EU-Logo am EU-Parlament in Brüssel
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Diskussion über Kandidaten

Parteien rüsten sich für EU-Wahl

Die EU-Wahl am 9. Juni ist die erste große Wahl im „Superwahljahr“ 2024 und wirft auch hierzulande einen langen Schatten voraus. Fixiert werden die Kandidaten großteils im Winter, bereits jetzt diskutieren die Parteien aber, welche österreichischen Vertreterinnen und Vertreter ins Rennen geschickt werden. Die Krisen der letzten Jahre hätten die EU in den Mitgliedsstaaten zunehmend in den Mittelpunkt des politischen Diskurses gerückt, sagt ein Experte gegenüber ORF.at.

In der Wahlforschung wurde die EU-Wahl lange als „Wahl zweiter Ordnung“ bezeichnet. Als ausschlaggebend dafür galten die bisher geringe Wahlbeteiligung und nationale statt europäischer Themen, die den Wahlkampf dominierten, sowie Parteien des politischen Randes, die häufig erfolgreicher abschnitten als etablierte Regierungsparteien. Grundsätzlich seien viele dieser Elemente zwar nach wie vor gültig, sagt Politikwissenschaftler Peter Slominski von der Universität Wien gegenüber ORF.at.

Allerdings hätten EU-Themen im Wahlkampf zugenommen. Dabei hätten vor allem Krisen der letzten Jahre wie Pandemie, Klima und Krieg eine Rolle gespielt. Das sei nicht zuletzt auch dem Aufstieg von EU-kritischen Parteien zu verdanken, die EU-Themen zur Profilbildung verwenden. Vor allem aber würden viele die EU als „Krisenmanagerin“ wahrnehmen, „und dadurch rückt sie auch sukzessive in den Mittelpunkt des politischen Diskurses – auch in den Mitgliedsstaaten“.

EP-Wahl

Die Wahl des Europäischen Parlaments (EP), häufig auch als EU-Wahl bezeichnet, ist die größte länderübergreifende Wahl der Welt. Dabei wählen die 27 Mitgliedsstaaten ihre Abgeordneten nach eigenen rechtlichen Bestimmungen, auch die Kandidatenlisten werden von den nationalen Parteien festgelegt. Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ der EU und hat 705 Mitglieder, davon 19 aus Österreich.

Zeitliche Nähe zu Nationalratswahl

Zudem findet die EU-Wahl wenige Monate vor der Nationalratswahl statt. Dieses zeitliche Naheverhältnis mitsamt der Nachwahldiskussion habe dann auch Implikationen für die nationale Wahl. „Auch heuer wird jener, der gewinnt, versuchen, die Dynamik mitzunehmen, und jener, der verliert, sagen, das sind ja nur EP-Wahlen und das ist etwas ganz anderes“, so Slominski.

Bei der EP-Wahl gebe es auch einen Teil der Wählerschaft, der gezielt darüber nachdenke, welche Partei am besten ihre Meinungen widerspiegle, so Markus Wagner vom Institut für Staatswissenschaft gegenüber ORF.at. „Davon können Parteien profitieren, die zu dem EU-Thema besonders klare Positionen einnehmen – in Österreich wären das NEOS und die FPÖ, jeweils mit konträren Ansichten natürlich.“

Schieder steht für SPÖ bereit

Welche Spitzenkandidaten und -kandidatinnen hierzulande ins Rennen geschickt werden, dürfte sich zumindest teilweise bereits in den nächsten Wochen entscheiden. Die SPÖ will ihren Spitzenkandidaten sowie die gesamte Liste beim Parteitag am 11./12. November fixieren. Ob es wieder Andreas Schieder wird, wie das die Wiener Landesgruppe gerne hätte, oder die Gewerkschafterin Evelyn Regner, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, wird sich dann zeigen.

Die Entscheidungsfindung wurde zuletzt von SPÖ-internen Streitigkeiten rund um wählbare Plätze auf der EU-Kandidatenliste begleitet. Das Burgenland war der Meinung, dass gemäß der parteiinternen Regelungen ihrem Kandidaten, Ex-Verteidigungsminister Norbert Darabos, Platz fünf zustünde, er bekam aber Platz sieben. Nun will man gar keinen Kandidaten ins Rennen schicken. Der umstrittene sechste Platz ging an Claudia Arpa, die Kandidatin Kärntens – vor fünf Jahren waren es noch die Kärntner, die sich bei der Listenerstellung geprellt sahen.

ÖVP: Wer folgt auf Karas?

