Freigelassene Israelis in einem Fahrzeug des Roten Kreuz
AP/Fatima Shbair
„Probleme“ mit Liste

Warten auf weitere Geiselfreilassungen

Am vierten und vorerst letzten Tag der Feuerpause zwischen Israel und der islamistischen Hamas sollen am Montag weitere israelische Geiseln freikommen. Israel erhielt eine Liste mit den Namen von Geiseln, wie das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mitteilte. Israel und die Hamas sollen laut Medienberichten unzufrieden damit sein. Der Austausch könnte dadurch verzögert werden.

„Verhandlungen über die Liste derjenigen, die freigelassen werden sollen (…), gehen weiter“, teilte das Büro von Netanjahu am Montag mit. Ein Vertreter der Hamas im libanesischen Beirut teilte mit, dass Anmerkungen an die katarischen und ägyptischen Vermittler weitergeleitet worden seien. Laut einem von der Nachrichtenagentur Reuters namentlich nicht genannten Beamten sind noch „geringfügige Probleme“ mit der Liste zu lösen. Die katarischen Vermittler arbeiteten daran, die Bedenken beider Seiten auszuräumen und Verzögerungen zu vermeiden, hieß es.

Nach ägyptischen Angaben sollen am Montag voraussichtlich elf im Gazastreifen festgehaltene israelische Geiseln freikommen. Der Ägyptische Staatsinformationsdienst (SIS) teilte am Nachmittag mit, es werde darüber verhandelt, im Gegenzug 33 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen zu entlassen..

Offenbar einige Inhaftierte als Streitpunkt

Der Zeitung „Haaretz“ zufolge berichten palästinensische Quellen, dass einer der Streitpunkte zwischen Israel und der Hamas über die Liste sechs Inhaftierte betrifft, die vor dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober festgenommen wurden. Den Quellen zufolge seien sie nicht auf jener Liste gestanden, die Israel der Gegenseite am Sonntag vorlegte – so ist es unklar, ob eine Freilassung am Montag erfolgen könne.

Ein israelischer Regierungssprecher wollte sich zu den Medienberichten nicht äußern. Ein Vertreter der Hamas im libanesischen Beirut teilte mit, dass Anmerkungen an die katarischen und ägyptischen Vermittler weitergeleitet worden seien.

Freigelassene Palästinenser in einem Fahrzeug des Roten Kreuz
APA/AFP/Fadel Senna
Aus der Haft freigelassene Palästinenser in einem Fahrzeug des Roten Kreuzes

Medien: Elf Geiseln auf Liste

Bei den freizulassenden Hamas-Geiseln soll es sich laut israelischen Medienberichten um elf Personen handeln – die Familien seien noch nicht informiert worden. Der Sprecher der israelischen Regierung, Eilon Levi, sagte am Montag, es würden noch 184 Geiseln im Gazastreifen festgehalten. Davon seien 14 Ausländer sowie 80 israelische Doppelstaatsbürger.

Es wäre die vierte Gruppe an Geiseln, die seit Beginn der Feuerpause am Freitag im Gegenzug für die Freilassung von Palästinenserinnen und Palästinensern aus israelischen Gefängnissen freikommen würden. Bisher kamen 58 Geiseln frei. Im Gegenzug für die freigelassenen Geiseln wurden bisher 177 inhaftierte Palästinenser aus dem Gefängnis entlassen.

Freigelassene Geisel in Lebensgefahr

Unterdessen schwebt israelischen Medienberichten zufolge eine der am Sonntag freigelassenen Geiseln in Lebensgefahr. Die 84-jährige Frau sei in einem lebensbedrohlichen Zustand in eine israelische Klinik gebracht worden, hieß es unter Berufung auf das Krankenhaus in Beer Scheva. Zugleich wurden Details zum Schicksal eines vierjährigen von der Hamas freigelassenen Mädchens mit US-israelischer Doppelstaatsbürgerschaft bekannt.

Mädchen lag unter Leiche des Vaters

Das Mädchen musste vor seiner Verschleppung in den Gazastreifen die Ermordung ihrer beiden Eltern mit ansehen. Am 7. Oktober war die damals Dreijährige mit ihren beiden zehn und sechs Jahre alten Geschwistern zu Hause an der Grenze zum Gazastreifen, als die Terroristen der Hamas einfielen und vor den drei Kindern die Mutter erschossen.

Als sich ihr Vater schützend über seine Tochter legte, sei auch er erschossen worden, berichteten US-Medien. Ihre Geschwister überlebten, weil sie sich in einem Kasten versteckten, wo sie 14 Stunden lang ausgeharrt hätten, bevor sie gerettet wurden, hieß es.

Ihre kleine Schwester, die zunächst für tot gehalten worden sei, sei unter der Leiche ihres Vaters hervorgekrochen und zum Haus eines Nachbarn gerannt, zitierte die „Washington Post“ eine Verwandte des Mädchens. Die Terroristen griffen sich dort das Mädchen zusammen mit der fünfköpfigen Nachbarsfamilie und verschleppten sie. Am Freitag wurde das Mädchen in Gefangenschaft vier Jahre alt.

Biden: „Was sie ertragen musste, ist unvorstellbar“

„Was sie ertragen musste, ist unvorstellbar“, sagte US-Präsident Joe Biden, nachdem das Mädchen am Sonntag als erste US-Staatsbürgerin unter den Geiseln im Zuge der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas freigekommen war. „Sie hat ein furchtbares Trauma erlebt“, so Biden.

