Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP)
ORF
„Pressestunde“

Nehammer verteidigt Pläne, attackiert Kickl

In der ORF-„Pressestunde“ hat ÖVP-Chef Karl Nehammer am Sonntag Kritik an der fehlenden Gegenfinanzierung seines „Österreich-Plans“ zurückgewiesen. Maßnahmen wie die Senkung von Lohnnebenkosten bzw. Steuersätzen will er unter anderem durch einen Abbau von Subventionen, Deregulierung und weniger Sozialleistungen für Zuwanderer finanzieren. FPÖ-Chef Herbert Kickl bezeichnete er im Interview als rechtsextrem.

Dass es in seinem Plan keine konkreten Berechnungen und Zahlen zur Gegenfinanzierung gebe, liege daran, dass es zur Umsetzung dieser Maßnahmen erst Verhandlungen und nach der Wahl einen Koalitionspartner brauche. Erst dann könnten konkrete Prozentsätze festgelegt werden, alles andere wäre nicht seriös, sagte Nehammer in der „Pressestunde“.

Auf konkrete Zahlen wollte er sich auch auf Nachfrage nicht festlegen: Ganz allgemein müsse man aber „weg von der Subventionitis“. Durch deren Reduzierung könnten Investitionsfreiräume im Budget geschaffen werden – konkret nannte er Kurzarbeit sowie im Zuge der CoV-Pandemie geschaffene Zahlungen.

Nehammer verteidigt „Österreich-Plan“

Karl Nehammer, Bundeskanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann, hat seinen „Österreich-Plan“ in der ORF-„Pressestunde“ verteidigt.

Außerdem würden Steuersenkungen und Deregulierung mehr Steuereinnahmen generieren, weil so das Wachstum anspringe und Investitionen in Österreich ausgelöst würden. Und schließlich würden Maßnahmen gegen „Zuwanderung ins Sozialsystem“ dazu führen, dass dort die Ausgaben sinken. „Wenn ich das alles hochrechne, habe ich meine Gegenfinanzierung.“ Man dürfe auch nicht vergessen, dass sämtliche Maßnahmen nicht sofort schlagend würden, sondern erst nach und nach – ebenso wie deren Gegenfinanzierung.

„Kickl hat sich radikalisiert und damit die Partei“

Erneut schloss Nehammer angesichts der im Herbst bevorstehenden Nationalratswahlen eine Koalition mit einer FPÖ unter Obmann Herbert Kickl aus. „Kickl hat sich radikalisiert und damit die Partei.“ Wenn ein Obmannwechsel stattfinde, würde sich aber auch die Partei verändern, meinte der Kanzler. „Jede Partei hat die Möglichkeit eines Selbstreinigungsprozesses.“ Auf die Frage, ob Kickl für ihn rechtsextrem sei, antwortete Nehammer: „Ja, in seinen Aussagen auf jeden Fall.“

„Jemand, der in einer Demokratie Fahndungslisten erstellen lässt, hat die Demokratie nicht verstanden“, sagte Nehammer. Beim FPÖ-Neujahrsempfang in der Steiermark hatte Kickl zum Thema Coronavirus-Pandemie gesagt, er habe schon „so eine lange Fahndungsliste der Verantwortungsflüchtigen, Nehammer, Rauch, Edtstadler, Kogler, Schallenberg …“. Demokratie bedeute, aufeinander zuzugehen, sagte Nehammer.

„Rechtsextrem“: Nehammer attackiert Kickl

ÖVP-Chef Nehammer hat FPÖ-Chef Herbert Kickl in der ORF-„Pressestunde“ am Sonntag scharf attackiert.

Bei Nehammer herrsche die „pure Angst“ vor Kickl, reagierte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung. „Dass er fixes Mitglied in der ‚Ich-fürcht-mich-so-vor-Herbert-Kickl-Selbsthilfegruppe‘ der ÖVP ist, wissen wir inzwischen eh alle, Nehammer müsste aber nicht auch noch die Zuschauer mit dieser ‚hängenden Schallplatte in Endlosspur‘ behelligen.“

Nehammer gegen Vorziehen der Nationalratswahl

Einem Vorziehen der im Herbst anstehenden Nationalratswahl erteilte Nehammer eine Absage. „Ich schließe Neuwahlen im Frühjahr für mich aus.“ Allerdings bilde er die Regierung nicht allein, sondern mit den Grünen. „Wenn ich es alleine für mich entscheide, dann würden wir im September wählen“, so Nehammer. Dem stehe auch seine Rede am Freitag in Wels samt Präsentation des „Österreichs-Plans“ nicht entgegen. Er habe die Gelegenheit am Jahresanfang dazu genutzt, um zu zeigen, wofür er stehe. „Ich glaube, es tut gut, wenn man Orientierungspunkte setzen kann.“

