Näherin in einer Textilfabrik in Bangladesch
IMAGO/aal.photo/Habibur Rahman
Lieferkettengesetz

EU-Abstimmung als Zitterpartie

Die EU-Abstimmung zum Lieferkettengesetz am Freitag wird zur Zitterpartie und zeigt den Einfluss der Innenpolitik auf das Abstimmungsverhalten der EU-Länder: Deutschlands Enthaltung auf Druck der mitregierenden FDP sorgt für Unmut – ist es doch auch nicht das erste Mal, dass sich die kleinste Regierungspartei bei EU-Gesetzen querlegt. Unterdessen ist auch in Österreich die Regierung gespalten.

Der deutsche Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner und der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten vergangene Woche erklärt, die Richtlinie verhindern zu wollen. Buschmann sieht Gefahr für die deutsche Wirtschaft. „Das gute Ziel darf aber nicht zu einer Selbststrangulierung unseres Wirtschaftsstandorts führen“, so Buschmann am Mittwoch. Wegen der Blockade der FDP muss sich Deutschland nun enthalten, was wie eine Gegenstimme gewertet wird. Das Gesetz könnte deswegen scheitern.

Pikant dabei: In Deutschland gilt bereits seit Anfang 2023 ein Lieferkettengesetz, das noch von der Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verabschiedet worden war. Es verpflichtet Unternehmen, auf die Einhaltung internationaler Standards zu Menschenrechten und Umwelt entlang der eigenen Lieferkette zu achten. Von einer einheitlichen EU-Regelung könnten daher zahlreiche Unternehmen in der EU profitieren.

Deutscher Finanzminister Christian Lindner
Reuters/Fabrizio Bensch
Der deutsche Wirtschaftsminister und FDP-Chef Christian Lindner

Verbrenner-Aus schuf „Präzedenzfall“

Die Blockade eines EU-Gesetzes nach Einigung von EU-Rat und Europaparlament wie nun durch Deutschland ist höchst unüblich. Die FDP hatte das bereits Ende März letzten Jahres beim EU-Gesetz für das Aus von Verbrennermotoren getan, um eine Ausnahmeregelung für synthetische Kraftstoffe zu erwirken.

Sophie Pornschlegel, Expertin des Brüsseler Thinktanks European Policy Centre (EPC), sprach damals gegenüber ORF.at von einem „gefährlichen Präzedenzfall“ und „reiner Machtpolitik“ Berlins, das seine „Machtposition in Europa“ ausnutze, um europäische Gesetzgebung aufgrund mangelnder Kompromisse innerhalb der deutschen Regierungskoalition „zu torpedieren“.

Arbeiter in Textilfabrik in Gazipur
Reuters/Mohammad Ponir Hossain
Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Textilfabrik in Gazipur in Bangladesch

SPD: „Ideologisch motivierte Blockade“ der FDP

Die jetzige deutsche Enthaltung zeigt dieses Muster und das Primat der Innenpolitik erneut allzu deutlich. Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, er habe bis zum Schluss Kompromiss- und Lösungsvorschläge gemacht, die FDP habe aber nicht mitziehen wollen. Er warf dem Koalitionspartner FDP eine „ideologisch motivierte Blockade“ vor. Eine deutsche Enthaltung werde bei den europäischen Partnern auf Unverständnis stoßen.

Das Lieferkettengesetz soll am Freitag im Ausschuss der ständigen EU-Vertreter bestätigt werden. Bei der Abstimmung unter den EU-Staaten ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich: 15 Mitgliedsländer müssen zustimmen, die insgesamt mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen.

Kein Profitieren mehr von Kinder- und Zwangsarbeit

Im Dezember 2023 hatten sich Rat, Parlament und Kommission nach monatelangen Verhandlungen im Trilog auf einen Kompromiss für das EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Durch dieses sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Auch auf die Umwelt soll geachtet werden.

Die Unternehmen müssen die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu zählen Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister, aber auch die Abfallwirtschaft. Bei Verstößen drohen Unternehmen Strafen in Höhe von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Umsatzes.

Wirtschaftsminister Martin Kocher
APA/Tobias Steinmaurer
ÖVP-Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher

Kocher will sich enthalten

In Österreich ist die Koalition uneins. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sprach sich bereits vor geraumer Zeit für eine Zustimmung aus. ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Kocher will sich unterdessen bei der Abstimmung enthalten. Das gab das Büro des Ministers am Mittwochnachmittag auf APA-Anfrage bekannt.

„Der Kompromissvorschlag ist nicht zustimmungsfähig“, hieß es von Kocher. „Wir unterstützen die Ziele der Richtlinie und wollen eine umsetzbare Grundlage“, so Kocher. Aber: „Der aktuelle Richtlinienentwurf ist nicht umsetzbar und wirkt sich stark negativ für Unternehmen sowohl in der EU als auch in den Ländern des Globalen Südens aus.“

„Die österreichische Wirtschaft besteht zu 99,6 Prozent aus KMU. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden. Wir dürfen Europas Position in der Weltwirtschaft nicht schwächen“, so Kocher. Er sprach sich für eine Rückkehr zum Verhandlungstisch aus.

Zadic: Fadenscheinige Gründe

Zadic sieht das anders: „Wir können es uns nicht leisten, auf altes Denken zu hören, das fadenscheinige Gründe sucht, warum es hier keine Verbesserungen geben soll“, appellierte sie in einem Statement gegenüber der APA zu Zustimmung. „Mit einem starken Lieferkettengesetz könnten wir endlich wirksam gegen die Ausbeutung von Millionen Kindern vorgehen“, so Zadic.

Das Gesetz, das sie „mit aller Kraft unterstützen“ will, biete „eine einmalige Chance, unseren Planeten und seine Artenvielfalt vor weiterer Zerstörung zu schützen und für unsere Kinder und Enkelkinder zu bewahren“. Zudem schaffe man damit faire Wettbewerbsbedingungen, kleine Unternehmen und Familienbetriebe, die regional wirtschaften, würden gestärkt.

WKO-Chef warnt vor überbordender Bürokratie

Gewerkschaft, Arbeiterkammer (AK), NGOs und Umweltschützer sind für das Vorhaben, sie sehen Nutzen für Menschen und Umwelt. Wirtschaftsvertreter von Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) sind dagegen, sie warnen vor einer Überregulierung.

Am Montag hatten zahlreiche Umweltschutzorganisationen, NGOs und politische Akteure, wie etwa die SPÖ, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und die Grüne Wirtschaft, an Kocher appelliert, dem erzielten Kompromiss zuzustimmen.

Gegen eine Zustimmung sprach sich indes etwa die Freiheitliche Wirtschaft aus, auch die schwarz-blaue Landeskoalition in Oberösterreich fordert ein österreichisches Veto. Die Industriellenvereinigung (IV) ließ Anfang des Monats wissen, dass man die deutschen Bedenken teile. WKO-Chef Harald Mahrer kritisierte am Mittwoch eine überbordende Bürokratie, die durch eine Umsetzung des Lieferkettengesetzes, gegen das er sich vehement aussprach, noch weiter ausufern würde.