Bub blickt auf eine Wand mit Fotos der vermissten Geiseln
Reuters/Alexander Ermochenko
Tauziehen mit Israel

Hamas verzögert zweite Geiselfreilassung

Trotz der Einhaltung der Feuerpause im Gaza-Krieg ist die erwartete Freilassung weiterer Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation Hamas ins Stocken geraten. In letzter Minute stoppte die Hamas am Samstag die Übergabe einer zweiten Geiselgruppe, Israel soll mit einem Ende der Waffenruhe gedroht haben. Laut Katar erfolgt die Freilassung aber noch am Abend.

„Nach einer Verzögerung bei der Freilassung von Gefangenen auf beiden Seiten wurden die Hindernisse durch katarisch-ägyptische Gespräche mit beiden Seiten beseitigt“, teilte Majid al-Ansari, Sprecher des katarischen Außenministeriums, am Samstag mit. Am Abend würden 39 in Israel inhaftierte palästinensische Frauen und Minderjährige freigelassen.

In Gegenzug würden 13 israelische Geiseln – acht Kinder und fünf Frauen – freikommen. Außerhalb dieser Vereinbarung würden außerdem sieben weitere aus Israel entführte Geiseln freigelassen, wie es hieß. Die Hamas bestätigte am Abend den Erfolg der Vermittlungen. Laut dem israelischen Armeesprecher Daniel Hagari schreiten die Bemühungen um die Freilassung voran.

Hamas wirft Israel Verstoß gegen Deal vor

Zuvor hatte der bewaffnete Flügel der Hamas überraschend mitgeteilt, die Übergabe der zweiten Geiselgruppe verzögere sich, weil Israel gegen einen Teil des Abkommens verstoßen habe. Die Al-Kassam-Brigaden warfen Israel vor, nicht genügend Hilfslieferungen auch in den nördlichen Teil des Gazastreifen ermöglicht zu haben. Ob das tatsächlich Teil des von Katar vermittelten Abkommens zwischen den beiden Konfliktparteien war, blieb unklar.

Weitere Geiseln sollen freikommen

Im Rahmen der vereinbarten und seit Freitag angelaufenen viertägigen Feuerpause sollen am Samstag weitere von der Hamas festgehaltene Geiseln freikommen. Doch ihre Freilassung verzögerte sich. Die Hamas begründete das damit, dass Israel gegen einen Teil des Abkommens verstoßen habe.

In Israel war zunächst immer die Rede davon, Transporte mit Hilfsgütern wie Nahrung und Treibstoff in den Süden zu ermöglichen, wohin Zehntausende Palästinenserinnen und Palästinenser vor den Kämpfen im Norden geflüchtet sind. Auch gaben die Al-Kassam-Brigaden an, Israel halte sich bei der Freilassung von Häftlingen nicht „an die vereinbarten Standards“. Das Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass für jede Geisel aus Israel drei palästinensische Häftlinge freikommen sollen.

Israel droht offenbar mit Ende der Waffenruhe

Israel drohte laut Medienberichten bereits mit einer Wiederaufnahme der Offensive im Gazastreifen, sollten die von der Hamas verschleppten Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden. Eine offizielle Bestätigung für die Frist gibt es bisher nicht.

„Die Hamas ist sich bewusst, dass das israelische Militär die Bodenoffensive im Gazastreifen fortsetzen wird, wenn die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden“, sagte ein israelischer Sicherheitsbeamter laut Onlineportal ynet. Er warf der Hamas laut dem Bericht zudem vor, bereits am Vortag „dasselbe Spiel“ gespielt zu haben, Reiseroute und Transport der Geiseln seien kurzfristig geändert worden.

Demonstrationen für Freilassung

Die Übergabe der Geiseln war gegen 15.00 Uhr MEZ erwartet worden. Mehr als eine Stunde später berichteten israelische Medien von einer „technischen“ Verzögerung. Zudem soll es in letzter Minute Verhandlungen darüber gegeben haben, ob 13 oder 14 Geiseln freigelassen werden sollten. Ob die Verhandlungen auch der Grund für die Verzögerung waren, blieb unklar. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gab lediglich eine Überprüfung der Liste an.

ORF-Korrespondent Wildner zum Geiseltausch

ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner berichtet über die Verzögerung bei der Freilassung weiterer Geiseln in Nahost.

Zehntausende Israelis demonstrierten unterdessen für die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen. Sie versammelten sich am Abend im Zentrum von Tel Aviv mit israelischen Flaggen und Protestschildern. Auf einem Banner war zu lesen: „Kein Sieg bis zur letzten Geisel.“ Die Organisatoren gaben die Zahl der Teilnehmer mit geschätzt 100.000 an. Auch in Jerusalem kam es zu Protesten.

Menschen warten auf die Freilassung der Geiseln
Reuters/Alexander Ermochenko
Zehntausende Israelis demonstrierten für die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen

Unterhändler aus Katar in Israel

Vonseiten der ägyptischen Unterhändler sei von „positiven Signalen“ die Rede, wonach die zunächst für vier Tage vereinbarte Feuerpause zumindest um zwei Tage verlängert werden könnte, wie Reuters am Samstagnachmittag berichtete. Eine Verlängerung der Feuerpause auf bis zu zehn Tage sei möglich, wie das in dem Konflikt vermittelnde Golfemirat Katar mitteilte.

Der Zeitpunkt der Übergabe war am Samstag zunächst lange offen – für Aufsehen sorgte im Tagesverlauf eine offenbar zur Klärung letzter Details in Israel gelandete Delegation aus Katar. Die auf dem Flughafen von Tel Aviv eingetroffene Delegation sei Teil des katarischen „Einsatzteams“ zum laufenden Krieg in Gaza, wie ein mit der Sache vertrauter Diplomat laut Agenturberichten bestätigte.

