Alexei Navalny
Reuters/Tatyana Makeyeva
Putin-Gegnerin Scherbakowa

Tod Nawalnys „ein politischer Mord“

Für die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial und Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa ist es ganz klar: Der Tod des wichtigsten russischen Oppositionellen, Alexej Nawalny, „ist ein politischer Mord“, betonte sie Freitagabend in der ZIB2.

Es sei nur nicht klar, ob Nawalny nun direkt umgebracht worden sei oder ob es Folge der monatelangen schrecklichen Folter, die er in der Haft erleiden habe müssen, sei. Nawalny werde nun als der wichtigste Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Geschichte eingehen. Und die Historikerin und Germanistin, die mittlerweile im Exil lebt, zeigte sich skeptisch, dass Nawalnys Tod eine große Protestwelle in Russland auslösen wird. Im Gegenteil, betonte sie: „Es wird nicht so schnell einen zweiten Nawalny in Russland geben.“ Der Unterdrückungsapparat sei viel zu mächtig, als dass es eine wirksame Opposition geben könnte.

Ganz ähnlich sah das – ebenfalls in der ZIB2 – der Russland-Experte Gerhard Mangott. Egal, wie Nawalny nun zu Tode gekommen sei, es bleibe ein „grausames Verbrechen des russischen Staates“. Zuerst sei Nawalny vergiftet worden, jetzt habe man ihn in der Haft drangsaliert. Dass Putin Nawalny und andere Oppositionelle so gnadenlos verfolgt, erklärt Mangott mit einer „paranoiden Angst“ des Kreml-Chefs. Nawalny sei eine polarisierende Figur gewesen, da hätte Putin gar keine Angst haben müssen. Aber Putins Ziel sei es, eine Wüste zu hinterlassen, inklusive Ausschaltung von Medien und NGOs. Da sei es „nicht zu erwarten, dass in nächster Zeit ein Keim auf diesem verwüsteten Boden sprießt“. Es gehe Putin um „Abschreckung und Ausschaltung jeder potenziellen Bedrohung“.

Scherbakowa: „Nicht schnell zweiten Nawalny“

Die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial und Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa glaubt nach dem Tod von Alexej Nawalny nicht, dass es zu einer Protestwelle kommt. „Es wird nicht so schnell einen zweiten Nawalny geben“, zeigte sie sich Freitagabend in der ZIB2 skeptisch.

Julia Nawalnaja ruft zu Kampf auf

Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja rief unterdessen von der Münchner Sicherheitskonferenz aus zum Kampf gegen die russische Führung auf. „Wir sollten heute gegen dieses schreckliche Regime in Russland kämpfen“, sagte sie am Freitag.

Putin und seine Verbündeten sollten „bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben“, sagte Nawalnaja auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Putin müsse „persönlich für alle Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden“.

Sie habe darüber nachgedacht, die Konferenz zu verlassen und zu ihren Kindern zurückzukehren, sagte Nawalnaja. Sie habe sich dann gefragt, was ihr Mann an ihrer Stelle getan hätte. „Und ich bin sicher: Er wäre hier auf dieser Bühne gestanden“, sagte Nawalnaja.

Tod in russischer Strafkolonie

Nach Angaben der Gefängnisverwaltung FSIN starb Nawalny am Freitag in einer Strafkolonie in der russischen Polarregion. Die Gründe für seinen Tod würden untersucht, hieß es. Nawalny „fühlte sich nach einem Spaziergang schlecht und verlor fast unverzüglich das Bewusstsein“, erklärte die Behörde. Medizinisches Personal sei sofort zur Stelle gewesen, auch sei ein Krankenwagen gerufen worden. „Es wurden Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt, die keine positiven Ergebnisse brachten“, gab FSIN weiter an.

Russland-Experte Mangott zum Tod Nawalnys

Nach dem Tod von Oppositionsführer Alexej Nawalny gibt es international scharfe Kritik am russischen Regime. In der ZIB2 sind dazu die russische Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa und der Russland-Experte Gerhard Mangott (Universität Innsbruck).

Der 47-Jährige wurde unter anderem wegen angeblichen „Extremismus“ zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt. International jedoch wurde der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen forderten seit Langem seine Freilassung.

Spekulationen über Todesursache

Der kremlnahe TV-Sender RT meldete, Nawalny sei an einem Blutgerinnsel gestorben, das sich gelöst habe. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. Die ehemalige FSIN-Analystin Anna Karetnikowa erklärte, Thromboembolien (Blutgerinnsel; Anm.)seien eine „allgemein komplexe und schwer zu beweisende Diagnose“.

