Ein Fahrzeug des Roten Kreuz mit freigelassenen Geiseln
Reuters/Ibraheem Abu Mustafa
Mit Verzug

Hamas lässt weitere Geiseln frei

Nach stundenlanger Verzögerung hat die Terrororganisation Hamas am Samstag eine Gruppe von 17 Geiseln freigelassen. Trotz der Einhaltung der Feuerpause hatte sie eine Übergabe zunächst gestoppt. Israel soll daraufhin mit einem Ende der Waffenruhe gedroht haben. Nach Einschreiten Katars lenkte die Hamas schließlich ein. Heute sollen weitere Geiseln freigelassen werden.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) habe 13 Israelis und vier thailändische Staatsbürger über die Grenze nach Ägypten gebracht, wie das israelische Militär mitteilte. Nach Angaben des in dem Konflikt vermittelnden Golfemirats Katar sollen unter den freigelassenen Israelis acht Minderjährige und fünf Frauen sein. Vier davon hätten die deutsche Doppelstaatsbürgerschaft, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mitteilte.

Der Konvoi mit den freigelassenen Geiseln fuhr nach Armeeangaben zunächst zum nahe gelegenen israelischen Grenzübergang Kerem Schalom, dort überprüften Sicherheitsvertreter die Namensliste. Inzwischen sind die Freigelassenen in Israel eingetroffen.

Ein Fahrzeug des Roten Kreuz mit freigelassenen Geiseln
Reuters/Reuters Tv
Es ist bereits dunkel, als Geländewagen mit den Freigelassenen Richtung Israel unterwegs sind

„Nach einer ersten medizinischen Untersuchung werden sie weiterhin von IDF-Soldaten (Israel Defense Forces, Anm.) auf ihrem Weg in israelische Krankenhäuser begleitet, wo sie mit ihren Familien zusammengeführt werden“, teilte die israelische Armee mit. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erklärte, die Regierung „umarmt die Geiseln, die nach Hause kommen“.

Hamas verzögerte Freilassung

Nur wenige Stunden vor der um 15.00 Uhr MEZ geplanten Freilassung der Geiseln hatte die Hamas eine Übergabe in letzter Minute überraschend gestoppt. Als Grund nannte die Terrororganisation, dass Israel aus ihrer Sicht gegen einen Teil des Geiseldeals verstoßen habe. Der bewaffnete Arm der Hamas, die Al-Kassam-Brigaden, warf Israel vor, nicht genügend Hilfslieferungen auch in den nördlichen Teil des Gazastreifens ermöglicht zu haben.

Tauziehen um Vereinbarungen

Ob diese Bestimmung tatsächlich Teil des von Katar vermittelten Abkommens zwischen den beiden Konfliktparteien war, blieb unklar. In Israel war zunächst immer die Rede davon, Transporte mit Hilfsgütern wie Nahrung und Treibstoff in den Süden zu ermöglichen, wohin Zehntausende Palästinenserinnen und Palästinenser vor den Kämpfen im Norden geflüchtet waren.

Auch gaben die Al-Kassam-Brigaden an, Israel halte sich bei der Freilassung von Häftlingen nicht „an die vereinbarten Standards“. Das Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass für jede Geisel aus Israel drei palästinensische Häftlinge freikommen sollen. Im Gegenzug für die Freilassung der 13 israelischen Geiseln wurden 39 palästinensische Häftlinge entlassen.

Unter ihnen sind der Hamas zufolge sechs Frauen und 33 männliche Jugendliche unter 19 Jahren. Sie wurden in ihre Wohnorte im Westjordanland und in Ostjerusalem gebracht. Der arabische Nachrichtensender al-Jazeera veröffentlichte Bilder aus der Stadt Beitunia im Westjordanland, die zeigen sollen, wie ein Bus mit freigelassenen palästinensischen Gefangenen an einer feiernden Menschenmenge vorbeifährt.

Israel stellte Ultimatum, Biden telefonierte

Israel hatte laut Medienberichten bereits mit einer Wiederaufnahme der Offensive im Gazastreifen gedroht, hätte die Hamas die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen. „Die Hamas ist sich bewusst, dass das israelische Militär die Bodenoffensive im Gazastreifen fortsetzen wird, wenn die Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen werden“, hatte ein israelischer Sicherheitsbeamter laut Onlineportal ynet gesagt. Er warf der Hamas vor, bereits am Vortag „dasselbe Spiel“ gespielt zu haben.

