Medizinische Personal stützt in einem Krankenhaus in Rafah (Gazastreifen) eine verletzte Palästinenserin
AP/Hatem Ali
WHO zu Gaza

Nur jedes dritte Spital teilweise in Betrieb

Die Situation in den Spitälern im Gazastreifen ist inmitten des andauernden Krieges zwischen Israel und der islamistischen Hamas katastrophal. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nur noch etwa ein Drittel der Krankenhäuser teilweise funktionstüchtig. Die UNO berichtet weiter von Kämpfen nahe Spitälern sowie von medizinischem Personal und Patientinnen und Patienten, die inmitten der Gefechte getötet wurden.

„In nur 66 Tagen gibt es in dem Gesundheitssystem von 36 funktionierenden Krankenhäusern nur noch elf eingeschränkt funktionierende Krankenhäuser, eines im Norden und zehn im Süden“, sagte der WHO-Gesandte für die palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn, per Video bei einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf. „Wir können es uns nicht leisten, noch mehr Gesundheitseinrichtungen oder Kliniken zu verlieren.“

Zuletzt wurden um mehrere Spitäler Gefechte sowie direkter Beschuss gemeldet: Das Al-Awda-Krankenhaus in Dschabalja sei seit sechs Tagen von israelischen Truppen und Panzern umgeben, berichtete das UNO-Nothilfebüro (OCHA) in der Nacht auf Dienstag. Laut Berichten sitzen etwa 250 Ärzte und Ärztinnen, Patienten und Patientinnen sowie deren Angehörige in dem Spital fest. Zwei medizinische Mitarbeiter seien dort im Dienst bei Kämpfen in den vergangenen Tagen getötet worden.

Israel verteidigt Vorgehen

Am Montag sei auch die Geburtenabteilung im Krankenhaus Kamal Adwan im Norden von Gaza getroffen worden. Unter anderem seien dabei Berichten zufolge zwei Mütter ums Leben gekommen. Auch dieses Krankenhaus sei seit Tagen von Israels Truppen umgeben. Zusätzlich zu den mehr als 60 Patienten, darunter sechs Neugeborene in Brutkästen, würden 3.000 Vertriebene dort Schutz suchen. Wasser, Essen und Strom seien „extrem knapp“.

Die israelische Armee teilt auf Nachfrage generell mit, die Truppen würden „die militärischen und administrativen Fähigkeiten der Hamas zerlegen“. Es sei eine Antwort auf die „barbarischen Angriffe“ der militanten Palästinenserorganisation. Israels Armee „folgt internationalem Recht und trifft machbare Vorkehrungen, um den Schaden für Zivilisten zu mäßigen“.

Beschädigtes Equipment im Yafa-Krankenhaus im Gazastreifen
Reuters/Doaa Rouqa
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlug wegen der Zustände in den Spitälern im Gazastreifen mehrfach Alarm

Kritik an Kontrollen von Hilfskonvois

Die UNO teilte mit, dass am Samstag die Spitäler al-Jemen al-Said und al-Awda, die im Flüchtlingslager Dschabalja liegen, angegriffen wurden. Nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurde für die Toten ein Massengrab ausgehoben. Auch in al-Awda wurden der Behörde zufolge zwei medizinische Mitarbeiter im Dienst getötet. Krankenhausdirektor Ahmed Muhanna zufolge wird das Gebäude mit Hunderten Patienten und Vertriebenen seit Tagen „belagert“. Al-Jemen al-Said, das sich noch im Bau befinde, sei mit Artillerie beschossen worden, wodurch es zum Brand gekommen sei, so die Behörde.

Die WHO beklagte überdies israelische Kontrollen medizinischer Konvois im Gazastreifen und die Inhaftierung von medizinischem Personal als Gefahr für die Versorgung von Patienten und Patientinnen. Bei einem solchen Vorfall am Samstag sei ein schwer verletzter Patient gestorben, weil sich seine Behandlung verzögert habe, teilte die WHO mit.

Der von der WHO geleitete Einsatz zur Verlegung von Patienten und zur Lieferung von chirurgischem Material zum Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt sei auf dem Weg in den nördlichen Gazastreifen und auf dem Rückweg an einem Kontrollpunkt der israelischen Armee gestoppt worden. Einige Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmonds seien dabei zeitweise festgesetzt und andere festgenommen worden.

