Sitzungssaal des Untersuchungsausschuss im Parlament
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U-Ausschüsse im Wahljahr

„Zeitpunkt lässt Schlimmes befürchten“

Zwei Untersuchungsausschüsse werden im kommenden Jahr das Parlament und wohl auch die Öffentlichkeit beschäftigen. SPÖ und FPÖ wollen die zahlreichen Förderungen durch die Covid-Finanzierungsagentur (COFAG) näher beleuchten, die ÖVP will einen „rot-blauen Sumpf“ näher erkunden. Für die angekündigte Aufklärung bleiben den Parteien aber nur wenige Monate Zeit – findet doch 2024 die Nationalratswahl statt.

„Der Zeitpunkt der U-Ausschüsse lässt Schlimmes befürchten“, betont Politologe Peter Filzmaier im ORF.at-Gespräch. Das Dilemma sei, dass es zeitlich unmöglich ist, zu tiefer gehenden Ergebnissen zu kommen. Bis die U-Ausschüsse eingesetzt sind, die Akten geliefert werden und die ersten Befragungen stattfinden, werde der Wahlkampf bereits auf Hochtouren laufen, meint Filzmaier. „So sehr die Gegenstände der U-Ausschüsse auch interessant sind, so sehr fragt man sich: Warum erst jetzt und nicht schon vor einem Jahr?“

Gespräche zwischen SPÖ und FPÖ über einen weiteren U-Ausschuss liefen bereits seit Wochen. Der Untersuchungszeitraum wurde laut Verlangen von Dezember 2017 bis November 2023 definiert. Konkret anschauen wollen sich die Abgeordneten von SPÖ und FPÖ eine „Zweiklassenverwaltung wegen Bevorzugung von Milliardären durch ÖVP-Regierungsmitglieder“. Der U-Ausschuss knüpft also nahtlos an den im April beendeten ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss an.

Christian Hafenecker und Kai Jan Krainer
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Christian Hafenecker (FPÖ) und Kai Jan Krainer (SPÖ) kündigten ihren neuen U-Ausschuss an

Die ÖVP reagierte auf den U-Ausschuss mit einem eigenen. Dieser soll sich mit den Regierungsbeteiligungen von SPÖ und FPÖ ab 2007 beschäftigen. Man bringe diesen alleine als Minderheitenverlangen ein, daher sei das auch kein Koalitionsbruch gegenüber den Grünen, sagte ÖVP-Mandatar Andreas Hanger. Im Fokus stehen Beauftragungen von Inseraten, Werbeagenturen und Umfragen, das Beschaffungswesen und Personalentscheidungen der jeweiligen SPÖ- und FPÖ-Ministerien.

Harte Bandagen statt Glaceehandschuhe

Für Politikberater Thomas Hofer sind die beiden U-Ausschüsse ein klares Zeichen für einen „intensiven Wahlkampf“, wie er im Gespräch mit ORF.at sagt. Man befinde sich schon jetzt in einem Vorwahlkampf, in dem die Parteien mit eigenen Positionen glänzen wollten. Nun werde die „politische Kampfzone“ mit Hilfe von U-Ausschüssen ausgeweitet. Es sei klar, dass SPÖ und FPÖ die Erzählung einer „korrupten ÖVP“ im Wahljahr weiterspinnen wollen. „Die ÖVP antwortete mit einer Volte, in dem man mit dem Finger auch auf die anderen zeigt“, so Hofer.

Andreas Hanger
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Andreas Hanger (ÖVP) will einen „rot-blauen Sumpf“ erkunden

Per Gesetz müssen die Untersuchungsausschüsse drei Monate vor der Nationalratswahl beendet werden. Dementsprechend wird die Zeit für die Aufklärungsarbeit äußerst gering sein. „Der Wahlkampf wird nicht in Glaceehandschuhen geführt, sondern mit harten Bandagen“, sagt Hofer. Und je näher der Nationalratswahltag rückt, desto emotionaler und gereizter würden die Debatten in den U-Ausschüssen werden. Vor der Nationalratswahl findet die EU-Wahl statt.

