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ORF/Christian Öser
Signa

Offene Fragen nach Benkos Rückzug

Auch am Tag nach der Entmachtung von Signa-Gründer Rene Benko durch seine Investoren sind Fragen zum angeschlagenen Immobilien- und Handelskonzern offen. Fakt ist, der Sanierungsexperte Arndt Geiwitz übt die bisherigen Stimmrechte von Benko aus. Wie das rechtliche Konstrukt dahinter aussieht, ist offen. Laut dem Handelsexperten Gerrit Heinemann droht eine Insolvenz. Signa wies diese Darstellung am Abend als „tatsachenwidrige Behauptung“ zurück, die „massiv kreditschädigend“ sei.

Fest steht jedenfalls, dass der Signa-Konzern mit einer Bilanzsumme von zuletzt 27 Milliarden Euro undurchsichtig bleibt. Wer wo bei Signa wie viel zuschießen müssen wird, will Geiwitz in spätestens drei Wochen wissen. Geiwitz’ Team und zwei Anwaltskanzleien prüfen in dieser Zeit die wichtigsten Immobilienbereiche der Signa, deren Gesamtvermögen auf 20 Milliarden Euro geschätzt wird. Geprüft werden Geschäftsaussichten für Gebäude – also wo etwas verdient werden kann bzw. wo es Kaufinteressenten gibt.

Laut dem Handelsexperten Heinemann von der Hochschule Niederrhein würden alle Signale zu Benkos Firmengruppe darauf hindeuten, „dass es nicht nur Zahlungsschwierigkeiten gibt, sondern das Unternehmen kurz vor einer Insolvenz unter Umständen steht“, wie er gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal sagte. Der Sanierer Geiwitz werde zuallererst Transparenz schaffen und die Banken beruhigen müssen, so Heinemann.

Arndt Geiwitz
IMAGO/Funke Foto Services
Geiwitz soll fortan für Signa Lösungen finden – und das rasch

„Banken lassen sich durch Schönreden nicht hinhalten“

Ob Geiwitz das gelingen kann, sei jedoch fraglich, meinte Heinemann. In den nächsten Wochen stünden etliche Refinanzierungen an, und die Banken seien von der deutschen Bankenaufsicht angewiesen worden, „genauer hinzuschauen, was offensichtlich in der Vergangenheit nicht der Fall war. Und da wage ich zu bezweifeln, dass die Banken einfach nur durch ein Schönreden sich hinhalten lassen.“

Vieles sei bei dem Firmengeflecht von rund tausend Firmen unklar, so der Experte. Zwischen diesen Firmen würden auch Geschäfte laufen, und die gegenseitigen Haftungen seien nicht geklärt. Unklar ist vorerst auch noch, um welche Summen es genau geht. Die kolportierten 200 bis 400 Millionen Euro sollen laut Heinemann „angeblich der Betrag sein, der noch im November fällig ist“, bis Jahresende sollen es „bis eine Milliarde und mehr“ sein.

Gespräche würden in Europa und im arabischen Raum mit potenziellen Geldgebern geführt. Wichtig würden auch Verhandlungen mit geldgebenden Banken, hieß es. Es verdichteten sich auch unbestätigte Angaben, wonach die Signa auf ihren Kernbereich Immobilien schrumpfen könnte. Dann könnten in der Schweiz Globus und in Deutschland die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof verkauft werden.

„Glaube eher an ein echtes Insolvenzverfahren“

Wenn Benko „jemanden aus dem Hut zaubern könnte“, jemand aus dem Nahen Osten oder einen russischen Oligarchen, „dann hätte er das schon geschafft. Das sieht nicht so aus“, meinte Heinemann. Bei den Immobilien gebe es einen hohen Abwertungsbedarf mit einem enormen Risiko für die Banken.

Daher werde Geiwitz möglicherweise einen außergerichtlichen Vergleich schaffen, quasi ein außergerichtliches Insolvenzverfahren. „Allerdings im Aufruhr und der Intransparenz, die vorliegt, glaube ich eher an ein echtes Insolvenzverfahren, zumal ja schon seit einigen Wochen keine Zahlungen mehr erfolgen, die erfolgen müssten.“

Signa sieht „tatsachenwidrige Behauptung“

Signa-Anwalt Peter Zöchbauer wies diese Darstellung am Abend als „tatsachenwidrige Behauptung“ zurück. An den Behauptungen des „angeblichen Handelsexperten“ bestehe kein öffentliches Interesse, zumal dieser über keinerlei unmittelbare Informationen zu Signa verfüge und kein Kontakt zu ihm bestehe.

Die „Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) warf indessen die Frage auf, ob Benko trotz seit Jahren fehlender tatsächlicher operativer Funktion in seinem Lebenswerk nicht doch womöglich „faktischer Geschäftsführer“ war und ihn im Fall des Falles Haftungsfragen treffen können.

Rene Benko
APA/Hans Klaus Techt
Gründer Benko bekleidete bei Signa offiziell kein Amt

Experte: „Wovon soll sich Benko zurückziehen?“

Auf den Punkt bringt das Experte Heinemann: „Benko hatte kein offizielles Amt, die Frage ist: Wovon soll er sich jetzt zurückziehen? Die Stimmrechte seiner Anteile – über 50 Prozent – sind wohl noch nicht übertragen. Er besitzt indirekt über seine Stiftung die Mehrheit, und da ist noch nichts übertragen worden, was man hört. Gerede ist das eine und Fakten und Tatsachen das andere“, so Heinemann.

