Der Rapper Peso Pluma
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Mexiko

Loblieder auf Drogenmafia unter Strafe

Narcocorridos erleben in Mexiko, aber auch weit darüber hinaus einen Boom. Es handelt sich dabei um musikalische Balladen, die auf die Drogenmafia ein Hohelied singen, Gewalt verherrlichen und aus Verbrechern Volksheilige machen. Das stößt mancherorts sauer auf. Die mexikanische Stadt Tijuana an der Grenze zu Kalifornien setzt Narcocorridos-Aufführungen nun unter Strafe.

„Narco“ ist im Spanischen Chiffre für alles, was mit Drogen zu tun hat. „Corridos“ sind traditionelle mexikanische Balladen, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert haben und thematisch häufig sozialkritische Themen aufgreifen. Musikalisch sind Narcocorridos eine Mischung aus regionaler mexikanischer Mariachi-Musik, Rap und Trap. Oft sind sie mit gitarre-, tuba- und akkordeonlastigen Melodien unterlegt.

Narcocorridos besingen Drogenbosse und -gangs und verklären deren kriminellen Alltag, indem Verbrecher zu Heroen aufsteigen und Gewalt und Mord gefeiert werden. Dazu gehören Hommagen an Bosse wie Joaquin „El Chapo“ Guzman, der in den USA eine lebenslange Haft verbüßt. Die Interpreten zeigen sich gern mit Maschinengewehren, Revolvern und Cowboy-Hüten auf den Covers ihrer CDs. Manchmal sollen sie von Drogenhändlern dafür bezahlt werden, Songs über sie zu schreiben und darzubieten.

Mexikanische Soldaten in Tijuana an der Grenze zu den Vereinigten Staaten
Reuters/Jorge Duenes
Soldaten in Tijuana kämpfen gegen Drogen- und Menschenhandel

„Sich um psychische Gesundheit kümmern“

Angesichts der seit 2006 eskalierenden Gewalt im mexikanischen Drogenkrieg, den häufigen Verbindungen der Künstler zum organisierten Verbrechen und der Gewaltverherrlichung nahmen viele Radiosender ihre Musik aus dem Programm. Zuletzt versuchte der Stadtrat von Tijuana dem Genre einen Riegel vorzuschieben, indem er Auftritte von Narcocorridos-Interpreten in der Stadt verbot.

Mit dem Verbot wolle die Stadt die Gewalt reduzieren, indem sie Kinder und Jugendliche vor dieser Art von Musik schützt, hieß es. „Denn ganz gleich, wie viele Waffen diese Gemeinde beschlagnahmt oder wie viele Kriminelle verhaftet, das Wichtigste ist, sich um die psychische Gesundheit zu kümmern – und die beginnt bei den Augen und Ohren“, sagte die Bürgermeisterin von Tijuna, Montserrat Caballero Ramirez.

Grenzübergang zwischen den USA und Mexiko mit der mexikanischen Stadt Tijuana im Hintergrund
AP/Kirby Lee
Tijuana grenzt an die kalifornische Stadt San Diego

„Nicht Teil der mexikanischen Folklore“

Verstöße gegen das Verbot würden mit bis zu einer Million Pesos (ca. 53.000 Euro) geahndet. Das Geld werde in Präventions- und Suchtbehandlungsprogramme fließen. Die Bürgermeisterin fügte hinzu, dass das Verbot nur für Narcocorridos-Interpreten gelte und Künstlerinnen und Künstler anderer Genres in Tijuana weiter willkommen seien.

„Was nicht Teil der mexikanischen Folklore sein und uns nicht repräsentieren kann, ist der Narcocorrido und die Entschuldigung des Verbrechens“, zitierte die „Los Angeles Times“ Caballero Ramirez. „Deshalb sagt dieser Rat Nein zu Narcocorridos in dieser Stadt.“ Das Verbot erfolge, nachdem zwei Konzerte der mexikanischen Gruppe Fuerza Regida und des Rappers Peso Pluma wegen Morddrohungen eines Drogenkartells im Oktober abgesagt worden waren.

Populärer denn je

Vor Tijuana hatten auch andere Städte und Bundesstaaten in der Vergangenheit einzelne Interpreten verboten, bisher hätten derartige Verbote deren Popularität aber eher gesteigert, wie eine aktuelle Studie ergab. „Bußgelder und abgesagte Konzerte verstärken nur das Image von Sängern wie El Komander als Rebellen und machten sie in den Augen seiner Fans zu einem Helden“, zitierte die Tageszeitung „Guardian“ die Studienautoren. Generell wird kritisiert, dass Verbote von Künstlern nicht auf die eigentlichen Ursachen der Drogenkriminalität abzielen und die Kausalität umdrehen, also Narcocorridos für Drogengewalt verantwortlich mache statt umgekehrt.

Narcocorridos sind heute nicht nur in Mexiko populärer denn je: Nummern wie jene von Fuerza Regida, die zuletzt den Song „El Jefe“ mit dem kolumbianischen Popstar Shakira veröffentlicht hatten, und Peso Pluma sind auch international beliebt – der Sänger feierte im April sein US-Fernsehdebüt in der „Tonight Show“ von Jimmy Fallon. Die meist von Südkalifornien aus vermarkteten Narcocorridos sammeln Millionen YouTube-Klicks und Spotify-Downloads, verkaufen Hunderttausende Tonträger und hängen in Nordamerika die gesamte Latin-Konkurrenz ab.

Der Erfolg beruht auf ihrer Glaubwürdigkeit und dem hohen Identifikationspotential mit den Interpreten. Denn diese stellen sich dem eigenen Selbstverständnis nach gern bloß als Chronisten der gesellschaftlichen Verhältnisse dar. Die Schattenseite aber ist, dass Narcocorridos für Drogenkartelle auch willkommene Imagepflege betreiben.

Drogenkrieg mit Tausenden Toten

Tijuana grenzt an die kalifornische Stadt San Diego und gehört regelmäßig zu den gewalttätigsten Städten Mexikos und der Welt. Bei rund zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Bürgerrat für öffentliche Sicherheit und Strafjustiz 2022 mehr als 2.100 Menschen durch organisiertes Verbrechen getötet.

Eine junge Frau in Sinaloa (Mexiko) am Grab ihres zunächst vermissten und dann ermordet aufgefundenen Bruders
Reuters/Mahe Elipe
2022 kamen in Tijuana auf 100.000 Einwohner 105 Morde

In Mexiko tobt seit Jahren ein erbitterter Drogenkrieg zwischen rivalisierenden Kartellen. Drogenkartelle und Verbrechersyndikate kontrollieren ganze Regionen des lateinamerikanischen Landes und kämpfen untereinander um Einflussgebiete und Schmuggelrouten. Im vergangenen Jahr wurden in Mexiko mit seinen rund 127 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fast 32.000 Tötungsdelikte registriert. Seit dem Einsatz des Militärs gegen die Kartelle im Jahr 2006 wurden dabei mehr als 420.000 Menschen getötet. Etwa 100.000 weitere sind spurlos verschwunden.