Schüler beim Schreiben
ORF/Ákos Heves
Bildung vererbt

PISA-Test macht Schwachstellen deutlich

Bei den aktuellen PISA-Ergebnissen haben Österreichs Schüler und Schülerinnen beim Lesen und in Mathematik schlechter als noch 2018 abgeschnitten. Im Bereich Naturwissenschaften konnte das Niveau gehalten werden. Konstant blieb aber auch der Einfluss der Herkunft auf den Bildungserfolg. Nach Ansicht von Expertin Christiane Spiel tut die Politik zu wenig dagegen.

Rund 690.000 Schüler und Schülerinnen im Alter von 15 und 16 Jahren wurden für die PISA-Studie in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften getestet. In Österreich waren 6.200 Jugendliche aus über 300 Schulen dabei. Die Werte beim Lesen und in Mathematik sanken im Vergleich zu den Tests 2018. Bei den Naturwissenschaften konnten sich die Schüler und Schülerinnen hingegen leicht verbessern.

Unter den getesteten Kindern und Jugendlichen gibt es aber deutliche Wissensunterschiede. Ein Großteil ist auf die Herkunft der Schüler und Schülerinnen zurückzuführen, wie aus dem PISA-Test hervorgeht. Beruf und Bildung der Eltern sowie der materielle Wohlstand haben in Österreich einen stärkeren Einfluss auf die Leistungen der Kinder und Jugendlichen als im Schnitt der anderen Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

PISA-Studie: Ergebnisse veröffentlicht

Österreich schneidet bei der diesjährigen PISA-Studie im Bereich Mathematik schlechter ab als letztes Jahr, liegt aber immer noch über dem OECD-Schnitt. Im Lesen und den Naturwissenschaften blieben die Leistungen fast konstant, die Herkunft der getesteten Jugendlichen und der Hintergrund der Eltern haben immer noch einen großen Einfluss auf die Leistungen.

„Schrauben, an denen man drehen könnte“

So haben Schüler und Schülerinnen aus dem Viertel mit dem höchsten sozioökonomischen Status in Mathematik um 106 Punkte mehr erreicht als jene aus dem niedrigsten Viertel. In Österreich ist der Leistungsunterschied im Vergleich zu 2018 sogar größer geworden. Die Leistung der Schüler und Schülerinnen mit ungünstigsten Voraussetzungen fiel zurück, hingegen blieben die Ergebnisse jener mit den günstigsten Lernvoraussetzungen gleich.

Dass in Österreich die Herkunft der Kinder und Jugendlichen eine Rolle beim Bildungserfolg spielen, ist bekannt. Sowohl internationale Vergleichsstudien als auch nationale Bildungsberichte verdeutlichen in regelmäßigen Abständen, dass bestimmte Faktoren, die man im Elternhaus mitbekommt, entscheidend für die Bildungskarriere sind. „Es ist ein Dauerthema in der Forschung“, betont Bildungspsychologin Spiel im Gespräch mit ORF.at. Die Politik würde allerdings zu wenig im Kampf gegen die Bildungsungleichheit investieren.

Grafik zum PISA-Test 2022
Grafik: APA/ORF; Quelle: OECD

„Es gibt sehr viele Schrauben, an denen man drehen könnte“, sagt die Expertin und verweist auf das vor zwei Jahren initiierte Pilotprojekt, um Brennpunktschulen besser zu fördern. „Wichtig ist, dass Schulen nicht nur mehr Geld für ihre Herausforderungen bekommen. Die Schulen müssen ein Konzept erarbeiten, wofür sie das Geld benötigen“, sagt Spiel. Danach sollen die Konzepte evaluiert werden. Auf Ergebnisse des Pilotprojekts wartet man aber noch.

Schere während Pandemie weiter aufgegangen

In der diesjährigen PISA-Studie standen die Mathematikkenntnisse im Fokus, dementsprechend wurden die Resultate mit den Hintergründen der Schüler und Schülerinnen in Verbindung gebracht. 20 Prozent der Leistungsunterschiede sind in dem Bereich mit der Herkunft erklärbar. Im OECD-Schnitt liegt der Wert deutlich niedriger bei 15 Prozent. In der Gruppe der Schüler und Schülerinnen mit den Topresultaten schaffen es hierzulande nur acht Prozent mit den schwierigsten Lernvoraussetzungen, im OECD-Schnitt waren es zehn Prozent.

