US-Präsident Joe Biden
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Umfragen, Wahlen

Gefühlschaos bei US-Demokraten

Die US-Demokraten haben Grund zum Feiern: Bei Wahlen in vier Bundesstaaten konnte die Partei entscheidende Siege einfahren. Gleichzeitig sorgt der Wahlkampf für das Rennen um das Weiße Haus 2024 für Ernüchterung. Präsident Joe Biden liegt laut jüngsten Umfragen hinter dem Republikaner Donald Trump. Bidens Team hält den Ball flach, doch hinter den Kulissen wächst die Sorge, dass Trump unterschätzt wird.

Am Dienstag verbuchten die Demokraten bei mehreren Wahlen Siege. In Virginia konnten sie die Mehrheit im Abgeordnetenhaus gewinnen, im konservativen Kentucky verteidigte der demokratische Gouverneur Andy Beshear sein Amt. Im republikanisch regierten Ohio stimmte die Mehrheit für eine Verankerung des Rechts auf Abtreibung in der Landesverfassung, und in Pennsylvania gewann der Demokrat Dan McCaffery einen freien Sitz am Obersten Gerichtshof. Zuvor hatte er versprochen, das Recht auf Abtreibung aufrechtzuerhalten.

Viele in der demokratischen Partei sehen sich durch die jüngsten Siege bestätigt: Der Kampf für das Recht auf Abtreibung mobilisiert die Wähler und Wählerinnen am stärksten, hilft der eigenen Partei und schadet den Republikanern. Allen voran das Ergebnis in Ohio stimme die Demokraten positiv, hieß es in US-Medien. Sie würden nun darauf pochen, dass auch Biden verstärkt auf das Thema setzt. Denn derzeit sieht es alles andere als rosig für den US-Präsidenten aus.

Befürworter des Referendums in Ohio
Reuters/Adam Cairns/Usa Today Network
Befürworterinnen für das Recht auf Abtreibung errangen einen Sieg in Ohio

Umfragen sehen Biden ein Jahr vor Wahl im Rückstand

Am Wochenende veröffentlichte die „New York Times“ Umfragen zur Präsidentschaftswahl, für die 3.662 Wähler und Wählerinnen in den sechs US-Staaten Wisconsin, Arizona, Georgia, Nevada, Michigan und Pennsylvania zwischen dem 22. Oktober und dem 3. November befragt wurden. Biden liegt nur in Wisconsin vor Trump, in den restlichen „Swing-States“ führt der Republikaner recht deutlich. Die Fehlertoleranz liegt zwischen 1,8 und 4,8 Prozentpunkten.

Die Umfragen wurden exakt ein Jahr vor der Wahl publiziert. Es kann sich also noch einiges tun, bis die Wähler und Wählerinnen zur Urne schreiten. Immerhin stehen auch noch die Vorwahlen an. Parteiintern muss also noch entschieden werden, wer letztlich um den Einzug in das Weiße Haus rittern wird. Aktuell sind allerdings Biden für die Demokraten und Trump für die Republikaner die Favoriten – und auf die beiden Kandidaten bezog sich auch die Umfrage.

Grafik zeigt Umfragewerte von US-Präsident Biden und Ex-US-Präsident Trump in sechs „Swing-States“
Grafik: ORF.at; Quelle: New York Times/Siena College

In einer weiteren Umfrage, die auch das hypothetische Rennen zwischen Biden und Trump abfragte, lag der Republikaner ebenfalls vor dem Demokraten. 49 Prozent der Befragten sprachen sich für den früheren Präsidenten aus, 45 Prozent für den amtierenden. Die Umfrage wurde von CNN in Auftrag gegeben und zeigt laut dem Medium, dass Biden mit großen Hürden zu kämpfen hat.

Trump positioniert sich vor Gericht

Die Aussagekraft von Umfragen, die ein Jahr vor der Wahl stattfinden, wird von Fachleuten eher in Zweifel gezogen. Allerdings würde man aus Umfragen aktuelle Präferenzen ablesen können, argumentiert der US-Politikwissenschaftler Daniel Hopkins auf Twitter (X). Unabhängig davon, wie ernst man die Umfragen nimmt, werde die Tatsache, dass Biden in den Umfragen nicht deutlich besser abschneidet als Trump, es anderen Republikanern schwermachen, sich gegen Trump zu stellen.

Davon gehen offenbar auch die Demokraten selbst aus. Das berichtete zumindest die „Washington Post“, die nach eigenen Angaben mit zig Mitgliedern der Partei sprach. Einige würden befürchten, dass das Wahlkampfteam von Biden diese „Warnzeichen“ ignorieren könnte. Der demokratische Senator aus Connecticut, Richard Blumenthal, zeigte sich besorgt. „Ich war besorgt vor diesen Zahlen. Ich bin besorgt über die unerklärliche Glaubwürdigkeit, die Donald Trump trotz aller Anklagen, Lügen und unglaublichen Verfehlungen zu haben scheint.“

Trump ist aktuell mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert. Jüngst legte er sich vor Gericht in einem Zivilprozess, in dem ihm vorgeworfen wird, seine Immobilien falsch bewertet zu haben, wortreich mit dem Richter an. Kommentatoren und Kommentatorinnen meinten, der Republikaner nutze die Prozesse, um seine eigene Kampagne für das Weiße Haus voranzutreiben. Selbst spricht der frühere Präsident immer von einer „Hexenjagd“ gegen ihn.

