Ärztin behandelt eine Patientin
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Gesundheitsreform

„Mittlerer“ statt großer Wurf

Am Mittwoch hat der Ministerrat die geplante Gesundheitsreform abgesegnet. Seit Monaten wurde über Maßnahmen und Kompetenzen verhandelt. Die Regierung lobte sich für die Reform, die Ärztekammer, die auf die Barrikaden gestiegen war, sah ein „brauchbares“ Ergebnis. Kritik kam von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und von der Opposition. Nach Ansicht von Gesundheitsexperte Thomas Czypionka ist die Reform ein „mittlerer“ Wurf.

Grundsätzlich seien schon Verbesserungen möglich, sollte sich die Politik an ihren Gesetzespläne halten, sagte der Experte des Instituts für Höhere Studien (IHS) im Ö1-Mittagsjournal. Dennoch sei die gewünschte Kompetenzbereinigung, die „seit Jahrzehnten nicht gut funktioniert“, nicht umgesetzt worden. Das Machtverhältnis zwischen Ärztekammer und Sozialversicherung sei ein wenig ausbalanciert worden, so Czypionka. Eine Entmachtung der Kammer, wie diese befürchtet hatte, sah er aber nicht. Ähnlich argumentierte Gesundheitsexperte Martin Sprenger – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Damit dürfte die Ärztekammer wohl auch zufrieden sein. Zwar sieht sie „noch Gesprächsbedarf“, etwa bei den ärztlichen Stellenplänen. Aber alle Beteiligten hätten gemeinsam ein Paket zustande gebracht, „das die gröbsten Fehlentwicklungen verhindern wird“, befand Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart. Er hob etwa hervor, dass „Maßnahmen gegen die Sozialpartnerschaft“ im Gesundheitswesen sowie die Wirkstoffverschreibung (statt bestimmter Arzneimittel) aus dem Paket gestrichen wurden.

Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer fehlte eine „verbindliche, objektive und funktionierende Lenkung der Patientenströme“ zur Entlastung der Spitäler. Als wichtige „Verbesserungen“ wurde hervorgehoben, dass es beim bundesweit einheitlichen Gesamtvertrag kein Enddatum für den Abschluss gebe. „Damit ist das drohende Einfrieren der Verträge ab 2026 vom Tisch, und wir können hier auf Augenhöhe verhandeln“, meinte Edgar Wutscher, Ärztekammer-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.

ÖGK kritisiert Verwässerung der Reform

Der Gesundheitskasse ist das freilich ein Dorn im Auge: „Die Gesundheitsreform ist gut gelungen, leider wurde auf Druck der Ärztekammer der Abschluss des österreichweiten Gesamtvertrags und der einheitlichen Leistungen auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben“, sagte ÖGK-Obmann Andreas Huss. „Dies, um den neun Landesärztekammern die Verhandlungshoheit mit weiterhin neun unterschiedlichen Ergebnissen zu sichern.“

„Fragwürdig“ ist für Huss auch die „Priorisierung“ bei der Aufteilung der zusätzlichen Finanzmittel aus dem Finanzausgleich. Für die Krankenhäuser wurden 600 Millionen Euro zusätzlich beschlossen, „für das Hauptziel Ausbau niedergelassene Versorgung kommen nur 300 Millionen Euro jährlich“, kritisierte Huss – „das ist zu wenig für den Ausbau einer ausreichenden Versorgung“. Positiv hervorgehoben wurde etwa, dass Wahlärzte künftig das E-Card-System, das E-Rezept und ELGA nutzen müssen.

Finanzausgleich im Ministerrat beschlossen

Der von Bund, Ländern und Gemeinden ausgehandelte Finanzausgleich zur Verteilung von Steuermitteln für die kommenden fünf Jahre ist im Ministerrat beschlossen worden. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sprach von einem „Pakt für die Zukunft“ mit „großem Reformcharakter“. Mit dem Finanzausgleich verknüpft ist eine umfassende Gesundheitsreform. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hob den mit 1,1 Milliarden Euro dotierten Zukunftsfonds als neues Instrument hervor, mit dem Kinderbetreuung, Sanierung und der Ausbau erneuerbarer Energie unterstützt werden sollen.

Der Dachverband der Sozial- und Gesundheitsunternehmen und die Gewerkschaften vida und GPA, die derzeit den Kollektivvertrag Sozialwirtschaft verhandeln, forderten mehr Mittel für Pflege im Finanzausgleich. In einem offenen Brief verlangten sie Nachjustierungen, weil derzeit viele Beschäftigte den Pflegebonus nicht bekommen würden, obwohl ihre Tätigkeit das rechtfertigen würde. Die Arbeiterkammer begrüßte, dass der Stellenplan künftig „nicht mehr von einzelnen Akteuren unterlaufen werden kann“.