Laut Spiel haben das Coronavirus und die Schulschließungen die Schere „noch weiter aufgemacht“. In vielen Familien habe es zu Beginn der Pandemie kein digitales Endgerät gegeben. Mit dem Distance-Learning und der Sorge, man könnte angesichts der Pandemie den Job verlieren, seien Eltern an ihre Grenzen gegangen. „In dieser Situation müssen Eltern ihre Kinder beim Lernen unterstützen, und manche haben es einfacher als andere“, sagt Spiel. Wenn dann auch für die Schüler und Schülerinnen der Bildungserfolg ausbliebt, sei es doppelt schwierig.

PISA-Studie

Für PISA werden alle drei Jahre die Kompetenzbereiche Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften abgefragt. Nicht Faktenwissen steht im Fokus, sondern die Anwendung bestimmter Kompetenzen auf praxisnahe Aufgaben.

Diese Position vertreten auch die Lehrkräfte. Bei einer Studie der Uni Wien hatten 84 Prozent der 458 befragten Lehrer und Lehrerinnen angegeben, dass die Bildungsungleichheit während der CoV-Pandemie weiter gestiegen sei. Bei sozioökonomisch benachteiligten Schülern und Schülerinnen sahen 78 Prozent eine schlechtere schulische Entwicklung als vor Beginn der Pandemie.

Soziale Herkunft entscheidend

In der PISA-Studie lieferten auch Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund schlechtere Ergebnisse. Gleichzeitig muss gesagt werden, dass gut die Hälfte darunter aus einer Familie mit besonders geringen Ressourcen kommt und 75 Prozent angegeben haben, daheim nicht die Unterrichtssprache zu nutzen. In Mathematik erreichten sie diesmal um 58 Punkte weniger als ihre Altersgenossen mit Eltern, die in Österreich geboren wurden (505).

Vergleicht man nur Schüler und Schülerinnen mit demselben sozioökonomischen Hintergrund miteinander, bleibt immer noch ein signifikanter Unterschied von 25 Punkten. Beim Lesen beträgt die Differenz 65 bzw. 30 Punkte. In Österreich waren laut OECD-Definition 27 Prozent der österreichischen Schüler und Schülerinnen Migranten, hatten also Eltern, die im Ausland geboren wurden.

„Erfolgserlebnisse, Autonomie und Soziales“

Das österreichische Bildungssystem ist äußerst kleinteilig. Relativ früh müssen sich Kinder bzw. ihre Eltern für den weiteren Bildungsweg entscheiden. Laut dem nationalen Bildungsbericht 2021 wechselt rund ein Drittel der Volksschüler- und -schülerinnen nach der vierten Schulstufe in eine AHS-Unterstufe, etwa zwei Drittel in eine Mittelschule. Die Daten zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, nach der Volksschule in eine AHS-Unterstufe zu wechseln, steigt, wenn die Eltern einen akademischen Abschluss haben.

In dem Bericht heißt es, dass etwa zwei Drittel der Entscheidung für eine AHS „durch die leistungsunabhängigen“ Faktoren erklärbar seien. Wichtig ist insbesondere der familiäre Hintergrund. Trotz sehr guter Leistung würden Kinder aus bildungsfernen Familien sich seltener für eine Schule entscheiden, die ihre Potenziale fördern könnte. „Kinder benötigen Erfolgserlebnisse, Autonomie und soziale Eingebundenheit“, sagt Spiel. „Die Frage lautet: Wie können wir die Grundbedürfnisse der Schüler und Schülerinnen stillen?“

Ankündigungs- statt Wirkungspolitik

OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher sagte angesichts der neuen Daten der PISA-Studie, dass mehr Ressourcen dort investiert werden müssen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Die talentiertesten Lehrer und Lehrerinnen müssten in die herausforderndsten Klassen, und es gehe darum, die Vielfalt in den Schulen und Klassen zu würdigen.

Bildungsexpertin Spiel warnt jedoch davor, sich große Hoffnungen auf schnelle Ergebnisse zu machen. „Es gibt kaum ein Feld in der Politik, in dem man länger auf Resultate wartet als in der Bildung“, so Spiel. Ihrer Meinung nach sei die Debatte über die Zukunft von Bildung und Schulen ideologisch und parteipolitisch zu sehr aufgeladen. Und: „In Österreich herrscht eher eine Ankündigungs- als Wirkungspolitik.“