Zerstörtes Gebäude in Khan Younis
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
USA

Waffenstillstand käme Hamas zugute

Weltweit im Gespräch ist die Forderung nach einer Feuerpause für Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Laut Washington sollte die Hamas aber keine Chance bekommen, „sich auszuruhen“. Während sich Israel um die Freilassung weiterer Geiseln in Händen von Hamas-Terroristen bemüht, gehen die Vorbereitungen auf eine Bodenoffensive weiter. Das Ziel bleibe, „die Hamas zu eliminieren“.

Die Forderung nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand im Gazastreifen kommentierte das US-Außenministerium mit Zurückhaltung. Man müsse darüber nachdenken, was das für Israel angesichts der vergangenen und andauernden terroristischen Angriffe bedeute, sagte Sprecher Matthew Miller am Montag in Washington. „Jeder Waffenstillstand würde der Hamas die Möglichkeit geben, sich auszuruhen, aufzurüsten und sich darauf vorzubereiten, weitere terroristische Angriffe gegen Israel zu verüben“, sagte er weiter.

Die US-Regierung konzentriere sich darauf, den Menschen im Gazastreifen den Zugang zu humanitärer Hilfe zu gewährleisten und Orte einzurichten, an denen die Zivilbevölkerung sicher sei. Auch US-Präsident Joe Biden wurde nach der Position seiner Regierung zu einem Waffenstillstand gefragt. „Die Geiseln müssen freigelassen werden, dann können wir reden“, antwortete er. Zugleich habe er in einem Telefonat mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu die Notwendigkeit unterstrichen, „einen kontinuierlichen Strom“ humanitärer Hilfe in den Gazastreifen aufrechtzuerhalten.

Nahost: Weitere Geiseln freigelassen

Die Hamas hat zwei weitere Gefangene freigelassen. Unterdessen reiste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Tel Aviv. Wie US-Präsident Joe Biden will er sich für eine anhaltende humanitäre Hilfe einsetzen.

Borrell für humanitäre Feuerpause

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte in Luxemburg zuvor auf die Frage nach dem Unterschied zwischen Forderungen nach einer humanitären Feuerpause („humanitarian pause“) und den von den Vereinten Nationen vorgebrachten Forderungen nach einem humanitären Waffenstillstand („humanitarian ceasefire“) erklärt, dass für ihn ein Waffenstillstand weit mehr sei als eine Feuerpause.

Bei einem Waffenstillstand brauche es eine Vereinbarung zwischen den Parteien, sagte Borrell. Eine Feuerpause sei dagegen schneller umzusetzen. Gleichzeitig gebe es lediglich eine zeitlich begrenzte Einstellung von Angriffen. So etwas brauche man, um humanitäre Hilfe sicher in den Gazastreifen bringen zu können.

Israelischer Panzer nahe Gazastreifen
Reuters/Violeta Santos Moura
Israels Bodentruppen warten an der Grenze zum Gazastreifen auf ihren Einsatz

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wiederholte die Position Österreichs, dass man Israel und die islamistische Hamas nicht gleichstellen dürfe. „Ich bin nicht sicher, ob wir hier den richtigen Adressaten auch wiederholt ansprechen und einfordern, Pausen einzulegen. Ich glaube nicht, dass eine Terrororganisation wie die Hamas tatsächlich paktfähig ist und sich an solche Dinge halten würde“, so Edtstadler.

Israel: „Wir gehen da rein“

Israels Armee bombardierte unterdessen weiter Ziele im Gazastreifen und bereitete eine Bodenoffensive vor. Mehrere Einheiten trainieren laut Angaben der Armee derzeit dafür. „Die Hamas möchte, dass wir uns mit den Entführten beschäftigen und unser Militär nicht hineingeht, um ihre Infrastruktur zu eliminieren. Das wird nicht passieren“, sagte Israels Energieminister Israel Katz der „Bild“-Zeitung (Dienstag-Ausgabe). Der Auftrag laute, „die Hamas zu eliminieren, ihre Infrastruktur als Militär, als Organisation, als Regierung. Und: die Entführten zu befreien.“

Die Hamas ließ inzwischen zwei weitere Frauen frei. Die 79 und 85 Jahre alten Frauen seien an Israels Armee übergeben worden, wie Israels Regierung in der Nacht auf Dienstag bestätigte. Hamas-Terroristen hatten am 7. Oktober in Israel ein Massaker unter Zivilistinnen und Zivilisten angerichtet und mindestens 222 Menschen gewaltsam in den Gazastreifen verschleppt. Am Freitag hatte die Hamas eine US-amerikanische Mutter und ihre Tochter freigelassen.

