.“