Bei den teils gewaltsamen Protesten beteiligten sich Landwirte mit rund 1.300 Traktoren, wie die Polizei mitteilte. Wegen Aktionen um das EU-Parlament war die Institution teilweise abgeriegelt worden. Vor den Gebäuden wurden Gegenstände in Brand gesetzt, die Polizei schützte den Haupteingang mit Stacheldraht und Einheiten in Schutzmontur, wie am Donnerstag auf Fotos zu sehen war. Das EU-Gipfel-Gebäude war weiträumig abgeschirmt worden.
In einigen Fällen sei es zu Auseinandersetzungen gekommen, wobei Gegenstände geworfen und Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt worden seien. Auf einem Video, das die Proteste zeigen soll, ist zu sehen, wie ein Brandsatz in Richtung Polizistinnen und Polizisten geschmissen wird. Eine Bestätigung über die Echtheit des Videos gab es zunächst nicht. Der Brüsseler Nahverkehrsbetreiber teilte auf X (Twitter) mit, dass mehrere Buslinien wegen der Proteste gestört seien.
„Keine Landwirte, keine Lebensmittel“
Auf einem Traktor etwa war ein Transparent mit der Aufschrift „Wenn du die Erde liebst, unterstütze diejenigen, die sie bewirtschaften“ zu sehen, auf einem anderen Transparent stand: „Keine Landwirte, keine Lebensmittel“. Sicherheitskräfte in Schutzanzügen standen hinter Absperrungen vor dem EU-Sitz, wo die Staats- und Regierungschefs im Tagesverlauf über weitere Ukraine-Hilfen beraten.
Obwohl die Bauernproteste nicht offiziell auf der Tagesordnung des Gipfels stehen, dürften sie zumindest am Rande besprochen werden. Auch weil befürchtet wird, dass sie im Vorfeld der Wahlen zum EU-Parlament im Juni rechten Parteien Zulauf verschaffen könnten.
Wegen der Proteste vor dem Parlament wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Verwaltung zur Vorsicht gebeten. „Es wird dringend empfohlen, sich den Demonstrationen nicht zu nähern und keine Fotos zu machen.“ Einige Eingänge seien geschlossen, damit Demonstrierende nicht in das Gebäude eindringen könnten.
Metsola: „Nicht Schuld geben, sondern zuhören“
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte: „Wir sollten uns nicht darauf konzentrieren, denjenigen, die protestieren, die Schuld zu geben, sondern vielmehr sagen, dass wir ihnen zuhören.“ Als Parlament sei man der Meinung, dass die Stimme von niemandem ignoriert werden sollte.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte am Donnerstag auf die Proteste und stellte den Landwirtinnen und Landwirten weniger Bürokratie in Aussicht. Sie wolle den Mitgliedsländern in Kürze einen Vorschlag machen, „um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren“. Zugleich verwies sie auf den „strategischen Dialog“ ihrer Kommission, der Bauern- und Umweltverbände sowie die Lebensmittelindustrie an einen Tisch bringen soll.
Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas hingegen äußerte sich besorgt über die Ausschreitungen vor dem Europaparlament. „Die Anliegen der Landwirte sind verständlich, die Form des Protests überschreitet aber eine Linie.“
Orban: „Stimme des Volkes“
Die EU-Chefs signalisierten Verständnis für die Anliegen der Landwirte. Belgiens Ministerpräsident Alexander de Croo begrüßte, dass die EU-Kommission jüngst Ausnahmen von Umweltauflagen verlängert hatte. „Besser wäre, das nicht nur für ein Jahr zu verlängern“, sagte er. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar forderte, dass die EU in den kommenden Jahren darauf verzichten solle, neue Auflagen zu erlassen.
Der ungarische Premierminister Orban verbreitete bereits am Mittwoch ein Video, das ihn im Kreise der Demonstrierenden zeigt. In dem auf X veröffentlichten Video bezeichnete er die Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer als „Stimme des Volkes“, für die er „aufstehen“ werde.
Orban lenkte bei Ukraine-Hilfen ein
Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag hatten viele ein langes Tauziehen um neue Ukraine-Hilfen befürchtet. Vor allem von Orban hätten viele Beobachterinnen und Beobachter mehr Widerstand erwartet. Dieser lenkte jedoch in einer kleinen Runde mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, EU-Ratspräsident Charles Michel sowie Kommissionspräsidentin von der Leyen ein.
Damit einigten sich alle 27 Staats- und Regierungschefs auf ein neues Unterstützungspaket im Umfang von 50 Mrd. Euro. Orban hob seine Blockade nach eigenen Angaben nur im Gegenzug für „Garantien“ auf. Ungarn sei besorgt gewesen, dass ihm zugesprochene, aber derzeit eingefrorene EU-Gelder letztlich in die Ukraine fließen würden, sagte Ungarns Regierungschef in einem Onlinevideo. Es sei jedoch ein „Kontrollmechanismus“ ausgehandelt worden, hieß es weiter. „Wir haben die Garantie erhalten, dass Ungarns Geld nicht in der Ukraine landet.“
Die anderen 26 Länder gestanden dem ungarischen Regierungschef nach EU-Angaben die Möglichkeit zu, nach zwei Jahren erneut auf Chefebene über die Ukraine-Hilfen zu diskutieren – jedoch mit deutlichen Hürden. Orban konnte sich nicht mit seiner Forderung nach einer jährlichen Vetomöglichkeit gegen die Auszahlung der Gelder durchsetzen.