Bei der EU-Wahl 2019 erzielte die ÖVP mit 34,55 Prozent klar den ersten Platz und stellt seitdem sieben Abgeordnete im Europaparlament. Der langjährige EU-Mandatar und Spitzenkandidat der Jahre 2014 und 2019, Othmar Karas, gab jedoch kürzlich bekannt, heuer nicht mehr für die Volkspartei kandidieren zu wollen, und begründete den Schritt mit einem Zerwürfnis zwischen ihm und der Partei.

Vor der Europawahl 2019 galt die damalige Staatssekretärin Karoline Edtstadler, heute Bundesministerin für EU und Verfassung, für die ÖVP-Delegation im Europaparlament als nächste EU-Kommissarin fix gesetzt. Nach dem „Ibiza“-Skandal nominierte jedoch Brigitte Bierleins Expertenregierung Johannes Hahn für eine dritte Amtszeit in Brüssel. Für 2024 hat Edtstadler laut „Presse“-Informationen als EU-Spitzenkandidatin abgesagt.

Plenarsaal des EU-Parlaments in Brüssel
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Derzeit sitzen 19 Vertreterinnen und Vertreter aus Österreich im EU-Parlament

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) wollte indes ein Antreten als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der EU-Wahl auf Nachfrage nicht ausschließen. „Das habe nicht ich zu bestimmen, das entscheiden die Gremien der Volkspartei“, sagte Plakolm. Für die Entscheidung der Parteigremien über die Frage, wer für die Partei ins Rennen geht, sei „noch viel Zeit“.

Favoriten bei Grünen, FPÖ und NEOS

Auch bei der FPÖ ist noch offen, wann die Kandidatenliste erstellt wird. Delegationsleiter Harald Vilimksy hat wohl beste Chancen, nach 2014 und 2019 erneut als Spitzenkandidat ins Rennen zu gehen. Ziel sei, das Team jedenfalls beizubehalten, sagten die EU-Freiheitlichen im Mai. Auch Bundesparteiobmann Herbert Kickl äußerte sich laut Partei in diese Richtung, es gebe keinerlei Gründe, Änderungen am Team vorzunehmen. Die freiheitliche Listenerstellung wird voraussichtlich im Februar oder März 2024 erfolgen.

Die Grünen haben vor, ihre Kandidatin bzw. ihren Kandidaten bei einem Bundeskongress im Dezember zu küren. EU-Mandatarin Monika Vana nannte im Frühjahr den 16. Dezember als möglichen Termin dafür. Sie und ihre beiden Kollegen Thomas Waitz und Sarah Wiener könnten sich jedenfalls vorstellen weiterzumachen, sagte die grüne Delegationsleiterin im Mai.

Die ehemalige NEOS-Spitzenkandidatin Claudia Gamon und aktuell einzige EU-Abgeordnete der Pinken zieht es zurück in die Heimat. Als Favorit für ihre Nachfolge gilt NEOS-Abgeordneter Helmut Brandstätter. Die internen Vorwahlen sollen im Dezember starten, am 27. Jänner wird die Spitzenkandidatin oder der Spitzenkandidat bei einer Mitgliederversammlung in Vorarlberg gekürt, kündigte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger jüngst an.

Rechter Flügel dürfte zulegen

Durch den Vertrag von Lissabon wurde das Europäische Parlament als das einzige direkt von Bürgerinnen und Bürgern gewählte Organ der EU 2009 mit erweiterten legislativen Befugnissen ausgestattet und die volle Gesetzgebungsbefugnis auf über 40 Bereiche wie Landwirtschaft, Energiesicherheit, Einwanderung, Justiz und EU-Finanzmittel ausgedehnt.

Wie sich die Mehrheitsverhältnisse im EU-Parlament letztlich nach der Wahl gestalten, sei für jedes Mitgliedsland relevant, betont Politikwissenschaftler Slominski. Das Europäische Parlament sei gemeinsam mit dem Rat ein Entscheidungsorgan, das funktioniere und nicht blockiere.

„Wenn sich hier die Mehrheitsverhältnisse drastisch ändern würden, könnten auch Zustände wie in den Vereinigten Staaten herrschen, wo es dann zu einer Blockade kommt.“ Das sei aktuell noch schwer zu prognostizieren, aber ein Szenario, das man „am Schirm haben sollte.“ Würden die Wahlen heute stattfinden, würden rechte und euroskeptische Parteien um 23 Sitze auf Kosten der Parteien der Mitte zulegen, zeigte zuletzt eine Umfrage von „Politico“.