Szene beim Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza
Reuters/Ahmed El Mokhallalati
Israel

Leiche weiterer Geisel nahe Spital entdeckt

Das israelische Militär hat am Freitag nach eigenen Angaben die Leiche einer Soldatin geborgen, die von der radikalislamischen Hamas als Geisel gehalten worden sei. Die Hamas habe die Soldatin in einem Gebäude in der Nähe des Al-Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt festgehalten, teilte das Militär mit. Bereits am Vorabend wurde die Bergung einer toten Geisel in der Nähe des Spitals gemeldet – die Zivilistin war den Angaben zufolge aus dem israelischen Grenzort Be’eri verschleppt worden.

Im Fall der 19-jährigen Soldatin Noa Marciano hatte das israelische Militär schon am Dienstag deren Tod gemeldet. Zu dem Zeitpunkt war unklar, woher das Militär die Information über den Tod der Frau hatte und ob ihre Leiche bereits in der Obhut der Armee war. Es war das erste Mal, dass Israel einen zuvor von der Hamas behaupteten Todesfall unter den Geiseln bestätigte. Die Todesursache wurde nicht mitgeteilt.

Der bewaffnete Arm der Hamas, die Al-Kassam-Brigaden, hatte zuvor über Telegram ein Video der Frau veröffentlicht. Dabei war sie unter anderem mit schwersten Verletzungen zu sehen. Die Terrororganisation behauptete, die Soldatin sei am 9. November bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen getötet worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Tote Zivilistin von Gerichtsmedizin identifiziert

Im Falle der am Donnerstag gefundenen toten Zivilistin hätten Gerichtsmediziner die Leiche identifiziert, die Familie sei informiert worden. Der Leichnam der Frau mit dem Namen Jehudit Weiss sei „in einer an das Al-Schifa-Krankenhaus angrenzenden Struktur“ entdeckt worden, erklärte die Armee.

In dem Gebäude seien auch Waffen wie Maschinenpistolen und Panzerfäuste gefunden worden. „Jehudit wurde von den Terroristen im Gazastreifen ermordet, und wir haben es nicht geschafft, sie rechtzeitig zu erreichen“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari.

Israel: Eingang zu Tunnel in Al-Schifa-Spital entdeckt

Zugleich meldete die Armee, man habe am Freitag die Suche nach mutmaßlichen Hamas-Verstecken intensiviert. „Wir konzentrieren uns auf das, was unter der Erde liegt, einschließlich der Krankenhäuser“, sagte Hagari am Donnerstagabend. Soldaten hätten „den Eingang zu einem Tunnel im Al-Schifa-Krankenhaus entdeckt, und Militäringenieure sind derzeit dabei, die Infrastruktur dort auszugraben“. Die Soldaten würden „Gebäude für Gebäude“ jedes Stockwerk durchsuchen.

Gegend um das Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza
Reuters/Ahmed El Mokhallalati
Im Hof des Al-Schifa-Spitals sind Zelte und Verschläge errichtet, hier sind vertriebene Palästinenser untergebracht

Nach Angaben der israelischen Armee sei man auch auf Kommando- und Kontrollzentren gestoßen. Was damit konkret gemeint ist, ließ ein Militärvertreter offen. Es wurden dort demnach auch Waffen, Computer und militärische Ausrüstung gefunden. Unklar blieb, ob es sich bei einem der entdeckten Zentren auch um die von der Armee unter dem Krankenhaus vermutete Hamas-Kommandozentrale handelte. Die Hamas bestreitet die Existenz eines solchen Stützpunkts unter der Klinik.

Israel meldet Tod von zwei Geiseln

Die israelische Armee gibt an, die Leichen von zwei Geiseln gefunden zu haben. Sie seien von der Hamas am 7. Oktober verschleppt worden.

Spital am Mittwoch erreicht

Die Armee hatte einen Teil des größten Krankenhauses im Gazastreifen bereits am Mittwoch gestürmt. Nach Darstellung der Hamas habe die Armee mehrere Abteilungen des Spitals zerstört. Zugleich äußerten die USA angesichts eines Angriffs auf das Jordanien-Spital mit mehreren Verletzten „große Sorge“ und sprachen sich erneut gegen Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen aus – ohne jedoch Israel direkt zu beschuldigen.

Israel wirft der Hamas vor, unter Gesundheitseinrichtungen Waffenverstecke und Kommandozentralen eingerichtet zu haben – Angaben, die von den USA unterstützt und von der Hamas zurückgewiesen werden. Militärsprecher Hagari sagte am Freitag, die Armee werde die Vermissten ausfindig machen und die Entführten nach Hause zurückbringen. Man werde nicht nachlassen, bis diese Mission erfüllt sei, schrieb er weiter.

Großeltern von Geiseln: „Nehmt uns stattdessen“

Die israelische Zeitung „Haaretz“ berichtete am Freitag von neun Geiselangehörigen, die den Austausch gegen ihre Enkelkinder forderten. „Nehmt uns stattdessen“, riefen sie nahe der Grenze in Richtung Gaza. Die Großeltern der Geiseln erklärten, sie hätten darauf bestanden, auf Motorrädern zur Grenze nach Gaza zu fahren, weil die Hamas ihre Angehörigen auf diese Weise als Geiseln genommen habe. Der Konvoi bestand aus 45 Motorrädern, so „Haaretz“.

