ein Mann steht zwischen zerstörten Gebäuden in Rafah
AP/Fatima Shbair
Zwei Geiseln befreit

Israel erhöht Druck auf Hamas

Die Befreiung von zwei Geiseln aus den Händen der Hamas hat während der Verhandlungen über einen weiteren Geiseldeal stattgefunden. Die Kommandoaktion in Rafah, zugleich letzte Hochburg der Hamas und Fluchtpunkt für rund 1,4 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser, soll nach israelischem Kalkül die Hamas weiter unter Druck setzen und zu Zugeständnissen führen. Die Terrororganisation äußerte sich zum israelischen Einsatz bisher nicht.

Die Terrororganisation hatte den Paris-Plan für einen Geiseldeal, den Ägypten, Katar, die USA und Frankreich gemeinsam mit Israel ausverhandelten, Ende letzter Woche mit einem eigenen Gegenvorschlag beantwortet. Die Forderungen liegen weit auseinander, Israel kündigte an, wegen Aussichtslosigkeit gar nicht an einer für Dienstag geplanten indirekten Verhandlungsrunde beider Kriegsparteien in Kairo teilzunehmen.

Allerdings drängen unter anderem die USA und Ägypten Israel. Nicht zuletzt wegen des angedrohten bzw. geplanten Einmarsches in der südlichen Stadt Rafah, die an Ägypten grenzt, muss Israel auf ein gutes Verhältnis mit Kairo achten und versuchen, dessen Bedeutung als Vermittler – gegenüber dem „Konkurrenten“ Katar – zu stärken. Israels Medien berichteten nach der gelungenen Befreiungsaktion, Israel könnte – auch wenn derzeit keine deutliche Annäherung in Sicht ist – trotzdem eigene Vertreter nach Kairo schicken.

Hamas setzt weiter auf Zeit

In Israel gehen Beobachterinnen und Beobachter davon aus, dass die Kommandoaktion mitten in Rafah, der letzten Stadt in Gaza, in die Israels Armee bisher nicht einmarschierte, den Druck auf die Hamas zu Zugeständnissen erhöht. Die Terrororganisation versucht ihrerseits weiter, die katastrophale humanitäre Lage der eigenen Bevölkerung auszunützen, um den internationalen Druck auf Israel zusätzlich zu erhöhen. Bei den Kämpfen rund um die Geiselbefreiung kamen laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 70 Menschen ums Leben. Unklar ist, wie viele davon Hamas-Kämpfer und wie viele Zivilisten sind. Zudem meldete die Hamas den Tod von drei israelischen Geiseln. Sie seien Verletzungen erlegen, die sie bei israelischen Luftangriffen erlitten hätten, hieß es.

aus Rafah befreite Geiseln beim Wiedersehen mit Angehörigen
Reuters/Israel Defense Forces
Die befreiten Geiseln, Louis Har und Fernando Simon Marman, mit Angehörigen beim ersten Wiedersehen

Für die israelische Armee könnte ein tatsächlicher Einmarsch in Rafah zu einem Wettlauf gegen die Zeit werden: Die USA, die einen Einmarsch grundsätzlich ablehnen, Israel aber wohl auch nicht stoppen würden, signalisierten bereits, dass mit Beginn des Ramadan am 10. März, die USA einen Stopp fordern würden. Washington befürchtet, dass eine weitere humanitäre Katastrophe und Kämpfe die Empörung in der muslimischen Welt weiter ansteigen lassen würden.

Grafik zum Gazastreifen
Grafik: APA/ORF; Quelle: CNN/ISW/Warmapper

Auch die Vereinten Nationen mahnten und zeigten sich skeptisch, bei einer Evakuierung zu helfen. Alles, was im südlichen Teil der Region an der Grenze zu Ägypten passiere, müsse unter voller Achtung des Schutzes der Zivilbevölkerung stattfinden, sagte UNO-Sprecher Stephane Dujarric. „Wir werden uns nicht an der Vertreibung von Menschen beteiligen.“

Detailplanung fehlt noch

Auch wenn die Armee permanent verschiedenste Pläne für das weitere Vorgehen erarbeitet, so fehlt die Detailplanung für eine Evakuierung von Rafah und den anschließenden Einmarsch offenbar noch. Das berichtete am Montag die „New York Times“. Auch wurden bisher keine solchen Pläne der Regierung vorgelegt. Allein die Androhung sorgte aber aufseiten der Palästinenser und der Hamas für Angst bzw. Nervosität.

Aus israelischer Sicht ist die Eroberung Rafahs nötig – einerseits weil sich dorthin mehrere noch kampffähige Hamas-Einheiten zurückgezogen haben und die verbliebenen 134 Geiseln dort vermutet werden – gemeinsam mit der Hamas-Führung. Zugleich will Israel sichergehen, dass die Hamas nicht erneut Waffen, Geld und Personal über die ägyptische Grenze schmuggeln und sich damit erholen kann. Laut israelischen Angaben wurden 12.000 Hamas-Kämpfer getötet, das sei mehr als die Hälfte.

„Nichts als Sand“ in al-Mawasi

Die Zivilbevölkerung ist völlig entkräftet, die Versorgungslage dramatisch, und Hunderttausende mussten bereits mehrmals in den letzten Monaten flüchten – in als von der Armee als „sicher“ designierte Orte, die dann teils auch wieder angegriffen wurden. Israelischen Medienberichten zufolge plant die Armee, in al-Mawasi nordwestlich von Rafah und direkt am Meer gelegen, eine neue „sichere Zone“ einzurichten.

In al-Mawasi, rund 20 Kilometer vom Zentrum Rafahs entfernt, gibt es aber nicht einmal annähernd die Infrastruktur, um Hunderttausende Menschen aufzunehmen. In einem Kommentar der liberalen israelischen Tageszeitung „Haaretz“ wurde am Wochenende bereits vor einer menschlichen Tragödie bisher nicht da gewesenen Ausmaßes an einem Ort, an dem es „außer Sand“ nichts gebe, gewarnt.

Sanktionen und Einreiseverbot

Auf internationale Ebene mehren sich unterdessen die Warnsignale: Großbritannien verhängte am Montag – so wie die USA – Sanktionen gegen vier jüdische Siedler, denen Gewalt gegen Palästinenser vorgeworfen wird. In den Niederlanden entschied ein Berufungsgericht, dass das Land an Israel ab sofort keine Ersatzteile für F-35-Kampfjets mehr liefern dürfe. Das Urteil ist nicht letztinstanzlich.

Israel untersagte am Montag zudem einer Sondergesandten des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) die Einreise. Sie sollte die Menschenrechtslage in der besetzten Westbank, in der es seit dem 7. Oktober verstärkt Übergriffe von Siedlern auf Palästinenser gibt, prüfen. Montagfrüh hatte der Hochkommissar für Menschenrechte, der Österreicher Volker Türk, die Lage in Gaza als „schrecklich“ bezeichnet. Dass Israel eine Fact-Finding-Mission der UNO-Organisation, der von mehreren Seiten immer wieder Parteilichkeit vorgeworfen wird, verhindert, dürfte für zusätzliche internationale Kritik sorgen.