Asylsuchende in Ter Apel, Niederlande
Reuters/Piroschka Van De Wouw
Kritik an EU-Asylreform

NGOs sehen Menschenrechte in Gefahr

Am Mittwoch haben sich Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten und des EU-Parlaments endgültig auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und damit auf strengere Asylregeln geeinigt. Während die EU-Spitzen das Abkommen als „wegweisend“ bezeichnen, kommt von Menschenrechts- und Hilfs-NGOs heftige Kritik. Viele sehen dadurch eine Gefährdung der Menschenrechte und keine Lösung der Asylprobleme.

Die am Mittwoch erzielte Einigung sei „ein menschenrechtlicher Dammbruch und ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die EU für eine restriktive Migrationspolitik entschieden hat“, teilte etwa Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, in einer Aussendung mit. Die beschlossenen Verschärfungen würden das europäische Asylrecht für die nächsten Jahrzehnte prägen und riskierten, die Rechtlosigkeit an den Außengrenzen zur Norm machen.

Auch die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch protestierte gemeinsam mit 17 weiteren Initiativen heftig gegen den Beschluss. „Die GEAS-Reform ist das endgültige Todesurteil für das europäische Asylrecht“, hielt die politische Referentin von Sea-Watch, Dorothee Krämer, in einer Aussendung fest. Mit dem neuen EU-Migrationspakt würden das individuelle Recht auf Asyl in der EU beendet und noch mehr Tote auf See verursacht.

Einigung des Abkommens

Dem Abkommen zufolge soll es künftig einheitliche Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen geben. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Die Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt.

Grafik zu Asylanträgen
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Abgelehnte Asylwerberinnen und Asylwerber sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden. Das Abkommen muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist aber normalerweise eine Formalität.

Knaus: Unklar, wie Länder davon profitieren

Migrationsexperte Gerald Knaus von der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI), bezeichnete das Übereinkommen auf X (Twitter) als „riesige und komplizierte Reform“. Dadurch würden „keine echten Probleme gelöst“. Außerdem sei weiter unklar, wie Zielländer wie Deutschland, Frankreich, Österreich und Ankunftsländer wie Italien von der Reform profitieren.

Auch Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich äußerte sich auf X kritisch über die Einigung. Genaue Inhalte seien noch nicht bekannt. Was bekannt ist, sei „kein Paradigmenwechsel, sondern ‚more of the same‘“ und würde „nationale Alleingänge“ begünstigen und das „Gemeinsame“ unterminieren. Dass der beschlossene Kompromiss nicht zu einer Lösung der Asylprobleme der EU führen wird, befürchtet auch die christliche Hilfsorganisation Caritas Europa – mehr dazu in religion.ORF.at.

Die Diakonie zeigte sich besorgt, die Refom bedeute nicht, dass weniger Menschen flüchten müssten – mehr dazu in religion.ORF.at. Einen „Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte“ sieht man bei Ärzte ohne Grenzen Österreich. Die Asylreform sei „der Nährboden für systemische Gewalt, Pushbacks und lange, willkürliche Inhaftierungen“, hielt Marcus Bachmann, humanitärer Berater der Organisation, in einer Aussendung fest.

EU einigt sich auf Asylreform

Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsstaaten und des EU-Parlaments haben sich nach jahrelangen Debatten auf eine Reform des Asylsystems verständigt. Ein formaler Beschluss und ein finaler Text fehlen noch, aber der neue Asyl- und Migrationspakt soll deutlich strengere Regeln beinhalten.

Erleichterung bei EU und UNO

Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, schrieb auf X, die EU habe sich auf ein „wegweisendes Abkommen“ geeinigt. „Ich bin sehr stolz, dass wir mit dem Migrations- und Asylpakt Lösungen geliefert und gebracht haben.“ Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erleichtert über die Einigung: „Sie bedeutet, dass die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Menschenhändler. Damit schützen wir diejenigen, die in Not sind.“

Auch der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, bezeichnete den EU-Asylkompromiss als „sehr positiven Schritt“ und gratulierte der EU und der EU-Kommission. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) stehe bereit, um bei der Umsetzung „zu beraten und unterstützen“, sagte er.

Ungarn, einer der stärksten Kritiker des Abkommens, wies die Einigung hingegen „aufs Schärfste“ zurück. „Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen“, sagte Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch vor Journalistinnen und Journalisten.

ORF-Korrespondentin Schaidreiter zur EU-Asylreform

Brüssl-ORF-Korrespondentin Raffaela Schaidreiter spricht zum Beschluss der neuen EU-Asylreform und was diese mit sich bringt.

Kogler: „Menschlichkeit und Ordnung einhalten“

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sagte im Interview mit der ZIB2, dass nach Jahren erstmals die Chance auf Verteilung von Schutzsuchenden bestehe. Wichtig sei, dass Menschlichkeit und Ordnung eingehalten werden, so Kogler.

Karner: Schritt in die richtige Richtung

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gab sich vorsichtig optimistisch. „Das Ergebnis scheint ein Schritt in die richtige Richtung“ zu sein, teilte er in einem Statement mit. „Strenge und schnelle Verfahren an den EU-Außengrenzen sowie Zusammenarbeit mit Drittstaaten waren und sind die klaren Forderungen Österreichs mit dem Ziel einer deutlichen Entlastung unseres Landes.“

Auch die österreichischen ÖVP-Abgeordneten Angelika Winzig und Lukas Mandl zeigten sich in einer Presseaussendung erfreut über die Einigung. Die Asyl- und Migrationssprecherin von NEOS, Stephanie Krisper, begrüßte in einer Aussendung, „dass nach jahrelangen mühsamen Verhandlungen nun endlich eine Einigung … gefunden wurde“.

FPÖ: Wird „Grundproblem“ nicht ändern

Die SPÖ will den Text zuerst darauf prüfen, ob die Grundrechte geschützt werden, bevor man im Parlament darüber abstimmt. „Neue Regeln müssen praktisch funktionieren und bestehende Probleme lösen, nicht verschärfen“, sagte die SPÖ-EU-Abgeordnete Theresa Bielowski in einer Aussendung.

Deutlichere Kritik kam von den Grünen. „Rechtsstandards und -garantien werden aufgeweicht, Grenzverfahren und Inhaftierungen werden großes menschliches Leid hervorrufen, und das Sterben im Mittelmeer wird nicht beendet“, sagte Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament.

Für die FPÖ wird der EU-Migrationspakt „an der seit Jahren anhaltenden illegalen Massenzuwanderung unter Missbrauch des Asylrechts nichts ändern“. Er gehe „in keiner Weise das Grundproblem der offenen Grenzen an“, teilte der FPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Harald Vilimsky, in einer Aussendung mit.