Wolfgang Sobotka
APA/Eva Manhart
Pilnacek-Audio

Nehammer steht zu Sobotka

Nachdem am Dienstag eine heimliche Tonbandaufnahme des verstorbenen Christian Pilnacek aufgetaucht ist, in der der suspendierte Justizsektionschef schwere Vorwürfe gegen die ÖVP erhoben hat, fordert die Opposition den Rücktritt von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Der Grund: Pilnacek sagt in dem Audio, die ÖVP und namentlich Sobotka habe versucht, in Ermittlungen bei ihm zu intervenieren. ÖVP-Chef Karl Nehammer dazu am Mittwoch: „Sobotka hat mein Vertrauen.“

Der zuletzt suspendierte Sektionschef Pilnacek, einst mächtigster Mann im Justizministerium, verstarb vor wenigen Wochen. Nun tauchte eine heimliche Aufnahme eines Gesprächs von Pilnacek bei einer abendlichen Runde mit Bekannten in einem Wiener Innenstadtlokal Ende Juli auf, dem ORF liegt ein etwa zehnminütiger Mitschnitt vor. Darin ist Pilnacek zu hören, wie er seinen Bekannten sagt, die ÖVP habe verlangt, dass er Ermittlungen einstelle und Hausdurchsuchungen verhindere, was er stets alles abgewehrt habe.

„Moralisch nicht vertretbar“

Nehammer ortete am Tag nach Bekanntwerden der Aussagen „einen Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“. „Ich muss ganz offen sagen, dass ich es persönlich mehr als pietätlos finde, was hier gerade passiert“, sagte der ÖVP-Chef im Pressefoyer nach dem Ministerrat. „Um Politik zu machen, wird die Totenruhe gestört.“ Das warf der Kanzler auch Journalisten vor: „Sie würden mir die Frage nicht stellen, würden Sie die Totenruhe nicht stören.“

Pilnacek könne sich nicht mehr dazu äußern, sagte Nehammer, das sei „moralisch nicht vertretbar“. Er werde sich daher nicht an dieser Diskussion beteiligen. Auch der ÖVP-Chef verwies wie schon sein Generalsekretär Christian Stocker tags zuvor darauf, dass Pilnacek in Untersuchungsausschüssen unter Wahrheitspflicht klar gesagt habe, dass es keine Interventionen gegeben habe.

SPÖ: „Schaden von Republik abwenden“

Die Opposition erneuerte indes die Rücktrittsforderungen an Sobotka – geschlossen wurde bei der Budgetdebatte im Nationalrat der Rückzug der Parlamentschefs gefordert. Der geschäftsführende SPÖ-Klubobmann Philip Kucher meinte bei der von ihm gestarteten Geschäftsordnungsdebatte, Sobotka müsse wissen, was zu tun sei, um Schaden von der Republik abzuwenden. Das Amt werde durch ihn beschädigt: „Genug ist genug.“

Krainer sieht Van der Bellen in der Pflicht

Zu Wort meldete sich auch noch einmal der einstige SPÖ-Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss, Kai Jan Krainer. Er forderte Sobotka ein weiteres Mal auf, das Amt zurückzulegen. Außerdem sah Krainer nicht mehr nur das Justizministerium in der Pflicht, sämtliche von Pilnacek erhobenen Vorwürfe aufzuklären, sondern auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Es sei „an der Zeit, dass der erste Mann im Staat hier Wort ergreift, denn es kann ihm ja nicht egal ist, wer der Mann hinter ihm ist“.

Einen Untersuchungsausschuss der Opposition zu Pilnaceks Aussagen – wie ihn tags zuvor die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer von sich aus für möglich gehalten hatte – erachtet Krainer für nicht notwendig, denn: „Die Frage der politischen Verantwortung ist hier gar keine Frage mehr.“

Ausführlich sprach FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, er ortete eine ganze Kette von schwerwiegenden Verfehlungen, die mit dem Nationalratspräsidenten im Zusammenhang stünden. Der zweithöchste Mann der Republik stehe im Verdacht, die Institutionen zum Durchsetzen parteipolitischer Machtinteressen zu missbrauchen, und dann fehlten ihm noch Horizont und Anstand zu wissen, was notwendig wäre.