ORF-Korrespondent Wildner zu Geiselfreilassungen

ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner spricht unter anderem über die Verhandlungen zur Freilassung von Geiseln.

„Wir handeln mit jedem Akteur, um die Entführten freizubekommen“, sagte Katz. „Wir tun alles, um sie nach Hause zu bekommen.“ Israel versuche außerdem, „trotz des grausamen Feindes zwischen der Hamas und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden“. Im Süden des Gazastreifens gebe es genug Raum, der nicht bombardiert werde: „Wer sich dort aufhält, bleibt unversehrt.“

USA schicken Experten für Häuserkampf

Das Pentagon entsandte unterdessen mehrere Offiziere, um der israelischen Armee bei den Schwierigkeiten eines Krieges in einem dicht besiedelten Gebiet zu helfen, darunter Generalleutnant James Glynn. Das berichtete die „New York Times“. Glynn soll einem Pentagon-Beamten zufolge aber nicht an Ort und Stelle sein, wenn Israel eine Bodenoffensive im Gazastreifen startet.

Israel: Hamas sitzt auf einer Million Liter Treibstoff

Nach den Evakuierungsaufrufen an die Zivilbevölkerung im nördlichen Gazastreifen sind nach israelischen Militärangaben rund 700.000 Palästinenserinnen und Palästinenser in den Süden des Küstenstreifens geflohen. Inzwischen passierten die ersten Lkws mit Hilfsgütern die Grenze von Ägypten nach Gaza. Hilfsorganisationen der UNO beklagten aber, dass kein Treibstoff dabei sei.

Seit Samstag sind 54 Lastwagen mit Hilfsgütern in Gaza eingetroffen – ein Tropfen auf den heißen Stein, wie Tamara Alrifai, die Kommunikationschefin des UN-Hilfswerks für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) am Dienstag berichtete. Zudem sei nicht der dringend benötigte Treibstoff für Generatoren dabei. Stattdessen seien Reis und Linsen geliefert worden. Dafür brauchten die Menschen aber Wasser und Gas zum Kochen – diese Lieferungen seien nicht hilfreich, sagte Alrifai.

Die Hamas habe „mehr als“ eine Million Liter Treibstoff gelagert, „gibt diesen aber nicht an bedürftige Krankenhäuser ab“, schrieb am Dienstag der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus auf Twitter (X). „Die Hamas ist für das Leid in Gaza verantwortlich, nicht Israel“, sagte der Sprecher. Nach Angaben der zuständigen Kogat-Behörde in Israel nutzen die Islamisten den von ihnen gehorteten Treibstoff dafür, um „ihre Terrortunnel zu beleuchten, Raketen abzufeuern, und für ihre eigenen Häuser“, statt ihn der Zivilbevölkerung bereitzustellen. Es gibt keine unabhängige Bestätigung dafür.

Treibstofftanks an der Grenze zu Gaza
APA/AFP/Mohammed Abed
Laut einem israelischen Armeesprecher verwehrt die Hamas Kliniken in Gaza gehorteten Treibstoff

Angestellte im größten Krankenhaus im Gazastreifen fürchteten angesichts versiegender Treibstoffreserven eine Katastrophe. „Unter dem Strich wird das Al-Schifa-Krankenhaus ein Massengrab werden, wenn ihm der Strom ausgeht“, sagte Ghassan Abu Sittah, Arzt in der Klinik in Gaza, dem US-Sender CNN. Es komme schon zu Stromausfällen, und der Wasserdruck reiche nicht mehr für den Betrieb der Sterilisierungsmaschinen für das Operationsbesteck.

Weiter Zwischenfälle an libanesischer Grenze

Derweil kam es auch an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon weiter zu gewaltsamen Zwischenfällen. Israel hat den Libanon eindringlich davor gewarnt, in den Krieg mit der Hamas einzugreifen. Israels Armee teilte mit, sie habe „Terrorzellen“ angegriffen, die Raketen vom Libanon abfeuern wollten. Die proiranische Hisbollah bestätigte, sie habe israelische Truppen am Montag angegriffen. Israel habe daraufhin Ziele im Süden des Libanon beschossen.