Netanjahu: Minimierung ziviler Opfer gelingt uns nicht

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte zugleich, dass in der Al-Schifa-Klinik auch Geiseln festgehalten worden sein könnten. „Wir hatten konkrete Hinweise, dass sie im Al-Schifa-Krankenhaus festgehalten wurden, was einer der Gründe ist, warum wir das Krankenhaus betreten haben“, sagte Netanjahu den „CBS Evening News“. „Wenn sie dort waren, wurden sie herausgeholt.“

Zugleich gestand Netanjahu ein, dass zwar versucht werde, den Militäreinsatz im Gazastreifen mit einem Minimum an zivilen Opfern zu beenden, das aber „leider nicht gelingt“, wie er in dem Interview mit dem US-Sender sagte. „Jeder Tod eines Zivilisten ist eine Tragödie. Wir versuchen alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Zivilisten aus der Gefahrenzone zu bringen, während die Hamas alles tut, um sie dort festzuhalten.“

Israel: Liefern Wasser und Essen für Al-Schifa-Klinik

Am Freitag meldete das israelische Militär, dem Al-Schifa-Krankenhaus mehr als 4.000 Liter Trinkwasser und 1.500 Essensrationen geliefert zu haben. Das teilte das Militär am Freitag via X (Twitter) mit. Fotos zeigten einen Lastwagen mit Wasserflaschen und das Abladen einer Palette durch einen Gabelstapler. Die Informationen des Militärs ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Telefonnetz ausgefallen

In Gaza fiel am Donnerstag erneut das Telefonnetz aus. Der örtliche Netzbetreiber Paltel teilte mit, dass die gesamte Telekommunikation erneut ausgefallen sei, weil „alle Energiequellen, die das Netz versorgen, erschöpft sind und kein Treibstoff nachgeliefert werden durfte“. Die UNO warnte, dass der Ausfall die Verteilung der Hilfsgüter erschweren und zu Plünderungen führen könnte. Am Freitag beschloss das israelische Kriegskabinett, pro Tag nun zwei Lkws mit Treibstoff nach Gaza zu schicken, um die notwendigste Versorgung sicherzustellen.

Israel: „Werden in anderen Gebieten weitermachen“

Unterdessen kündigte der israelische Generalstabschef Herzi Halevi eine Ausweitung der Einsätze im Gazastreifen an. „Wir sind kurz davor, das militärische System im nördlichen Gazastreifen zu zerschlagen (…) wir werden in anderen Gebieten weitermachen“, sagte Halevi laut Mitteilung am Freitag bei einem Truppenbesuch in Gaza. „Es bleibt zwar noch einiges zu tun, aber wir sind auf dem besten Weg.“ Hamas-Kommandeure müssten „systematisch“ ausgeschaltet und Infrastruktur zerstört werden. Dazu würden „immer mehr Regionen ins Visier“ genommen.

Bisher konzentrierten sich Israels Bodentruppen in den vergangenen Wochen auf den nördlichen Teil des Gazastreifens. Fachleute gehen aber von einer möglichen Ausweitung der Einsätze auch im Süden aus. Dort kommt es bereits immer wieder zu Luftangriffen. Eine mögliche Bodenoffensive könnte die ohnehin verheerende humanitäre Situation noch weiter verschärfen. Knapp 1,6 der rund 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner des Küstengebiets sind nach UNO-Angaben infolge der Kämpfe auf der Flucht.

Guterres: „Müssen auf Mittelweg bleiben“

Unterdessen wehrte sich der Generalsekretär der UNO, Antonio Guterres, am Donnerstag gegen die Vorwürfe, die UNO sei im Krieg zwischen Israel und der Hamas voreingenommen. Die Vereinten Nationen müssten sich an Prinzipien halten, betonte Guterres im ZIB2-Interview. „Wir müssen auf dem Mittelweg bleiben. Und so werden wir weder die eine noch die andere Seite zufriedenstellen können.“

Der 74-jährige Portugiese steht seit geraumer Zeit in der Kritik Israels. Außenminister Eli Cohen sprach ihm zuletzt die Berechtigung für sein Amt ab. „Guterres verdient es nicht, an der Spitze der Vereinten Nationen zu stehen“, sagte Cohen. „Guterres sollte wie alle freien Nationen klar und laut sagen: ‚Befreit Gaza von der Hamas‘“, forderte Cohen. Der UNO-Generalsekretär stelle sich nicht entschieden genug gegen den Terror der Hamas.

UNO-Generalsekretär zur Kritik Israels

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres spricht unter anderem über Israels Kritik, nachdem er Verständnis für die Palästinenser gezeigt hatte.

Am Donnerstag wiederholte der UNO-Generalsekretär in der ZIB2, dass seine Aussage verdreht wurde. „Denn was ich gesagt habe, war, dass das palästinensische Volk leidet. Und niemand kann leugnen, dass das palästinensische Volk nach 56 Jahren der Besatzung leidet, mit dem Bau von Siedlungen und der fehlenden Hoffnung auf einen palästinensischen Staat.“

Hoffnungen auf Geiseldeal

Derweil scheint sich 40 Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ein Geiseldeal anzubahnen. Im Gespräch ist angeblich eine Freilassung von mindestens 50 Menschen im Gegenzug für eine Feuerpause. In den USA sagte Präsident Joe Biden, er sei „leicht hoffnungsvoll“ mit Blick auf eine Befreiung der Geiseln. Der UNO-Sicherheitsrat drängte Israel in einem unerwartet einigen Votum zu mehrtägigen Feuerpausen.

Im Gespräch seien die Freilassung von mindestens 50 Frauen und Kindern und eine drei bis fünf Tage lange Feuerpause, sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person der dpa am Donnerstag.

Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen hatten in Israel beim Angriff vom 7. Oktober etwa 1.200 Menschen ermordet. Zugleich wurden etwa 240 Menschen als Geiseln verschleppt. Daraufhin begann Israel Luftangriffe und Ende Oktober eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben mehr als zehntausend Menschen getötet.