Ihre Aufgabe sei es, weitere Schritte bei der Umsetzung des Abkommens mit den Konfliktparteien abzusprechen – wie auch mit Vermittlern in Doha. Das Team solle sicherstellen, dass „der Deal weiterhin reibungslos verläuft und weitere Details des laufenden Abkommens besprechen“.

Katar ist zusammen mit Ägypten ein zentraler Vermittler zwischen Israel und der Hamas und hat sehr gute Kontakte zur Hamas – unterhält selbst aber keine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Allein aus diesem Grund war in israelischen Medien von einem äußerst seltenen Besuch die Rede.

Dutzende Hilfslieferungen erreichen Gaza

Am zweiten Tag der Feuerpause wurden auch immer mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht. Samstagfrüh passierten vier Lkws mit Treibstoff von Ägypten aus den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Auf weiteren vier Lastwagen waren Gasflaschen, die zum Kochen benötigt werden, geladen. Laut dem israelischen Verteidigungsministerium wurden 50 Lkws mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medizinbedarf sowie Ausrüstung für Unterkünfte in den Norden des Gazastreifens geschickt.

Bereits am Freitag waren nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmondes 196 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gefahren. Hilfsorganisationen nutzten die Feuerpause auch, um Verletzte und medizinisches Personal in Sicherheit zu bringen.

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Medizinisches Personal bei einem Checkpoint an dem freigelassene Geiseln ankommen sollen
APA/AFP/Jack Guez
Medizinisches Personal an einem Checkpoint wartet auf die von der Hamas freigelassenen Geiseln
Militärfahrzeige nahe einem Israelischen Gefängnis, aus dem palästinensische Geiseln entlassen werden sollen
Reuters/Ammar Awad
Im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas lässt Israel palästinensische Gefangene frei
Ein Konvoi mit Lkws mit Hilfsgütern
APA/AFP/Mahmud Hams
Als Teil des Abkommens zur Feuerpause ist auch eine deutliche Ausweitung der humanitären Hilfe vereinbart
Die freigelassenen Geiseln werden von medizinischem Personal betreut
Reuters/Reuters Tv
Die Geiseln wurden von Traumaexperten und Medizinern erwartet, außerdem von Soldaten, die für ihre Sicherheit sorgen sollen
Ein Wagen des Roten Kreuz transportiert freigelassene Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Es ist bereits dunkel, als mehrere Geländewagen des Roten Kreuzes mit Freigelassenen den Grenzübergang Rafah passieren
Freigelassene Geiseln in einem Fahrzeug
Reuters/Reuters Tv
Für einige Geiseln in der Gewalt der Terrororganisation Hamas endet die Gefangenschaft nach 49 Tagen
Medienvertreter warten auf das Freilassen der Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Journalistinnen und Journalisten und Schaulustige am Grenzübergang Rafah
Lärmabweisende Kopfhörer in einem Militärhubschrauer für die bevorstehende Geiselübergabe
Reuters/Israel Defense Forces
Die Armee hat alles vorbereitet: Helikopter mit speziellen Lärmschutzkopfhörern für die Geiseln
Stofftiere und bunte Polster für die bevorstehende Geiselübergabe
Reuters/Israel Defense Forces
Teddys und Polster: Turnsaal der Militärbasis Chazerim, in der die Kinder und Frauen erstversorgt werden
Außenansicht des israelischen Militärgefängnisses Ofer bei Ramallah
Reuters/Ammar Awad
Das Gefängnis Ofer, von dem aus die palästinensischen Häftlinge, die wegen Beteiligung an Attentaten verurteilt wurden, entlassen werden
Das israelische Militärgefängnis Ofer nahe Ramallah
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Ein Bus des Roten Kreuzes, mit dem die palästinensischen Häftlinge transportiert werden, parkt vor dem israelischen Gefängnis
Israelischer Militärhubschrauber
Reuters/Alexander Ermochenko
Israelischer Helikopter kontrolliert die Grenze zum Gazastreifen
Israelisches Militär vor dem Gefängnis Ofer nahe Ramallah
APA/AFP/Jaafar Ashtiyeh
Israelische Militärfahrzeuge vor dem Gefängnis Ofer
Konvoi von Rettungsfahrzeugen auf dem Weg nach Gaza City
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Ein Konvoi des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz während der Feuerpause
Zwei israelische Soldaten blicken auf einen Militärkonvoi, der Gaza verlassen hat
Reuters/Amir Cohen
Israelische Soldaten schauen auf einen Militärkonvoi, der Gaza verlassen hat

24 Geiseln am Freitag nach Israel gebracht

Mit der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas war am Freitag eine erste Gruppe von Geiseln freigekommen. Insgesamt 24 Menschen wurden nach Israel gebracht. In der für vier Tage vereinbarten Feuerpause sollen insgesamt 50 Geiseln aus der Gewalt der Hamas freikommen. Zunächst sollten Mütter, Kinder und Jugendliche sowie ältere Frauen freigelassen werden, hieß es.

Namen und Bilder der am Freitag freigelassenen 13 israelischen Geiseln wurden am Freitagabend veröffentlicht. Zu ihnen zählten eine 34-jährige Mutter und ihre zwei Töchter im Alter von zwei und vier Jahren, eine 85-Jährige sowie Mitglieder von drei Generationen einer Familie: eine Großmutter sowie deren Tochter und Enkelsohn. Männer waren nicht unter den freigelassenen Geiseln.