Für die von Nehammer angesprochenen Grünen plädierte Generalsekretärin Olga Voglauer ebenfalls gegen vorgezogene Wahlen: In der Zeit bis September könne „noch sehr viel gelingen“, meinte sie in der ORF-Sendung „Hohes Haus“. Für die EU-Wahl vermied der Kanzler in der „Pressestunde“ das Festlegen einer Prozentlatte für seine Partei. Stattdessen gab er als Wahlziel aus, Erster zu werden. Gleiches gilt für die Forschungsquote im EU-Vergleich.

Warten auf Klimaschutzgesetz: „Überhöhte Bedeutung“

Weiter Differenzen gibt es zwischen Grünen und der ÖVP beim Klimaschutzgesetz. Erstere wollen in diesem konkrete Reduktionsziele festschreiben. Das könne sich aber negativ auf Investitionen in Österreich auswirken, meinte der Kanzler. Generell misst er dem Gesetz einen „hohen symbolischen Charakter“ und eine „überhöhte Bedeutung“ zu. Man habe in Sachen Klimaschutz bereits viel erreicht, er verwies etwa auf CO2-Bepreisung und Erneuerbare-Wärme-Gesetz.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Susanne Puller und Tobias Pötzelsberger
ORF
APA-Journalistin Susanne Puller und ORF-Moderator Tobias Pötzelsberger befragen ÖVP-Chef Nehammer

Unbefriedigend sind für Nehammer nach wie vor die derzeitigen Regelungen für die Besetzung von Spitzenstellen – zuletzt wurden aufgrund eines Koalitionsstreits die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts 14 Monate lang nicht besetzt und anschließend nicht die bestgereihte Kandidatin ausgewählt. Derzeit ist dazu zunächst die Befassung einer hochkarätig besetzten Kommission vorgesehen, die einen Dreiervorschlag vorlegt. Die Entscheidung liegt aber bei der Regierung.

„Ich bin der Erste, der sagt, das gehört geändert“, wiederholte der Kanzler seinen Standpunkt. Entweder es gebe eine Ausschreibung und dann die Entscheidung durch eine Kommission oder eben eine politische Entscheidung. Das derzeitige „Mischverhältnis“ gehöre beendet.

Fiskalratspräsident skeptisch

Nehammers Rede und sein „Österreich-Plan“, den er am Freitag in Wels präsentierte, sorgen seither für Kritik und Skepsis. Fiskalratspräsident Christoph Badelt vermisst im Ö1-Mittagsjournal Maßnahmen zur Gegenfinanzierung: „Als Fiskalratschef erfüllt mich das mit Sorge.“ Den von Nehammer bei seiner Rede am Freitag ins Spiel gebrachten Vorschlägen wie Senkung von Lohnnebenkosten bzw. Steuersätzen stünden keine Einsparungsmaßnahmen gegenüber, so Badelt.

Die SPÖ findet das Offenlassen der Gegenfinanzierung „unseriös“, wie in einer Aussendung betont wurde: Im Gegensatz dazu habe man selbst etwa beim Vorschlag einer Bezahlung von Pflegerinnen und Pflegern in Ausbildung die Kosten aufgeschlüsselt und auch einen konkreten Vorschlag zur Gegenfinanzierung gemacht – nämlich die Millionärssteuern, so Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder.

„Heiße Luft“

NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos sah in Nehammers Aussagen „nur heiße Luft anlässlich der kommenden Wahlen“: „Die Menschen wollen Ergebnisse. Die ÖVP ist jetzt in der Regierung. Sie ist es seit 37 Jahren. Sie ist ausgebrannt, und niemand glaubt ihr mehr“, meinte Hoyos in einer Aussendung. All jene Punkte, die der Kanzler jetzt anspreche, hätten seine Partei und er längst angehen können. „Die Menschen brauchen eine Regierung, die liefert, nicht labert.“

Politisch eingeordnet hatte Nehammers Rede zuvor der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier am Freitag in der ZIB2. Er sieht mit dem „Österreich-Plan“ zwei strategische Ziele verbunden, wie er sagte: Ausrufung des „Kanzlerduells“ und – zentral – Themensetzung.