Opposition sieht keine Verbesserungen

Im Zuge der Budgetdebatte im Nationalrat zerpflückte die Opposition die Reform. FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak attestierte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), in den Verhandlungen mit der Ärztekammer „über den Tisch gezogen“ worden zu sein. Die in Aussicht gestellten 100 zusätzlichen Kassenstellen seien ein „Marketinggag“: Man schaffe „100 hochsubventionierte neue Stellen“, zugleich würden sich aber keine Ärzte und Ärztinnen finden, die einen normalen Kassenvertrag annehmen wollen.

SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher sah „durchaus Schritte in die richtige Richtung“, wenngleich „die Schritte allesamt viel zu klein sind“. Um mittelfristig keinen Ärztemangel mehr zu haben, werde man die Medizinstudienplätze verdoppeln müssen und dabei jene bevorzugen, die bereit seien, dem österreichischen öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung zu stehen, bekräftigte er etwa in einer Aussendung.

Kritik kam auch von NEOS-Abgeordneter Fiona Fiedler. Die Finanzierung von Kassenstellen aus Bundesmitteln etwa sei „nur ein Eingeständnis, dass die Sozialversicherung ihre Aufgaben alleine nicht erfüllen kann“, sagte sie. Sie vermisste etwa „strukturierte Versorgungsprogramme für chronisch Kranke“ und eine verpflichtende Teilnahme an ELGA. Man sehe in diesem Budget „keine ernsthaften Reformen“, so ihr Schluss.

Gesundheitsreform mit Kompromissen

Die Gesundheitsreform sei ein „Kraftakt“ gewesen, hat Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) gesagt. Das zentrale Anliegen sei gewesen, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern, davon sollten aber auch Ärztinnen, Ärzte und andere Gesundheitsberufe profitieren. Die gegenüber der Ärztekammer gemachten Abstriche in einigen Punkten der ursprünglich geplanten Reform verteidigte Rauch als Kompromiss und betonte, dass „jedes Vetorecht der Ärztekammer gefallen“ sei. Dieses sei antiquiert gewesen und habe zu Blockaden geführt.

Nüchtern fiel die Reaktion aus Kärnten aus, dem aktuellen Vorsitzland der LH-Konferenz. „Dass der österreichweite Gesamtvertrag zwischen Ärztekammer und ÖGK auf ungewisse Zeit verschoben und die Wirkstoffverschreibung gestrichen wurde, ist schade“, meinte die Kärntner Landesrätin Beate Prettner (SPÖ). Die Gesundheitsreform sei vom „frischen Geld“ her gesehen „bescheiden“, aber nichtsdestoweniger „ein dringend notwendiges Signal – und der erste Schritt zu unerlässlichen Strukturreformen“.

Koalition: „Gewonnen haben die Patienten“

Rauch selbst wies auf die erzielten Punkte hin, es gehe für Patientinnen und Patienten darum, „schneller zu Arztterminen zu kommen, weniger oft Wahlärzte und Wahlärztinnen in Anspruch nehmen zu müssen“ und ein besseres Angebot auch am Abend und ganztags zu haben. Von der Reform würden auch Ärztinnen und Ärzte profitieren, sagte er, „weil die Gesamtbedingungen attraktiviert werden“.

ÖVP-Abgeordneter Josef Smolle verwies auf die getroffenen Maßnahmen, langfristig befinde man sich auf „stabilem Weg“. Unter anderem hob er die Gratis-HPV-Impfung für Jugendliche hervor, die ein „Meilenstein“ sei. Ganz anders als die Opposition urteilte auch der grüne Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner: „Gewonnen haben die Menschen, die Patienten und Patientinnen in diesem Land“ – „weil die E-Card statt der Kreditkarte zum Einsatz kommt“ und man sich weg von der Zweiklassenmedizin bewege.

Dezember soll Nationalratsbeschluss folgen

Die mit dem Finanzausgleich verbundene Gesundheitsreform soll nach den Plänen der Regierung noch im Dezember im Nationalrat beschlossen werden und am 1. Jänner 2024 in Kraft treten. Rund 300 Millionen Euro pro Jahr fließen zusätzlich in den niedergelassenen Bereich, rund 600 Millionen Euro sind im Finanzausgleich für Spitalsambulanzen sowie für Strukturreformen vorgesehen.

Teil der Gesundheitsreform sind Digitalisierung und Neuerungen in den Bereichen Gesundheitsförderung, beim Impfen, der Medikamentenversorgung und nicht zuletzt in der Pflege (mit einer Aufstockung des Pflegefonds von 455 Mio. auf 1,2 Mrd. Euro pro Jahr). Der Bund verpflichtet sich zu den angekündigten zusätzlichen Stellen für Kassenärzte.

Die geplanten Einschränkungen bei der Gesamtvertragshoheit der Ärzte (samt Einfrieren der Honorare ab 2025 bei Nichteinigung) fielen letztlich weg. Dass die Sozialversicherung künftig Einzelverträge mit Ärzten abschließen kann, wurde gestrichen. Auch eine Pflicht zur Wirkstoffverschreibung kommt entgegen ursprünglichen Plänen doch nicht.