Israelischer Soldat in Gaza
Reuters/Israeli Defence Forces
Zukunft von Gaza

Netanjahu lehnt internationale Kontrolle ab

Dass sich Israels Premier Benjamin Netanjahu seit geraumer Zeit Gedanken über die Zukunft des Gazastreifens macht, ist bekannt. Am Freitag sagte er, dass Israel nicht vorhabe, den Gazastreifen zu besetzen oder zu erobern. Netanjahu gab aber deutlich zu verstehen, dass man die Kontrolle über den Küstenstreifen „nicht internationalen Kräften überlassen“ werde.

Auch nach Ende des Krieges gegen die radikalislamische Hamas würden die israelischen Streitkräfte die Kontrolle behalten, sagte der Premier bei einem Treffen mit Vertretern israelischer Grenzstädte. „Wir werden sie nicht an internationale Streitkräfte abgeben.“ Bisher hatte sich Netanjahu nur vage zur Zukunft des Gazastreifens geäußert.

In einem Interview mit dem US-Sender Fox News hatte er ebenfalls am Freitag gesagt, Israel wolle nicht versuchen, den Gazastreifen zu erobern, zu regieren oder zu besetzen. „Aber wir wollen ihm und uns eine bessere Zukunft im gesamten Nahen Osten geben. Und dazu muss die Hamas besiegt werden.“ Er habe keinen Zeitplan, „denn es kann mehr Zeit in Anspruch nehmen“, sagte Netanjahu. Der Gazastreifen müsse entmilitarisiert, deradikalisiert und wiederaufgebaut werden.

Internationale Kontrolle während Übergangszeit

Ein ranghoher Berater Netanjahus hatte vergangene Woche gesagt, dass Israel keine anhaltende Besetzung des Gebietes anstrebe. Es müsse aber eine Sicherheitspräsenz Israels geben, damit das Militär je nach Bedrohungslage für Einsätze hineingehen könne, sagte Mark Regev dem US-Sender CNN.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu
Reuters/Israeli Government Press Office/Haim Zach
Netanjahu will, dass das israelische Militär den Gazastreifen kontrolliert

US-Beamte schlugen Medienberichten zufolge in den vergangenen Wochen vor, dass internationale Truppen für eine Übergangszeit die Sicherheit im Gazastreifen gewährleisten könnten. Erst nach einer bestimmten Dauer könnte das Gebiet einer funktionierenden palästinensischen Regierung zurückgegeben werden. Diplomaten äußerten die Hoffnung, dass die Palästinenserbehörde von Präsident Mahmud Abbas an die Stelle der bisher regierenden Hamas tritt.

Israels Armee hatte sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen. Die Hamas siegte im Jahr darauf bei einer Parlamentswahl. 2007 übernahm sie gewaltsam die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen.

Israel: Hamas-Hauptquartier unter Al-Schifa-Spital

Erklärtes Ziel Israels in der nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober gestarteten Militäroffensive im Gazastreifen ist eine nachhaltige Zerschlagung der Hamas. Israelische Bodentruppen drangen zuletzt weiter in dicht besiedelte Stadtviertel von Gaza-Stadt vor. Zuletzt mehrten sich Berichte über Kampfhandlungen in der Nähe mehrerer Spitäler.

Nach palästinensischen Angaben haben sich die Kämpfe in der Nacht auf Samstag in der Nähe der überfüllten Krankenhäuser im Gazastreifen intensiviert. Israel wirft der Hamas seit Beginn der Offensive im Gaza-Streifen vor, sich unter anderem in Spitälern zu verstecken. Unter dem größten Krankenhaus von Gaza-Stadt, dem Al-Schifa-Spital, vermutet Israel das Hauptquartier der Hamas. Daran erinnerte am Freitag auch der israelische Regierungssprecher Ejlon Levi. Die Einrichtung könne deswegen ihren Schutzstatus verlieren und zu einem legitimen Ziel werden, so Levi.

Hamas: Al-Schifa-Spital stellt Betrieb ein

Auf dem Gelände des größten und laut Hamas seit Samstag nicht mehr in Betrieb befindlichen Krankenhauses in Gaza-Stadt, dem Al-Schifa-Spital, habe es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Freitag eine Explosion gegeben. Die Hamas sprach von 13 Toten und etlichen Verletzten. Ein Sprecher der WHO sagte am Freitag, das Spital sei „unter Beschuss geraten“, und fügte hinzu, dass bereits 20 Krankenhäuser im Gazastreifen völlig außer Betrieb seien.

