Ein Mitarbeiter des Roten Halbmondes mit Hilsgütern in einem UNRWA-Lagerhaus im Gazastreifen
AP/Hassan Eslaiah
Gazastreifen

UNO-Lager mit Hilfsgütern geplündert

Im Gazastreifen sind laut dem UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) Tausende Menschen in Lager- und Verteilhäuser für Hilfsgüter eingebrochen. Im zentralen und südlichen Gazastreifen hätten sie dabei Weizenmehl und andere Dinge wie Hygieneartikel mitgenommen, teilte UNRWA am Sonntag mit. In einem der Häuser sind Hilfsgüter gelagert, die mit humanitären Konvois aus Ägypten in den Gazastreifen gelangen.

„Das ist ein besorgniserregendes Zeichen dafür, dass die zivile Ordnung nach drei Wochen Krieg und einer festen Belagerung Gazas langsam zusammenbricht. Die Menschen haben Angst, sind frustriert und verzweifelt“, erklärte Thomas White, UNRWA-Leiter im Gazastreifen. Die Güter auf Märkten würden knapp, und die aus Ägypten kommende Hilfe sei nicht genug. Die Bedürfnisse der Menschen seien enorm – „wenn auch nur für das einfache Überleben“.

Die Versorgungslage im Gazastreifen war schon vor Kriegsbeginn sehr schlecht und hat sich durch die laufenden Kämpfe noch verschlimmert. Die große Zahl der durch Israels Angriffe vor allem aus dem Norden vertriebenen Menschen würden den Druck auf Gemeinden im Süden des Gazastreifens noch erhöhen, sagte White. Einige Familien hätten bis zu 50 Verwandte in einem Haushalt aufgenommen.

Plünderungen für UNRWA „besorgniserregend“

Nach Angaben vom UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) sind im Gazastreifen mehrere Lager mit Hilfsgütern geplündert worden. Das UNHRC spricht von einem „besorgniserregenden Zeichen“.

„Wir hätten das nicht getan, wenn wir nicht bedürftig wären“, sagte laut BBC einer offenbar an den Plünderungen Beteiligter. „Wir haben kein Mehl, keine Hilfsgüter, kein Wasser, nicht einmal Toiletten“, so Abdulrahman al-Kilani: „Keiner kümmert sich um uns.“

Bisher rund 80 Lkw-Lieferungen

Über den Grenzübergang Rafah kamen aus Ägypten seit Beginn des Gaza-Kriegs vor drei Wochen Güter von etwa 80 Lastwagen in den Gazastreifen. Wegen des Ausfalls der Internet- und Kommunikationsdienste habe am Samstag kein Konvoi einfahren können. Die Dienste seien inzwischen aber wiederhergestellt. UNRWA hatte deshalb zwischenzeitlich auch Kontakt zu den Mitarbeitern verloren.

Das System der Konvois sei ohnehin „zum Scheitern verurteilt“, sagte White: Er sprach unter anderem von „sehr wenigen Lastwagen, langsamen Prozessen, strikten Inspektionen“ und Gütern, die den Anforderungen von UNRWA und anderen Hilfsorganisationen nicht gerecht würden. Vor allem das Verbot für Treibstofflieferungen lasse das „System scheitern“.

Ankunft eines Hilfskonvois aus Ägypten in einem UNRWA-Lager im Gazastreifen
IMAGO/ZUMA Wire/Ahmed Zakot
Aus Sicht von Hilfsorganisationen sind die bisher erfolgten Hilfslieferungen nur Tropfen auf den heißen Stein

Israel verspricht Wasser, Lebensmittel und Medikamente

Israel lässt derzeit keine Lieferungen von Treibstoff in den Gazastreifen zu. Die Armee argumentiert, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas genug Treibstoffvorräte in Tunneln gebunkert habe, diese aber der Zivilbevölkerung vorenthalte. Israel befürchtet, dass neue Treibstofflieferungen in die Hände der Hamas fallen könnten und dann beispielsweise für die Belüftung und Beleuchtung von Tunneln missbraucht werden könnten.