Sonntagfrüh hieß es aus dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Israel habe eine Liste mit weiteren Namen von Geiseln, die freigelassen werden sollen, erhalten. Um wie viele es sich handelte, wurde nicht mitgeteilt. Die Sicherheitsbehörden würden die Liste überprüfen.

Menschen warten auf die Freilassung der Geiseln
Reuters/Alexander Ermochenko
Zehntausende Israelis demonstrierten für die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen

US-Präsident Joe Biden hatte sich persönlich eingeschaltet, um sich für die zwischenzeitlich blockierte Freilassung einzusetzen. Er habe deswegen mit dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, und dem katarischen Premier- und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani telefoniert, wie eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats der US-Regierung auf Anfrage mitteilte. Nach dem Telefonat hätten hochrangige Regierungsbeamte engen Kontakt zu den Israelis, Katarern und Ägyptern gehalten, „um die Hürden für die Umsetzung zu überwinden“.

Unterhändler aus Katar in Israel

Vonseiten der ägyptischen Unterhändler sei von „positiven Signalen“ die Rede, wonach die zunächst für vier Tage vereinbarte Feuerpause zumindest um zwei Tage verlängert werden könnte, wie Reuters am Samstag berichtete. Eine Verlängerung der Feuerpause auf bis zu zehn Tage sei möglich, wie Katar mitteilte.

Für Aufsehen sorgte am Samstag eine offenbar zur Klärung letzter Details für die Freilassung in Israel gelandete Delegation aus Katar. Sie sei Teil des katarischen „Einsatzteams“ zum laufenden Krieg in Gaza, wie ein mit der Sache vertrauter Diplomat laut Agenturberichten bestätigte. Ihre Aufgabe sei es, weitere Schritte bei der Umsetzung des Abkommens mit den Konfliktparteien abzusprechen – wie auch mit Vermittlern in Doha.

Das Team solle sicherstellen, dass „der Deal weiterhin reibungslos verläuft und weitere Details des laufenden Abkommens besprechen“. Katar ist zusammen mit Ägypten ein zentraler Vermittler zwischen Israel und der Hamas und hat sehr gute Kontakte zur Hamas – unterhält selbst aber keine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Allein aus diesem Grund war in israelischen Medien von einem äußerst seltenen Besuch die Rede.

Dutzende Hilfslieferungen erreichen Gaza

Am zweiten Tag der Feuerpause wurden immer mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht. Samstagfrüh passierten Lkws mit Treibstoff und Gasflaschen von Ägypten aus den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Laut dem israelischen Verteidigungsministerium wurden Dutzende Lkws mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medizinbedarf sowie Ausrüstung für Unterkünfte in den Norden des Gazastreifens geschickt.

Bereits am Freitag waren nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmondes 196 Lastwagen mit Hilfsgütern in den Gazastreifen gefahren. Hilfsorganisationen nutzten die Feuerpause auch, um Verletzte und medizinisches Personal in Sicherheit zu bringen.

Weitere Geiseln sollen freikommen

Die im Rahmen der vereinbarten und seit Freitag angelaufenen viertägigen Feuerpause geplante Freilassung weiterer Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation Hamas verzögerte sich am Samstag zunächst.

24 Geiseln am Freitag nach Israel gebracht

Mit der Feuerpause zwischen Israel und der Hamas war am Freitag eine erste Gruppe von 24 Geiseln – 13 israelische, zehn thailändische und eine philippinische – freigelassen worden. Wie am Samstag waren auch unter ihnen vier Deutsch-Israelis. In der für vier Tage vereinbarten Feuerpause sollen insgesamt 50 Geiseln freikommen. Zunächst sollten Mütter, Kinder und Jugendliche sowie ältere Frauen freigelassen werden, hieß es.

Zehntausende Israelis demonstrierten unterdessen für die Freilassung aller Geiseln im Gazastreifen. Sie versammelten sich am Samstagabend im Zentrum von Tel Aviv mit israelischen Flaggen und Protestschildern. Auf einem Banner war zu lesen: „Kein Sieg bis zur letzten Geisel.“ Die Organisatoren gaben die Zahl der Teilnehmer mit geschätzt 100.000 an. Auch in Jerusalem kam es zu Protesten.