Meinl-Reisinger für Untersuchungskommission

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach sich bei einer Pressekonferenz für eine unabhängige Untersuchungskommission im Justizministerium aus, etwa unter Vorsitz einer Person wie der ehemaligen OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Abgeordneten Irmgard Griss nach dem Vorbild jener Kommission nach dem Terroranschlag in Wien. Diese Frage habe sie auch mit Justizministerin Alma Zadic (Grüne) erörtert.

Gleichzeitig brauche es eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss bringe dagegen aufgrund der geringen zur Verfügung stehenden Zeit und der zu erwartenden „Schlammcatcherei“ nichts.

Grüne reagieren zurückhaltend

Die Grünen reagierten weiterhin zurückhaltend. Der im Pressefoyer als Grünen-Vertreter anwesende Gesundheitsminister Johannes Rauch verwies darauf, dass seine Parteikollegin Zadic die „Garantin“ dafür sei, dass Dinge aufgeklärt werden – „in aller Ruhe, in aller Sorgfalt, in aller Deutlichkeit“. Generalsekretärin Voglauer hatte am Dienstag auch gemeint, sie an Sobotkas Stelle hätte auch angesichts früherer Vorwürfe „schon längst den Hut genommen, um das Ansehen dieses hohen Amtes zu schützen“.

Nehammer: „Sobotka hat mein Vertrauen“

„Sobotka hat mein Vertrauen“, hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach dem Ministerrat gesagt. Auch er sprach von einem „Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung“, das sei moralisch nicht vertretbar. Er finde es „persönlich mehr als pietätlos, was hier gerade passiert“. Um Politik zu machen, werde die Totenruhe gestört. Pilnacek könne sich nicht mehr dazu äußern. Nehammer wolle sich daher nicht an dieser Diskussion beteiligen.

In einer schriftlichen Stellungnahme schrieb sie: „Was das Tonband wieder einmal aufbringt, ist, dass es früher offensichtlich ein Problem gegeben hat“, konkret nämlich, „dass es immer wieder die Versuche gegeben hat, dass man Einfluss auf die Justiz nimmt“. Das gehe, wie das auch in der Aufnahme angedeutet werde, mindestens ein Jahrzehnt zurück. „Das ist nichts Neues“, so Voglauer, aber: „Allein der Eindruck, dass das so gewesen sein könnte, ist Gift für eine Demokratie.“

Stocker: „Aufgewärmte Vorwürfe“

ÖVP-Generalsekretär Stocker sah hingegen „aufgewärmte Vorwürfe“, um politisches Kleingeld zu wechseln – „am Rücken eines Menschen, der sich nicht mehr wehren kann“. Sobotka selbst sicherte zu, die von der Opposition gewünschte Sonderpräsidiale einzuberufen und dort alles „umfänglich“ anzusprechen. Ihm gehe es darum, dem Rechtsstaat zum Durchbruch zu verhelfen. Konkreter wurde der Nationalratspräsident nicht.

ÖVP bringt Petzner ins Spiel

Fragen zu möglichen Hintermännern der heimlichen Aufnahme stellte Stocker indes in einer Pressekonferenz und brachte auch einen Namen ins Spiel: jenen des früheren BZÖ-Politikers Stefan Petzner, der Verbindungen zur FPÖ habe. Petzner hatte in einem Interview auf oe24.tv am 6. November 2022 gesagt: „Auf den Wolfgang Sobotka kommt noch einiges zu, er weiß es nur noch nicht.“ Laut Stocker würden sich angesichts dieser Aussagen einige Fragen ergeben, „die beantwortet werden müssen“.

Beschuldigen wollte Stocker laut eigener Aussage Petzner nicht. „Ich unterstelle überhaupt nichts, aber ich stelle Fragen“, meinte er auf Nachfrage. Die Aussage des nunmehrigen Politberaters sei zudem vor dem angeblichen Aufnahmedatum des Tonbandmitschnitts mit Pilnacek erfolgt. Die Frage sei also, welche Informationen Petzner hatte und von wem. „Das sind Fragen, die man stellen muss. Stefan Petzner wird sie beantworten müssen aus meiner Sicht“, so der ÖVP-Generalsekretär.