Im Zusammenhang mit der jüngsten Ausweitung der Kämpfe gegen die Hamas erneuerte Israel indes den Aufruf an die noch im Norden des Gazastreifens befindlichen Zivilisten, sich „vorübergehend südlich des Wadi Gaza in ein sichereres Gebiet begeben“.

Dort könnten die Betroffenen auch „Wasser, Lebensmittel und Medikamente erhalten“, so ein Militärsprecher, der am Sonntag in diesem Zusammenhang, ohne Nennung weiterer Details, für Montag eine Ausweitung der „humanitären Bemühungen für den Gazastreifen unter der Leitung Ägyptens und der Vereinigten Staaten“ in Aussicht stellte.

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„Humanitäre Zone“

Elad Goren von der zuständigen Behörde (COGAT) sagte am Sonntag, Hilfslieferungen sollten in den kommenden Wochen „dramatisch erhöht“ werden. Das geschehe auf Bitten der USA. Ein neuer, mit den USA, Ägypten und den Vereinten Nationen vereinbarter Mechanismus sieht Gorens Angaben zufolge vor, dass Hilfslieferungen zunächst am Nizana-Übergang von Israel nach Ägypten geprüft werden.

Man habe große Sorgen, dass in den Lastwagen auch Waffen in den Gazastreifen geschafft werden könnten, sagte Goren. Nach der Kontrolle sollten die Hilfslieferungen dann über den Rafah-Grenzübergang von Ägypten in den Gazastreifen gebracht und dort den Vereinten Nationen übergeben werden. Diese Lieferungen seien nur für den südlichen Abschnitt des Gazastreifens bestimmt. Goren sprach von einer „humanitären Zone“ im Bereich von Chan Junis.

Große Hamas-Vorräte in Tunneln vermutet

Beobachter vermuten im verzweigten Tunnelsystems der Hamas in der Tat großangelegte Vorratskammern. Die Terrororganisation habe wohl über Jahre in den kilometerlangen Tunneln, die sie unter dem Gazastreifen gegraben hat, Vorräte an dringend benötigtem Treibstoff, Lebensmitteln und Medikamenten sowie an Munition und Waffen angelegt, so die „New York Times“ am Freitag (Ortszeit) unter Berufung auf Experten.

Ein hochrangiger libanesischer Beamter, der namentlich nicht genannt wurde, sagte der Zeitung zufolge, die Hamas habe genug Vorräte, um drei bis vier Monate ohne Nachschub weiterkämpfen zu können.

„Aber sie gehen sehr vorsichtig mit dem um, was sie haben, weil sie es über lange Zeiträume nutzen werden“, sagte Samir Ghattas, ein ägyptischer Analyst, der Gaza genau beobachtet, der Zeitung. Nach seinen Worten ist es kaum wahrscheinlich, dass die Hamas bereit sei, Nahrungsmittel oder andere Hilfsgüter zur Unterstützung der Zivilbevölkerung bereitzustellen.

Ruf nach Waffenstillstand

Vertreter von Hilfsorganisationen, der UNO und der EU drängen indes weiter auf eine „sofortige humanitäre Waffenruhe“, um Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen zu ermöglichen. „Die Lage in Gaza wird von Stunde zu Stunde verzweifelter“, warnte am Sonntag UNO-Chef Antinio Guterres, der es gleichzeitig bedauerte, „dass Israel seine Militäroperationen intensiviert hat, anstatt eine dringend notwendige humanitäre Pause einzulegen, die von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird“.

Der israelische Außenminister Eli Cohen erklärte am Samstag, sein Land lehne zum derzeitigen Zeitpunkt einen Waffenstillstand im Gazastreifen „rundweg“ ab. So wie Israel warnten zuletzt auch die USA davor, dass ein Waffenstillstand der Hamas die Möglichkeit gebe, „sich auszuruhen, sich neu zu formieren und sich auf weitere Terroranschläge gegen Israel vorzubereiten“.