Angestellter in einem Supermarkt mit Barcodescanner
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Metaller und Handel

Gespräche stocken, Streiks haben Saison

Die Kollektivvertragsverhandlungen in den großen Branchen gestalten sich dieses Jahr ausnehmend zäh. Die Metaller befinden sich derzeit in einer zweiten Warnstreikwelle, auch im Handel könnte es zu einem Arbeitskampf kommen: Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hat am Sonntag der Teilgewerkschaft der Privatangestellten (GPA) die Streikfreigabe erteilt. Diese Woche laufen die Verhandlungen weiter.

Die Kollektivvertragsverhandlungen für die etwa 430.000 Beschäftigten im Handel hätten „nach bisher drei Verhandlungsrunden kein Ergebnis“ gebracht, hieß es am Sonntag von der GPA. Das aktuelle Angebot der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber liege bei fünf Prozent Gehaltserhöhung plus einer Einmalzahlung.

„Das ist weit unter der zugrunde gelegten rollierenden Inflation (Zwölfmonatsdurchschnitt der Teuerung; Anm.) in der Höhe von 9,2 Prozent und für uns nicht annehmbar.“ Man bedaure, dass die Arbeitgeber nicht bereit gewesen seien, über eine soziale Staffelung oder eine Kombination von Freizeittagen und Geld zu verhandeln. Die aktuelle Forderung der Gewerkschaft liegt bei 9,5 Prozent und einem Fixbetrag von 40 Euro.

Grafik zeigt Gehaltsabschlüsse im Handel
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA
In der letzten Verhandlungsrunde hat die Gewerkschaft ihre Forderung von elf auf 9,5 Prozent plus Fixbetrag von 40 Euro gesenkt

Metaller geben Linie vor

Am Dienstag werden die KV-Verhandlungen im Handel fortgesetzt, eine Einigung scheint aber nicht nur aufgrund der weit divergierenden Vorstellungen schwierig. Es wäre auch gewissermaßen ein Bruch mit der Tradition, wenn der Handel vor den Metallerinnen und Metallern abschließen würde – letztere geben seit Jahrzehnten die Leitlinie bei den Verhandlungen vor. Und hier steht die nächste, mittlerweile achte Gesprächsrunde für den Kollektivvertrag erst am Donnerstag an.

Die Positionen der beiden Parteien liegen bei den Metallern ebenfalls noch weit auseinander. Die Arbeitnehmer haben ihre Forderung von 11,6 auf 10,6 Prozent „adaptiert“ und eine soziale Staffelung gefordert, wie die Gewerkschaft Produktionsgemeinschaft (PRO-GE) und die GPA nach der siebenten erfolglosen Gesprächsrunde vor einer Woche mitteilten.

Grafik zeigt Gehaltsabschlüsse bei den Metallern
Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Gewerkschaft sieht „Frechheit“

Das Arbeitgeberangebot liege hingegen nach wie vor bei einer nachhaltigen Erhöhung von im Schnitt sechs Prozent, sagen die Gewerkschafter. Die Unternehmen hätten ihr Angebot demnach nur im Gegenzug für eine Verschlechterung bei den Zuschlägen, Dienstreisen und weiteren Rahmenrechtspunkten erhöhen wollen. Als „Frechheit“, bezeichneten das die Chefverhandler der Arbeitnehmerseite, Reinhold Binder (PRO-GE) und Karl Dürtscher (GPA).

Die Rechnung der Arbeitgeber sieht anders aus: Sie hätten zuletzt im Schnitt 8,2 Prozent Lohnerhöhung und für die unteren Beschäftigungsgruppen bis zu zwölf Prozent geboten – allerdings teilweise mit Einmalzahlungen, die die Gewerkschaften bis dato ablehnen.

Mit gutem Grund, wie Dürtscher am Montag gegenüber ORF.at festhielt: Einmalzahlungen hätten keinen nachhaltigen Effekt. Die Einkommensstruktur der Durchschnittshaushalte habe sich angesichts der Rekordinflation in den vergangenen Monaten ohnehin stark geändert. Gestiegene Miet- und Energiekosten würden den Privatkonsum schmälern, den Kaufkraftverlust erhöhen.

Metallerstreik in Schwertberg (Oberösterreich)
APA/Fotokerschi.at/Simon Brandstätter
Mehr als 100.000 Beschäftigte beteiligten sich laut GPA in den vergangenen Wochen an Streikaktionen und Kundgebungen

Wirtschaftsprognosen mit Fragezeichen

Zudem, gibt Dürtscher zu bedenken, gehe das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) in seiner Oktober-Konjunkturprognose für 2023 und 2024 von durchschnittlichen KV-Erhöhungen in Höhe der rollierenden Inflation aus. Heuer soll die Wirtschaftsleistung in Österreich um 0,8 Prozent schrumpfen und im kommenden Jahr um 1,2 Prozent wachsen. Diese Prognose wäre dem GPA-Chefverhandler zufolge nicht haltbar, sollte ein voller Inflationsabgleich bei Zigtausenden Beschäftigten nicht gewährleistet werden.

WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hielt vergangene Woche fest, dass es für die heuer „besonders schwierigen“ Lohnverhandlungen in der Metallbranche keine Lehrbuchlösung gebe. Eine Empfehlung gab er dennoch ab: Wenn man heuer beim Abschluss „ein bisschen unter der rollierenden Inflation“ von 9,6 Prozent bleibe, dann könne man das 2024 „verpflichtend draufschlagen“. Auch einen Teil der Lohnerhöhung in Arbeitszeitverkürzung oder mehr Urlaub umzuwandeln, sei wohl Thema auf dem Verhandlungstisch. „Das WIFO sagt aber nicht, akzeptiert Reallohnverluste“, sagte Felbermayr.

Am Sonntag in der ORF-„Pressestunde“ sagte der WIFO-Chef, dass es tatsächlich schwierig sei, einen niedrigeren Abschluss zu erklären, als etwa die Erhöhungen der Pensionen ausmacht – es stelle sich auch die Frage, ob es sehr klug sei, dass der Staat mit Abschlüssen „vorprescht“, neben den Pensionen auch im öffentlichen Dienst.

Schatten über Weihnachtsgeschäft

Das hielt auch Dürtscher im Gespräch mit ORF.at fest, er sieht gar eine „schizophrene Haltung der Regierung“. Die Regierung habe keine Maßnahmen gegen die Inflation ergriffen, Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) würde einen Vorschlag propagieren, der Einmalzahlungen attraktiver machen soll, indem bis zu 3.000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei ausbezahlt werden. Gleichzeitig seien bei Pensionen und öffentlichem Dienst Abschlüsse mit voller Inflationsabgeltung und ohne Einmalzahlungen vereinbart worden.

Streiks auch im Handel stünden jedenfalls im Raum, sagte Dürtscher. Bei der Geschenkssuche am ersten Adventwochenende könnte es zu Störungen kommen, sollte auch die vierte Verhandlungsrunde ergebnislos enden.