israelische Soldaten auf einem Panzer in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen
APA/AFP/Aris Messinis
Israel

„Weiten Bodenoperationen schrittweise aus“

Die israelische Armee hat nach Angaben von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die „zweite Phase“ im Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen gestartet. Die Bodeneinsätze gegen Hamas-Kämpfer würden fortgesetzt, kündigte Netanjahu am Samstagabend an. Ein Armeesprecher ergänzte später, die Bodenoperationen würden nun „schrittweise ausgeweitet“.

Netanjahu betonte, der Feind werde über und unter der Erde vernichtet werden. Auf einer Pressekonferenz in Tel Aviv warnte er, der Krieg werde lang und hart sein. „Wir stehen erst am Anfang.“ Er versprach, alles zu tun, um die mehr als 200 von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu befreien.

Die Terrororganisation Hamas erklärte, sich mit aller Kraft gegen die israelischen Angriffe zur Wehr setzen zu wollen. „Die Al-Kassam-Brigaden und alle palästinensischen Widerstandskräfte sind bereit, der israelischen Aggression mit aller Kraft entgegenzutreten und ihre Angriffe zu vereiteln“, teilte die militärische Organisation der Hamas am Samstag mit.

„Zweite Phase“ des Krieges begonnen

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Samstagabend von der „zweiten Phase“ des Krieges gegen die Hamas gesprochen. Es werde ein langer und schwieriger Kampf im Gazastreifen, sagte er auf einer Pressekonferenz. Aus der Luft, von Kriegsschiffen aus und mit Bodentruppen wurden nach Angaben der israelischen Armee 150 unterirdische Ziele in Gaza angegriffen.

Appell an palästinensische Zivilisten

Netanjahu wiederholte den Appell an die palästinensische Zivilbevölkerung, den nördlichen Gazastreifen, auf den Israel seinen Angriff konzentriert, zu verlassen. Die Einwohner in dem Küstenstreifen haben kaum Kontakt zur Außenwelt. Seit Freitagabend sind der Strom sowie die Telefon- und Internetverbindungen weitgehend ausgefallen. Hilfsorganisationen sprachen von einer humanitären Katastrophe für die 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen. Nach Angaben der Gesundheitsbehörden in dem von der Hamas kontrollierten Gebiet wurden seit dem 7. Oktober 7.650 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet.

Israel hatte am Freitagabend angekündigt, den Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen auszuweiten. Auch zuvor wurden bereits Bodentruppen in den Gazastreifen geschickt, die Einsätze aber wieder rasch beendet. Nun verstärkt sich der Eindruck, dass die seit Langem erwartete Bodenoffensive begonnen haben könnte. Damit reagiert Israel auf den Überraschungsangriff der Hamas, bei dem nach israelischen Angaben rund 1.400 Menschen getötet und mehr als 220 Geiseln genommen wurden.

Armee: Planer des 7. Oktober getötet

Nach israelischen Angaben wurden Tunnel, Kampfräume und andere Infrastruktur angegriffen. „Mehrere Hamas-Terroristen wurden dabei getötet“, erklärte das Militär. Zudem sei der Verantwortliche für Luftverteidigung bei der Hamas getötet worden. Asem Abu Rakaba sei an der Planung des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober beteiligt gewesen. „Er hat die Terroristen, die per Gleitschirm nach Israel eindrangen, geleitet. Und er war für die Drohnenangriffe auf Posten des israelischen Militärs verantwortlich.“

WHO: Arbeit ohne Kommunikation unmöglich

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat wegen des Kommunikationsausfalls eigenen Angaben zufolge keinen Kontakt zu seinen Mitarbeitenden oder zu medizinischen Einrichtungen in dem abgeriegelten Gebiet. „Patienten in Sicherheit zu bringen ist unter solchen Umständen nicht möglich“, schrieb WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf Twitter (X). Auch einen sicheren Unterschlupf zu finden, sei nicht machbar.

Krankenwagen könnten die Verletzten nicht erreichen. Die wenigen Journalisten, die Kontakt zur Außenwelt hatten, berichteten ebenfalls, dass die Lage so schlimm wie nie zuvor sei.

Militärsprecher Daniel Hagari hatte am Morgen angekündigt, dass aus humanitären Gründen noch am Samstag Lastwagen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten in den Gazastreifen gelassen werden sollten. Ägypten beklagte, dass israelische Hindernisse die Lieferung von Hilfsgütern behinderten.

Berichte über Lage in Nahost

Die ORF-Korrespondenten Tim Cupal und Karim El-Gawhary berichten über die aktuelle Lage im Nahost-Konflikt.

Angehörige in Sorge

Angehörige der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln zeigten sich über den ausgeweiteten Militäreinsatz besorgt und kritisierten die israelische Regierung. „Keiner aus dem Kriegskabinett hat sich die Mühe gemacht, sich mit den Familien der Geiseln zu treffen, um zu erklären, ob die Bodenoperation das Wohlergehen der 229 Geiseln im Gazastreifen gefährdet“, erklärt das Forum der Familien von Geiseln und Vermissten.

Netanjahu traf sich am Nachmittag mit Angehörigen der Verschleppten und versprach, die Befreiung der Geiseln sei ein wichtiger Teil der militärischen Ziele. Die Angehörigen forderten von Netanjahu, einem angeblichen Angebot der Hamas zuzustimmen, alle Entführten freizulassen, wenn im Gegenzug alle palästinensischen Gefangenen – es handelt sich um Tausende – freigelassen werden.

Israel: Hamas-Kämpfer geben Nutzung von Spital zu

Israels Armee veröffentlichte am Samstag ein Video von einem Verhör von Hamas-Kämpfern, in dem diese angeblich bestätigen, dass die Hamas Spitäler und Schulen als Lager und sichere Unterkunft verwendet, da sie hier vor israelischen Angriffen sicher sei.

Die Hamas transportiere in das größte Spital al-Schifa etwa ihre Sprengstoffe, Waffen, Lebensmittel und medizinische Ausrüstung für die eigenen Leute, heißt es im Video. Laut den Aussagen darin geht auch hervor, dass sich Hamas-Mitglieder bei israelischen Angriffen in Kliniken oder Schulen verstecken.

Grund dafür sei, dass Israel aufgrund des Kriegs- und Völkerrechts diese nicht bombardiere. Die Hamas bestreitet die Nutzung des Krankenhauses für „militärische Zwecke“. Das Video könnte laut israelischen Kommentatoren im TV-Sender Kan dazu dienen, in weiterer Folge den Weg für Angriffe auf al-Schifa und andere Spitäler zu ebnen.

Israel ruft Diplomaten aus der Türkei zurück

Israel beorderte zudem seine Diplomaten aus Ankara zurück. Das ist eine Reaktion auf die in den vergangenen Wochen schon mehrfach scharfe Kritik der Türkei an Israel, deren vorläufiger Höhepunkt am Samstag folgte. Da sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf einer propalästinensischen Demonstration in Istanbul, Israel sei nur „eine Schachfigur“ in der Region, die, „wenn der Tag kommt“, geopfert werde. Das Land begehe „Kriegsverbrechen“.

UNO-Vollversammlung fordert Feuerpause

Die UNO-Vollversammlung forderte am Freitag mit großer Mehrheit eine sofortige Feuerpause. Es müssten Hilfslieferungen zugelassen und Zivilistinnen und Zivilisten geschützt werden, hieß es in der von arabischen Staaten eingebrachten Resolution. Diese ist nicht bindend. Für die Resolution stimmten 121 Staaten, 44 enthielten sich. 14 Länder – darunter Israel, die USA und Österreich – stimmten dagegen.