Members of Muslim Talba Mahaz Pakistan chant slogans at a demonstration to condemn Iran strike in the Pakistani border area, in Islamabad, Pakistan, Thursday, Jan. 18, 2024. Pakistan’s air force launched retaliatory airstrikes early Thursday on Iran allegedly targeting militant positions, a deadly attack that further raised tensions between the neighboring nations. The banner in the Urdu language reads, „Against the Iran’s strike on Pakistan and abominable alliance of India, Iran and Israel’ and demonstration for long live Pakistan.“ (AP Photo/Anjum Naveed)
AP/Anjum Naveed
„Alarmbereitschaft“

Pakistan droht Iran mit weiterer Vergeltung

Offensichtlich aus Vergeltung hat Pakistan Raketen auf den benachbarten Iran abgefeuert. Der Angriff auf die Provinz Sistan-Balutschistan am Donnerstag habe Extremisten gegolten, teilte das pakistanische Außenministerium mit und drohte alsbald mit weiteren Vergeltungsmaßnahmen, sollte sich der Iran ein weiteres „Missgeschick“ leisten. Man sei in „Alarmbereitschaft“. Aufseiten des Iran erkannte Experte Walter Posch zuletzt ein wachsendes „Selbstvertrauen“ in der Region.

Bei dem pakistanischen Angriff auf den Iran sollen nach iranischen Angaben drei Drohnen in Wohngebieten eingesetzt worden sein. Laut der iranischen Nachrichtenagentur IRNA kamen zehn Menschen, darunter vier Kinder, ums Leben. Der Sprecher des Außenministeriums in Teheran, Nasser Kanaani, verurteilte den Angriff.

Wie die iranische Nachrichtenagentur Tasnim berichtete, wurde der pakistanische Geschäftsträger ins Außenministerium einbestellt. Seit Ausbruch des Gaza-Krieges wächst die Sorge vor einem Flächenbrand in der Region. Auch die Spannungen zwischen dem Iran und weiteren Nachbarländern nehmen zu.

Iran: Dschihadistengruppe in Pakistan angegriffen

Am Dienstag hatte der Iran laut eigenen Angaben Ziele der extremistischen Gruppe Dschaisch al-Adl in Pakistan attackiert. Dabei kamen nach pakistanischen Angaben zwei Kinder ums Leben. Die Atommacht Pakistan hatte die Angriffe scharf kritisiert und den Botschafter aus Teheran abgezogen. In der Nacht hatten die iranischen Revolutionsgarden zudem Ziele im Irak und in Syrien mit ballistischen Raketen angegriffen.

Das pakistanische Außenministerium rechtfertigte den Angriff am Donnerstag mit Hinweisen auf terroristische Bedrohungen in der Region. Dennoch respektiere Pakistan die Souveränität und territoriale Integrität des Iran. „Der Iran ist eine brüderliche Nation, und die Menschen Pakistans haben großen Respekt und Zuneigung für die Menschen des Iran“, hieß es aus dem pakistanischen Außenministerium.

China bietet Hilfe an, Russland und Türkei fordern Mäßigung

China rief beide Seiten zu Ruhe und Zurückhaltung auf. Eine Sprecherin des Pekinger Außenministeriums sagte: „Wenn es auf beiden Seiten einen Bedarf gibt, sind wir auch bereit, eine konstruktive Rolle bei der Entspannung der Situation zu spielen.“ Auch die Türkei rief zur Mäßigung auf. Man sei bereit zu vermitteln.

Auch Russland rief beide Länder zu „äußerster Zurückhaltung“ auf. „Wir beobachten die Eskalation der Situation im iranisch-pakistanischen Grenzgebiet, die in den vergangenen Tagen zugenommen hat, mit Sorge“, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. „Wir rufen die Parteien zur größtmöglichen Zurückhaltung auf.“ Die Probleme sollten „ausschließlich auf politischem und diplomatischem Weg“ gelöst werden.

Die gegenseitigen Angriffe folgten auf jüngste positive Entwicklungen der Beziehungen. Erst am Dienstag hatten sich der iranische Außenminister Hussein Amir-Abdollahian und Pakistans geschäftsführender Premierminister Anwaarul Haq Kakar auf dem Weltwirtschaftsforum im Schweizer Davos getroffen. Die Nachbarländer hielten gerade eine gemeinsame Marineübung ab.

Experte: „Selbstvertrauen“ des Iran wird größer

Noch am Mittwoch hielt Iran-Experte Posch eine Eskalation in der Region gegenüber ORF.at für möglich. Aktuell sei zu erkennen, dass das „Selbstvertrauen“ des Regimes im Iran „viel größer ist, als es noch vor zwei Jahren war“; und dass auch die „Raketentechnik offensichtlich besser fortgeschritten“ sei. Jedoch: „Ich glaube, dass es den Iranern nicht gelingen wird, dieses Spiel (der Provokationen, Anm.) auf ewig weiterzutreiben.“

Das Verhältnis zwischen dem Iran und Pakistan sollte sich wieder „einrenken lassen“, doch werde irgendwann die Entscheidung des Westens anstehen, ob man direkt gegen den Iran vorgehen muss, so Posch im Ö1-Mittagsjournal am Donnerstag.

„Was sich gerade im Nahen Osten zusammenbraut, ist verheerend“, warnte die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, in einer Aussendung. Die wechselseitigen Angriffe, insbesondere der iranischen Revolutionsgarden gegen Syrien, den Irak und Pakistan, müssten „mit sofortiger Wirkung“ eingestellt werden und der UNO-Sicherheitsrat seiner Verantwortung „endlich nachkommen“.

„Wahrscheinlich einer der größten strategischen Fehler“

Die iranischen Kapazitäten der Luftverteidigung seien nach dem Vorfall infrage gestellt, so Hamidreza Azizi, Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, auf X (Twitter). „In Anbetracht möglicher langfristiger Auswirkungen auf die Abschreckung und Sicherheit“ des Iran sei der Angriff auf Pakistan „wahrscheinlich einer der größten strategischen Fehler in der Geschichte der Islamischen Republik.“

Irfan Shehzad, Leiter der Eurasian Century Institute in Islamabad, hält eine weitere Eskalation zwischen Pakistan und dem Iran jedoch für unwahrscheinlich. „Ich glaube, dass die diplomatischen Beziehungen vorerst auf einem niedrigeren Niveau bleiben werden, aber es sieht so aus, als ob es keine Eskalation geben wird“, sagte Shehzad der dpa.

Inmitten von Spannungen im Nahen Osten

Die Provinz Sistan-Balutschistan mit ihrer Hauptstadt Sahedan liegt im Südosten des Iran. Dort lebt die ethnische Minderheit der Belutschen, die der sunnitischen Ausrichtung des Islam angehören. Im Iran insgesamt herrscht die schiitische Glaubensrichtung vor, das Land begreift sich international als Schutzmacht der Schiiten.

In der Vergangenheit gab es mehrfach Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften in Sahedan und der Provinz Sistan-Balutschistan. In Pakistan wiederum sind die Sunniten die vorherrschende Religionsgruppe und die Schiiten in der Minderheit.

Pakistan und der Iran werfen einander immer wieder vor, Extremisten von ihrem Territorium aus Angriffe auf das andere Land verüben zu lassen. Die jetzigen Luftangriffe beider Länder verschärfen die Spannungen in der Region inmitten des Gaza-Krieges zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas und der Angriffe der Huthi-Rebellen im Jemen auf Schiffe im Roten Meer, auf die die USA mit Angriffen auf Stellungen der vom Iran unterstützten Miliz reagiert haben.