Auf den Hamas-Vorwurf, der Innenhof des Krankenhauses sei von Israel angegriffen worden, angesprochen, sagte WHO-Sprecherin Margaret Harris: „Ich kenne keine Einzelheiten über das al-Schifa, aber wir wissen, dass es bombardiert wird.“ Auf Nachfrage sagte sie, dass es dort „intensive Gewalt“ gebe, und zitierte Kollegen in dem Spital. Die Berichte ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Israels Armee sagte, sie prüfe die Berichte.

Bericht: Tausende geflohen

Ein ranghoher israelischer Sicherheitsbeamter sagte laut AP, dass eine Überprüfung stattfinde und dass erste Ergebnisse darauf hindeuteten, dass ein Angriff auf das Al-Schifa-Spital das Ergebnis eines Fehlschusses von Militanten gewesen sei.

Tausende Menschen, die zuvor im und um das Krankenhaus Zuflucht gesucht hatten, hätten das Gelände angesichts der Explosionen verlassen, berichtete AP mit Verweis auf Augenzeugen. Nur einige hundert, darunter schwer verletzte Patientinnen und Patienten, seien zurückgeblieben. Ärzte des Al-Schifa-Krankenhauses waren aufgrund von Störungen der Telefon- und Internetverbindungen nicht für eine Stellungnahme zu erreichen, so die BBC.

„Herzstück“ von Hamas-Aktivitäten

Das israelische Militär hatte am Donnerstag Angriffe in einem als „Militärviertel“ der Hamas bezeichneten Stadtteil in der Nähe der Al-Schifa-Klinik mitgeteilt. Soldaten lieferten in dem Gebiet Dutzenden Terroristen Kämpfe, hieß es weiter. Tunnelschächte und Fabriken zur Raketenherstellung seien dort zerstört worden.

Nach Angaben der Armee handelt es sich bei dem Gebiet um „das Herzstück der geheimdienstlichen und operativen Aktivitäten der Hamas“. Dort sei auch das Massaker vom 7. Oktober im israelischen Grenzgebiet geplant worden. Erkenntnissen israelischer Geheimdienste zufolge missbraucht die in dem Küstengebiet herrschende Hamas auch die Al-Schifa-Klinik als Kommando- und Kontrollzentrum. Auch diese Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Spitäler in Gaza laut OCHA-Datenbank und OpenStreetMap-Einträgen, zum Zoomen Touchscreen oder blaue Buttons (rechts) verwenden

WHO: Nur noch Notbetrieb möglich

Berichte von sich nähernden Kampfhandlungen gab es am Freitag auch vom Al-Kuds-Spital. Noch seien keine israelischen Bodentruppen auf dem Gelände, „aber das Krankenhaus ist von allen Seiten von Panzern umgeben, und ich höre ständig Zusammenstöße und Explosionen“, zitierte die BBC einen Krankenhausmitarbeiter. Das indonesische Außenministerium berichtete zudem von Explosionen in der Nähe eines ebenfalls in Gaza-Stadt befindlichen, von Indonesien finanzierten Spitals.

Laut WHO sind im Gazastreifen nur noch 16 Krankenhäuser im Betrieb, und auch diese würden nur noch im Notbetrieb laufen. Vielfach fehle es an Desinfektionsmittel, Anästhetika und an Strom, weswegen eine normale Versorgung von Patientinnen und Patienten vielfach nicht mehr möglich sei. Zudem hätten die noch funktionierenden Krankenhäuser teils doppelt so viele Patienten wie Betten.

UNO-Flaggen am Montag auf halbmast

Die Hamas gab die Zahl der im Gaza-Krieg getöteten Menschen am Freitag mit über 11.000 an. Es müsse noch „viel mehr getan werden, um die Zivilbevölkerung zu schützen und ihr humanitäre Hilfe zukommen zu lassen“, sagte zuvor US-Außenminister Antony Blinken: „Viel zu viele Palästinenser wurden getötet. Viel zu viele haben in den vergangenen Wochen gelitten.“

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) bezeichnete den Gaza-Krieg am Freitag auch als den tödlichsten Konflikt in so kurzer Zeit, den die UNO zuletzt erlebt hat.

UNO-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen werden am Montag weltweit eine Schweigeminute einlegen und die Flaggen auf halbmast setzen, um des Todes von mehr als 100 UNO-Mitarbeitern im Gazastreifen seit dem 7. Oktober zu gedenken. „Sie repräsentieren, was mit den Menschen in Gaza geschieht. Sie arbeiten zufällig für die UNO“, sagte UNRWA-Kommunikationsdirektorin Juliette Touma gegenüber Reuters.