Auch Filzmaier geht davon aus, dass die U-Ausschüsse am Ende unter Generalverdacht gestellt werden. „Natürlich kann man die Themen, die SPÖ und FPÖ sowie ÖVP klären wollen, aufarbeiten. Aber die Zeit ist zu knapp, und am Ende werden die U-Ausschüsse aufgelöst werden“, sagt der Experte. Sowohl von den Oppositionsparteien als auch von der ÖVP sei die Herangehensweise „etwas durchsichtig“. Der Zeitpunkt sei offenbar auch so gewählt worden, dass man die Aufklärung nicht abschließen kann. „Vor einem Jahr wäre das sinnvoller gewesen.“

Sobotka erneut im Zentrum der Aufklärung

Für zusätzlichen Zündstoff könnte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sorgen. Er hatte bereits mitteilen lassen, dass er bei beiden U-Ausschüssen den Vorsitz führen wird. Das muss er als Präsident des Nationalrats gemäß Gesetz ohnehin. Das Büro von Sobotka machte auch klar, dass er sich „im Bedarfsfall“ vertreten lassen werde. „Die Diskussion über die Vorsitzführung ist vorprogrammiert“, sagt Experte Hofer. Sobotka und dessen Vorsitz werde zum Thema gemacht.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka
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Sollten die U-Ausschüsse eingesetzt werden, wird Sobotka eine Rolle darin spielen

Der Nationalratspräsident könnte sich laut Verfahrensordnung nicht nur vertreten lassen. Er kann bestimmte Aufgaben der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) oder dem Dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer (FPÖ) übertragen. Dazu zählt die Vorsitzführung während der Befragungen. Das tat Sobotka etwa beim Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) 2018. Damals übernahm Bures die Agenden. Bei den jüngsten U-Ausschüssen („Ibiza-Affäre“ und ÖVP-Korruption) war das nicht der Fall.

Zwei U-Ausschüsse in den Startlöchern

Im kommenden Jahr werden mit der EU-Wahl und der Nationalratswahl nicht nur zwei große Urnengänge stattfinden. Es wird auch zu zwei Untersuchungsausschüssen kommen. So lauten die Pläne von SPÖ und FPÖ sowie ÖVP. Die Oppositionsparteien wollen eine „systematische Zweiklassenverwaltung“ untersuchen, die Koalitionspartei schielt hingegen auf die „roten und blauen Ministerien“. Gemäß Gesetz wird der Nationalratspräsident den Vorsitz führen.

Filzmaier betont, dass Sobotka aufgrund der jüngst publik gewordenen Tonaufnahmen in den Mittelpunkt rücken könnte. Der verstorbene Ex-Justizsektionschef Christian Pilnacek wurde heimlich aufgenommen. Auf der Tonaufnahme ist zu hören, dass der frühere Beamte Sobotka Interventionsversuche auf Ermittlungen vorwirft. Sobotka wies die Vorwürfe zurück und lehnte einen Rücktritt ab. „Mit seinem Vorsitz bei den U-Ausschüssen wird die Polarisierung noch zunehmen“, betont Filzmaier, der erinnert, dass es um die Aufklärung gehen sollte.

ÖVP stützt sich auf Minderheitenrecht

ÖVP sowie SPÖ und FPÖ bringen jeweils ein Verlangen ein, womit sie vom Minderheitenrecht Gebrauch machen. Seit 2015 kann nämlich ein Viertel der Nationalratsabgeordneten einen Untersuchungsausschuss auch dann einsetzen, wenn die Mehrheit das ablehnt. Für ein Verlangen werden entsprechend 46 Abgeordnete benötigt. Parallel dazu gibt es weiterhin die Möglichkeit, eine Untersuchung per Mehrheitsbeschluss auszulösen. Allerdings wurde bei der Reform auch dieser „Mehrheitsausschuss“ mit Minderheitenrechten ausgestattet.

Grafik zeigt eine Auflistung der U-Ausschüsse in der Zweiten Republik
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Ein Teil der Minderheitenrechte im U-Ausschuss ist unabhängig davon, ob der Ausschuss per Mehrheitsbeschluss eingesetzt wurde oder von einem Viertel der Abgeordneten. Das betrifft etwa die Ladung von Zeugen und Zeuginnen sowie die Bestellung von Beweismitteln. Egal ob es sich um einen Mehrheits- oder einen Minderheitsausschuss handelt, kann nämlich ein Viertel der Mitglieder jedes U-Ausschusses die Vorlage bestimmter Dokumente und die Befragung bestimmter Auskunftspersonen fordern.

ORF-Expertin analysiert die U-Ausschüsse

Claudia Dannhauser von der ZIB-Innenpolitik analysiert die U-Ausschüsse. Unter anderem spiele auch der Zeitfaktor dabei eine wichtige Rolle.

Während die Grünen darauf verwiesen, dass die Minderheit im Parlament einen U-Ausschuss verlangen kann, bezeichnete NEOS die angekündigten U-Ausschüsse als „Schlammschlacht und Dauerwahlkampf“. Die Menschen würden erwarten, dass bis zur kommenden Nationalratswahl an Lösungen gearbeitet wird, wurde der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak in einer Aussendung zitiert. Statt notwendige Reformen für die Zukunft anzugehen, werde „Vergangenheitsbewältigung“ betrieben.