Für Beobachter steht jedenfalls außer Zweifel, dass Benko bis zur Übergabe an Geiwitz das Sagen hatte. Selbst soll sich Benko wie kolportiert auch als „Chairman“ bezeichnet haben. Über seine Familienstiftung hält der 46-Jährige indirekt die Mehrheit der Anteile. Jetzt muss Geiwitz eine Ausweitung des Liquiditätsengpasses verhindern – dass aber Benko bis zur Übergabe an den Sanierer die Fäden in der Hand hielt, wird nicht in Zweifel gezogen.

Volles Haftungsrisiko?

Beispiele ähnlicher Konstellationen gibt es in der Unternehmenslandschaft einige: etwa in Firmen, in denen ein Seniorchef trotz erfolgter Übergabe des Betriebs weiterhin das letzte Wort hat. Und in Unternehmen, deren Gründer zwar pro forma abtritt, aber ungeachtet dessen das Mastermind der Firma bleibt – so wie im Falle von Benko und Signa. Und das kann laut Fachleuten Risiken bergen.

Dass es dafür in der Judikatur eine Bezeichnung gibt, thematisierte Rechtsanwalt Alfred Nemetschke in einem LinkedIn-Beitrag, auf den wiederum die „Presse“ verwies. Mit einem „faktischen Geschäftsführer“ sei eine Person gemeint, die formal nicht zum Geschäftsleiter bestellt ist, aber im Unternehmen die Fäden zieht und deshalb auch entsprechende Verantwortung trägt; samt vollem Haftungsrisiko.

„Maßgeblicher Einfluss auf Geschäftsführung“

In einem Rechtssatz hielt der Oberste Gerichtshof (OGH) dazu fest: „Faktischer Geschäftsführer ist, wer – ohne förmlich bestellt zu sein – maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nimmt, womit es nicht darauf ankommt, ob es sich um einen Angestellten, Gesellschafter, Angehörigen oder Außenstehenden handelt.“

Wer diese Rolle einnimmt, hat auch die Pflichten eines Firmenchefs. Geht es dabei um Rechtshandlungen, die bestellten Geschäftsleitern vorbehalten sind, muss er auf diese entsprechend einwirken. Ob jemand diese Rolle einnimmt, ist laut Judikatur jeweils im Einzelfall zu beurteilen.

„Konsolidierungspflicht zu vermeiden“

Unterdessen zeigt ein „News“-Bericht Anstrengungen von Signa, eine Konsolidierungspflicht zu vermeiden. Ein internes 13-seitiges Dokument von Benkos Steuerberatungskanzlei TPA lieferte dem Magazin zufolge Signa Tipps zur Verschachtelung und zur Darstellung einer Nichtkonsolidierung. Benkos Firmengeflecht solle „alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt“ haben, „um eine Konsolidierungspflicht der Signa Holding unter allen Umständen zu vermeiden“, wie es hieß.

TPA ist eines der größten Steuerberatungsunternehmen Österreichs und medial etwa deswegen zu Bekanntheit gelangt, da es die Pleitebank Commerzialbank Mattersburg über Jahre prüfte.

Seitens der Investoren war am Donnerstag nichts substanziell Neues zu erfahren. Der mit 15 Prozent an Signa beteiligte Industrielle Hans Peter Haselsteiner ließ aktuell lediglich wissen, dass nunmehr das Büro von Geiwitz informiere. Dieses verwies auf die Signa, die seit Wochen nicht auf Medienanfragen reagierte und bisher nur am Mittwoch eine einseitige Presseinformation aussendete.

Benko: „Vertrauen wiederherstellen“

Darin hieß es, dass die Familie Benko Privatstiftung größter Gesellschafter der Holding bleibt. Das sei „in der derzeitigen Situation die beste Lösung für das Unternehmen, seine Partner, Investoren sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, wurde Benko in der Aussendung der Signa Holding zitiert. „Es gilt nun, Vertrauen wiederherzustellen, dazu will ich meinen Beitrag leisten.“ Das Immobilienportfolio des Signa-Konzerns sei und bleibe „einzigartig“.

Alle Beteiligten seien gefordert, Signa nun zu unterstützen, wurde Benko in der Aussendung zitiert. Wie viel sie einschießen müssen, müsse sich Geiwitz anschauen, gab Haselsteiner an. Weitere Investoren sind etwa Fressnapf-Gründer Torsten Toeller sowie Lindt-&-Sprüngli-Verwaltungspräsident Ernst Tanner. Geiwitz, einst Insolvenzverwalter der Drogeriekette Schlecker und Benko-Berater bei der Sanierung der Galeria-Kaufhäuser, genieße „das Vertrauen aller Gesellschafter“, stand in der Aussendung zu lesen.

Insider: Über zwei Milliarden bei Banken offen

Einem Insider zufolge hat die Signa-Gruppe bei fast allen namhaften österreichischen Geldhäusern Kredite ausständig. Das Gesamtexposure der Finanzinstitute habe sich auf rund 2,2 Milliarden Euro belaufen, sagte eine Person mit Kenntnis der Situation zur Nachrichtenagentur Reuters und bezog sich auf Daten von der Mitte des Jahres.

Die größten Kreditgeber seien die Raiffeisen Bank International (RBI), die ihr Engagement bei Signa in den vergangenen Jahren deutlich reduziert habe, und die zur italienischen UniCredit gehörende Bank Austria. Auf diese beiden Geldhäuser entfielen den Daten zufolge beinahe zwei Drittel des Kreditvolumens, so der Insider.