Israelische Soldatinnen an Denkmalort
AP/Ohad Zwigenberg
Hamas-Überfall

Recherche zeigt „extreme sexuelle Gewalt“

Bei dem Überfall der Hamas am 7. Oktober in Israel hat es zahlreiche Fälle extremer sexualisierter Gewalt an Frauen gegeben. Das bestätigt nun eine Recherche der „New York Times“ („NYT“). Es habe sich bei den Angriffen nicht um „isolierte Ereignisse“ gehandelt – vielmehr hätte die Hamas sexualisierte Gewalt systematisch als Waffe verwendet.

Zwei Monate lang untersuchte die „NYT“ die Folgen durch die Übergriffe der Hamas. Anhand von Videomaterial, Fotos, GPS-Daten von Handys und Interviews mit mehr als 150 Personen – darunter medizinischem Personal, Soldaten und Vergewaltigungsberatern – wurden „mindestens sieben Orte“ identifiziert, an denen israelische Frauen und Mädchen offenbar sexuell missbraucht, verstümmelt und entstellt wurden.

Einerseits handelte es sich um Videos, die das israelische Militär zur Verfügung stellte. Als Material dienten aber auch Videos von Betroffenen. Viele der dabei zutage getretenen Bilder seien schwer zu ertragen gewesen, die visuellen Beweise nannten die Journalistinnen und Journalisten der US-amerikanischen Tageszeitung „verstörend“.

Berichte über „grobe Entstellungen“

Etwa Aufnahmen eines Videos, das am 8. Oktober von einer Frau gefilmt wurde. Sie nahm das Video auf der Suche nach einem vermissten Freund am Ort jenes Festivals auf, bei dem am Vortag Hamas-Terroristen Hunderte junger Israelis massakriert hatten. In dem Video, das von der „NYT“ verifiziert wurde, war demnach eine grob entstellte Frau zu sehen.

Israelische Polizeibeamte gehen davon aus, dass die Frau vergewaltigt wurde. Sie sei zu „einem Symbol für die Schrecken geworden, die israelischen Frauen und Mädchen während der Angriffe am 7. Oktober widerfahren sind“, heißt es weiter. Auch mehrere Soldaten und Sanitäter berichteten gegenüber der „NYT“ von Leichen von Frauen und Mädchen mit ähnlichen Verletzungen.

NGOs kritisieren mangelnde globale Aufmerksamkeit

Auch israelische Frauenrechtlerinnen hatten in den letzten Wochen bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es bei dem Überfall der Hamas auch extreme Fälle sexualisierter Gewalt gegeben habe. Viele dieser Gräueltaten seien erst später ans Licht gekommen, weil Ärzte in den ersten 48 Stunden vor allem mit der Notversorgung von Verletzten beziehungsweise der Identifizierung Hunderter Leichen beschäftigt gewesen seien, sagte eine von ihnen, Miki Roitman.

Roitman gehört einer von israelischen Expertinnen gegründeten Kommission an, die sich der Aufgabe verschrieben hat, geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen der Hamas am 7. Oktober zu dokumentieren und international darauf aufmerksam zu machen. Laut der Vorsitzenden der Kommission, Cochav Elkayam-Levy, fanden diese Verbrechen, „die unsere Gesellschaft für Generationen traumatisieren werden“ vor allem durch die UNO, aber auch durch Organisationen wie Amnesty International bisher nicht ausreichend Berücksichtigung.

Israelische Frauen halten während einer Demonstration in Jerusalem Plakate gegen das Schweigen von UN-Frauen gegen Hamas-Gewalt in die Höhe
IMAGO/UPI Photo/Debbie Hill
Israelische Frauenrechtlerinnen kritisierten zu wenig Aufmerksamkeit für die sexualisierte Gewalt durch die Hamas

Auch Roitman erklärte, dass es sich nicht um Verbrechen Einzelner gehandelt habe, sondern um ein systematisches Vorgehen der Hamas. So seien etwa die Vergewaltigten fast alle nicht verschleppt, sondern nach der Tat getötet worden. Ein Terrorist, der sich jetzt in israelischer Gefangenschaft befinde, habe ausgesagt, es sei ihre Aufgabe gewesen, Frauen „zu beschmutzen“, sagte Roitman. Die Hamas wiesen die israelischen Vorwürfe der sexuellen Gewalt zurück.

Zahlreiche Videobeweise, keine Autopsien

Für die Vergehen gibt es zwar zahlreiche Videobeweise der israelischen Behörden – allerdings stellen die fehlenden Autopsien ein Problem dar. Denn nach israelischer Tradition hätten die Beerdigungen rasch stattgefunden.

Das habe dazu geführt, dass viele Leichen, die Anzeichen von sexuellem Missbrauch aufgewiesen hätten, ohne medizinische Untersuchung beigesetzt wurden, ergab die „NYT“-Recherche. Internationale Forensikexperten erklärten demnach, dass es zwar möglich wäre, einige Beweise aus den Leichen zu bergen, das aber sehr schwierig wäre.

Auch die israelische Polizei gab an, dass sie sich während des Schocks am 7. Oktober nicht darauf konzentriert habe, Proben von Frauenkörpern zu sammeln, Autopsien anzufordern oder Tatorte genau zu untersuchen. Stattdessen habe sie sich darauf konzentriert, die Hamas zurückzuschlagen und die Toten zu identifizieren.

Aufklärung oft erst Jahre später

Dass es in Fällen von verbreiteter sexueller Gewalt während eines Krieges nur wenige forensische Beweise gebe, sei nicht ungewöhnlich, erklärten Fachleute gegenüber der „NYT“. Ein bewaffneter Konflikt sei „so chaotisch“, sagte etwa Adil Haque, Rechtsprofessor und Experte für Kriegsverbrechen. „Die Menschen sind mehr auf ihre Sicherheit bedacht als darauf, einen Strafprozess zu führen.“

Sehr oft würden Fälle von Sexualverbrechen erst Jahre später auf der Grundlage der Aussagen von Opfern und Zeugen verfolgt. Keine der Überlebenden hat sich laut „NYT“-Recherchen bisher öffentlich geäußert. Das Trauma eines sexuellen Übergriffs könne zudem so schwer sein, dass die Überlebenden jahrelang nicht darüber sprechen würden.

„Viele Menschen sind auf der Suche nach dem goldenen Beweis, nach einer Frau, die aussagt, was ihr passiert ist. Aber suchen Sie nicht danach, üben Sie nicht diesen Druck auf diese Frau aus“, sagte Orit Sulitzeanu, Geschäftsführerin der Vereinigung der Vergewaltigungskrisenzentren in Israel, gegenüber der „NYT“: „Die Leichen erzählen die Geschichte.“