Erste Berichte der heimgekehrten Geiseln

Unterdessen gibt es in israelischen Medien Berichte über die Bedingungen, unter denen die Verschleppten leben mussten. Nach Angaben einiger Angehörigen seien ihre Verwandten während ihrer Gefangenschaft im Gazastreifen nicht misshandelt worden. „Es ist sehr tröstlich, das zu wissen“, sagte Osnat Meiri, ein Cousin der freigelassenen Geisel Keren Munder, der israelischen Zeitung „Jediot Achronot“ (Montag-Ausgabe).

Keren war gemeinsam mit ihrem neunjährigen Sohn Ohad und der Großmutter Ruti in den Gazastreifen verschleppt worden. Am Freitag waren sie im Rahmen der Freilassungen freigekommen. Aber man wisse natürlich nicht, ob alle in den Küstenstreifen verschleppten Geiseln unter denselben Bedingungen festgehalten würden, fügte Meiri hinzu.

Wenig Essen, Warten auf Toilette

Die Bedingungen der Geiselhaft wurden als hart beschrieben. Die Menschen hätten sich selbst Essen zubereitet, schrieb die Zeitung weiter. „Es gab aber auch Tage, an denen es nichts zu essen gab, und manchmal mussten die Verschleppten eineinhalb Stunden warten, bis sie zur Toilette durften“, zitierte die Zeitung am Montag Merav Raviv, eine Angehörige der Familie Munder.

An einigen Tagen habe es nur Pitabrot gegeben, und wenn es auch das nicht mehr gab, dann hätten die Festgehaltenen nur eine kleine Portion Reis erhalten. Es habe auch keine Liegen oder Betten gegeben, geschlafen worden sei auf Bänken oder zusammengeschobenen Sesseln.

In Geiselhaft vom Tod des Sohnes erfahren

Die Menschen seien während ihrer fast siebenwöchigen Geiselhaft nicht immer in unterirdischen Räumen festgehalten worden. „Sie wurden immer wieder an einen anderen Ort gebracht“, sagte Raviv. Die Wachen hätten einigen der Geiseln erlaubt, manchmal israelisches Radio zu hören. So habe Ruti Munder noch in der Geiselhaft erfahren, dass ihr Sohn Roi bei dem Hamas-Massaker am 7. Oktober getötet worden war.

Andere Geiseln waren dagegen von der Außenwelt abgeschnitten und ahnungslos. Hannah Kazir, deren Ehemann Rami ermordet wurde und deren Sohn Elad als Geisel festgehalten wird, erfuhr erst nach ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft, was mit ihnen geschah. „Sobald sie ankam, fragte sie: ‚Wo ist Papa?‘“, erzählte ihre Tochter Karmit Palti-Kazir. "Sie wusste nicht, dass Papa ermordet worden war. Wir haben es ihr gesagt. Dann fragte sie sofort: ‚Wo ist Elad? Warum ist er nicht hier?.‘ „Wir sagten ihr, dass er entführt wurde.“

Haftbedingungen „demütigend“

Wie in den vorangegangenen Tagen des Austauschs zwischen Geiseln und Gefangenen gingen auch am Sonntagabend im Westjordanland – wohin die Gefangenen zunächst zurückgebracht werden – viele Menschen auf die Straße, um die Busse mit den freigelassenen Gefangenen zu begrüßen.

Die Haftbedingungen seien „demütigend“ gewesen, wie Sarah al-Suwaisa, eine der freigelassenen 39 palästinensischen Gefangenen, gegenüber der BBC angab. Pfefferspray sei gegen Gefangene eingesetzt worden, auch seien sie in „dunkle Räume“ gesperrt worden, sagte sie, ohne weitere Angaben zu machen. Die Häftlinge hätten unter der Kälte gelitten.

Geisel konnte zeitweise fliehen

Eine am Sonntag freigelassene Geisel konnte nach Angaben ihrer Familie während der Geiselhaft zeitweise fliehen, wurde dann aber erneut gefasst. In dem Gebäude, in dem der 25-Jährige festgehalten worden sei, habe es eine Explosion gegeben, und der junge Mann habe entkommen können, erzählte seine Tante am Montag dem israelischen Fernsehsender Kanal B.

Er sei dann mehrere Tage im Gazastreifen herumgeirrt und habe versucht, zur Grenze zu kommen. Aber palästinensische Zivilisten hätten ihn gefasst und an die Terroristen übergeben, sagte die Tante. „Er hat versucht, zur Grenze zu kommen, aber ich glaube, weil er keine Mittel hatte zu verstehen, wo er ist, hat er da draußen Probleme gekriegt.“

USA: Wohl nicht alle Geiseln in Gaza in Händen der Hamas

Unterdessen geht die US-Regierung davon aus, dass nicht alle der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln von der Hamas festgehalten werden. „Wir glauben, dass nicht alle Geiseln in den Händen der Hamas sind“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, Montagfrüh (Ortszeit) im US-Fernsehen. Es sei davon auszugehen, dass es andere Gruppen gebe, die einige der Geiseln festhalten.

Mit Blick auf eine mögliche Verlängerung der Feuerpause, um mehr Geiseln gegen palästinensische Häftlinge aus Israel freizubekommen, sagte Kirby, dass die Hamas-Terroristen dafür auch diese Geiseln finden und holen müssten. Kirby nannte keine Zahl von Geiseln, die möglicherweise in der Hand anderer Gruppen sind. Der Sender CNN berichtete unter Berufung auf nicht namentlich genannte diplomatische Quellen von schätzungsweise 40 Geiseln.

Preis für israelisch-palästinensische Friedensinitiative

Unterdessen geht der Friedenspreis des Bewegung Pax Christi International in diesem Jahr an die israelisch-palästinensische Versöhnungsinitiative Parents Circle – Families Forum (PCFF). Der Organisation gehören nach eigenen Angaben rund 700 Familien an, die alle einen Angehörigen durch den anhaltenden Nahost-Konflikt verloren haben – mehr dazu in religion.ORF.at.