WHO-Lagebericht zu Gaza-Spital

Verheerend scheint die Situation auch im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt zu sein: Dieses gleiche nach einem WHO-Bericht einer humanitären Katastrophenzone. Das Krankenhaus könne nur noch 40 seiner 80 Betten belegen, habe aber mehr als 200 Patienten, berichtete Peeperkorn. Er sei jahrelang in Afghanistan und anderen humanitären Krisensituationen im Einsatz gewesen, „aber so etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“.

Patienten lägen auf den Gängen, der Bücherei und einer Kapelle sowie im Innenhof. Ärzte behandelten Schwerverletzte, die auf Eselskarren oder zu Fuß ankämen, teils auf dem Boden und auf dem Gehsteig. Es gebe kaum noch Personal. Weil es keinen Gefäßchirurgen gebe, müssten sie Gliedmaßen amputieren.

Hunderte Verletzte verließen Gazastreifen bisher

Nur ein Prozent der Verletzten im Gaza-Krieg konnte das Küstengebiet der Hamas-Gesundheitsbehörde zufolge bisher zur ärztlichen Behandlung verlassen. Etwas mehr als 400 Verletzte hätten ausreisen können, teilte das Ministerium am Montag mit – bei fast 50.000 bisher Verletzten insgesamt. Etwa 8.000 Verletzte benötigten dringend und sofort ärztlich Versorgung. Die Gesundheitsbehörde wird von der islamistischen Hamas kontrolliert. Die angegebenen Opferzahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig prüfen.

Hunderte Verletzte kamen in vergangenen Wochen zur Behandlung zusammen mit Begleitpersonen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten. Die Genehmigung zur Ausreise brauche einen bis drei Tage, teilte das OCHA in der Nacht auf Dienstag mit.

Gazastreifen: Gefechte in Hamas-Hochburg

Im Gazastreifen liefern israelische Bodentruppen der Hamas heftige Gefechte. Im Norden sollen laut dem israelischen Militär Hamas-Hochburgen umzingelt sein.

Ägypten schickte indes einen Hilfskonvoi aus 80 Lastwagen zum wiedereröffneten Grenzposten Kerem Schalom zwischen Israel und dem Gazastreifen. Zusätzliche hundert Lastwagen wurden zum ägyptisch-israelischen Grenzposten Nizana geschickt, wo die gesamte internationale Hilfe abwickelt wird, die über Rafah in den Gazastreifen gelangt. Israel hatte sich am Dienstag zur Wiedereröffnung von Kerem Schalom bereiterklärt.

WHO vertraut auf Angaben palästinensischer Behörden

Die WHO hält die von den palästinensischen Behörden genannten Toten- und Verletztenzahlen für verlässlich. Die WHO verlasse sich in Konfliktsituationen immer auf die Zahlen der Gesundheitsbehörden, sagte Peeperkorn. Die palästinensischen Behörden hätten sich früher als zuverlässig herausgestellt. Nach früheren Konfliktsituationen seien ihre Angaben über Opfer im Nachhinein geprüft worden und hätten sich als weitgehend akkurat erwiesen. Die Opferzahlen seien von den Behörden eher unter- als überschätzt worden.

Peeperkorn verwies auf eine Studie der Fachzeitschrift „The Lancet“. Sie berichtete am 6. Dezember, dass es keine Anzeichen gebe, dass die Toten- oder Verletztenzahlen von den palästinensischen Behörden aufgebläht werden. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit dem 7. Oktober bis einschließlich Montag mehr als 18.200 Menschen im Gazastreifen getötet und weitere rund 50.000 verletzt.

Gaza-Resolution in UNO-Vollversammlung

Nach dem Scheitern einer Waffenstillstandsresolution im UNO-Sicherheitsrat will sich am Dienstag die UNO-Vollversammlung mit einem ähnlichen Entwurf beschäftigen. Der von Ägypten eingebrachte Resolutionstext fordert unter anderem einen humanitären Waffenstillstand. Eine Verabschiedung gilt als sehr wahrscheinlich. Resolutionen der UNO-Vollversammlung sind allerdings nicht bindend, sondern lediglich symbolisch.