Mehr Engagement gefordert

Besonders besorgniserregend für Bidens Verbündete seien Anzeichen, wonach die Unterstützung unter schwarzen Wähler und Wählerinnen zu bröckeln beginnt. Bei der Wahl 2020 hatten sich laut Angaben von Pew Research mehr als 90 Prozent der registrierten schwarzen Wähler und Wählerinnen für Biden entschieden. Trump erhielt hingegen kaum Stimmen von ihnen.

Aber schon damals zweifelten viele der schwarzen Wählerinnen und Wähler an Biden. „Die Tiefe der Unterstützung war nie da. Die Begeisterung war für Biden nie da. Wir waren sehr pragmatisch. Wir wussten, dass er die beste Chance hatte, Trump zu schlagen“, wurde Cliff Albright, Mitbegründer des Black Voters Matter Fund, in der „Washington Post“ zitiert.

In den abgefragten Staaten hatten sich zwar noch immer 71 Prozent der schwarzen Teilnehmenden für Biden entschieden, aber bereits 22 Prozent für Trump. Selbst wenn die schwarze Bevölkerung nur einen geringen Teil der registrierten Wähler und Wählerinnen ausmacht, sei das Umfrageergebnis aus Sicht der Republikaner überraschend, so die „New York Times“.

Viele schwarze Wähler und Wählerinnen seien von Bidens Politik desillusioniert, sagte Albright, insbesondere, was die mangelnde Unterstützung in Sachen Schulden angeht. Zwar würde die Mehrheit wieder dem demokratischen Kandidaten die Stimmen geben. Jedoch, so Albright, sei es möglich, dass viele gar nicht erst zur Wahl gehen, wenn sich Bidens Engagement nicht steigert.

US-Präsident Joe Biden bei einer Wahlkampfrede in einer Fabrik
AP/Andrew Harnik
Die Umfragewerte von Biden könnten besser sein, meinen viele Demokraten

Forderungen nach Fokus auf soziale Themen

Aus dem Lager von Biden versuchte man die Bedenken so schnell wie möglich auszuräumen. Die Umfragen würden zwar ein düsteres Bild für den amtierenden Präsidenten zeigen, allerdings nicht das Verhalten der Wählerinnen und Wähler am Wahltag widerspiegeln. Viele würden derzeit gar nicht an die Wahl denken, hieß es gegenüber der „Washington Post“. Die Umfragelage werde sich für Biden bessern, sobald die Republikaner offiziell ihren Kandidaten aufgestellt haben.

„Prognosen, die ein Jahr vorher getroffen werden, neigen dazu, ein Jahr später etwas anders auszusehen“, sagte Bidens Kampagnensprecher Kevin Munoz, der auch auf Umfragen in der Vergangenheit verwies, in denen die Demokraten, etwa Ex-Präsident Barack Obama, schlechter abschnitten als später bei der Wahl. „Wir werden 2024 gewinnen, indem wir die Arbeit erledigen, und nicht dadurch, dass wir uns über eine Umfrage aufregen.“

Man werde zudem zielgerichtete Werbemaßnahmen schalten, um schwarze und lateinamerikanische Wähler und Wählerinnen besser anzusprechen. Es seien bereits Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Wahlkampfteams in Arizona und Wisconsins, um die Organisation der Kampagne aufzubauen.

Im Gegensatz dazu äußerten andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Bidens aber Bedenken, ob die aktuelle Strategie die richtige sei. Vieles basiere auf Wirtschaftsthemen. Nach Ansicht von Kritikern und Kritikerinnen müsste Biden mehr auf soziale Themen wie eben den Kampf für das Recht auf Abtreibung setzen.

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump vor Gericht
Reuters/Jabin Botsford
Trump sitzt derzeit oft vor Gericht und wehrt sich gegen Vorwürfe

Scharfe Kritik von Ex-Obama-Berater

Das Wahlkampfteam von Biden betonte zuletzt, dass das Rennen um das Weiße Haus knapp werden könnte. Aber die Botschaft, die der US-Präsident auch im Wahlkampf für die Wahl 2020 vertrat, sei weiterhin populär, hieß es in einem Memo von Wahlkampfmanagerin Julie Chavez Rodriguez. Man müsse einen klaren Kontrast zu den Republikanern bieten. Bisher gingen die Demokraten nicht auf die Sorgen vieler Wähler und Wählerinnen ein, wonach Biden mit 80 Jahren zu alt für das Präsidentenamt sein könnte. Trump ist nur drei Jahre jünger.

Nach Ansicht von Senator Blumenthal müsse Parteikollege Biden seine „Erfolgsbilanz“ besser verkaufen. „Eine Wahlkampfstrategie ist ein Jahr vor der Wahl nicht immer offensichtlich“, sagte er. „In den nächsten drei bis sechs Monaten wird viel passieren, was die Wahl mitgestalten wird. Ich kann garantieren, dass wir zurückblicken und sagen werden: Wow, damit hätten wir nie gerechnet.“

Anders dürfte das der frühere Wahlkampfmanager von Obama, David Axelrod, sehen. Auf Twitter schrieb er, kurz nachdem die „New York Times“ die Umfragen veröffentlicht hatte, dass es zu spät sei, um „auf ein anderes Pferd zu setzen“. Trump sei „ein gefährlicher, unbeholfener Demagoge“, so Axelrod. Allerdings sei die „Gefahr einer Fehleinschätzung zu dramatisch, als dass man sie ignorieren könnte“. Biden müsse entscheiden, ob es klug sei zu kandidieren.