Die Strafkolnie in der Alexei Navalny untergebracht war
Reuters
Seit Ende des Vorjahres war Nawalny im Straflager „Polarwolf“ inhaftiert

„Pulmonale Thromboembolie“ sei „die Bezeichnung für eine Krankheit, die zumindest von Gefängnisärzten“ in einem „übertragenen, leicht erweiterten Sinn verwendet wird. Etwa so: ‚Warum ist der Patient gestorben?‘ ‚Vergessen Sie’s, die schreiben sowieso nur Thromboembolie, wer soll das denn untersuchen?“, zitierte das russische Onlineportal Medusa aus einem Facebook-Eintrag Karetnikowas.

Das russische Präsidialamt hat nach eigenen Angaben keine Informationen über die Ursache des Todes von Nawalny. Die Strafvollzugsbehörde unternehme alle Untersuchungen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Freitagmittag. Laut staatlichen russischen Agenturen wurde Präsident Putin über den Tod des Oppositionellen informiert.

Behörden warnen Anhänger vor Protesten

In Moskau legten Anhängerinnen und Anhänger Nawalnys Blumen an einem Denkmal für die Opfer politischer Repression nieder. Die Behörden warnten vor der Teilnahme an möglichen Protesten. Auch „die Organisation oder Durchführung nicht genehmigter Versammlungen sowie Aufrufe zu solchen Veranstaltungen“ stellten eine Ordnungswidrigkeit dar, teilte das Büro der Generalstaatsanwaltschaft mit. Dabei verwies die Behörde auf eine Reihe von Aufrufen, „an einer Massenkundgebung im Zentrum von Moskau teilzunehmen“.

Polizei geht hart vor

Russlands Polizei ging hart gegen trauernde Unterstützer vor. In mehreren russischen Städten wurden bis zum späten Freitagabend mehr als 100 Menschen bei Gedenkveranstaltungen festgenommen, wie die Bürgerrechtsorganisation OWD-Info mitteilte. Festnahmen wurden unter anderem aus der Hauptstadt Moskau, aus der Ostsee-Metropole St. Petersburg und sechs weiteren Städten gemeldet.

Team: Nawalny „höchstwahrscheinlich tot“

Nawalnys Team konnte den Tod des 47-Jährigen nach eigenen Angaben bisher nicht bestätigen, geht aber davon aus, dass die Berichte stimmen. „Wir verstehen, dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“, sagte der im Exil lebende Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, Freitagabend.

„Wir werden euch keine Lügen erzählen darüber, dass es irgendeine Hoffnung gibt, dass sich morgen herausstellt, dass das nicht wahr ist“, sagte er. „Eine solche Chance ist geringfügig.“ Schdanow fügte hinzu: „Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich tatsächlich ein Mord ereignet hat – der Mord an Alexej Nawalny im Gefängnis. Und getötet hat ihn (Wladimir, Anm.) Putin.“

In Straflager verlegt

Ende Dezember war bekanntgeworden, dass der 47-Jährige in das entlegene Straflager „Polarwolf“ in der Jamal-Region weitab vom Machtzentrum Moskau verlegt worden war. Zuvor hatten seine Unterstützer und Unterstützerinnen wochenlang nach ihm gesucht, weil das russische Strafvollzugssystem ihnen keine Auskunft über Nawalnys Verbleib gegeben hatte.

Hinweis

In memoriam Alexej Nawalny ist die Doku „Nawalny“ des kanadischen Regisseurs Daniel Rohe ab sofort auf ORF ON und in den TVthek-Apps zu sehen.

Kurz nach der Nachricht über den Tod Nawalnys veröffentlichten unabhängige russische Medien ein Video, das den Oppositionellen während eines Gerichtstermins am Donnerstag zeigen soll. Nur einen Tag vor seinem Tod habe Nawalny den Umständen entsprechend noch „fröhlich, gesund und munter“ gewirkt, hieß es auf dem Telegram-Kanal Sota am Freitag. In dem rund 30 Sekunden langen Clip ist zu sehen, wie Nawalny spricht und lächelt. Er war laut Medien per Video in den Gerichtssaal zugeschaltet.

„Ich möchte keine Beileidsbekundungen hören“, sagte Nawalnys Mutter. Sie habe ihren Sohn erst am Montag im Straflager besucht, fügte sie hinzu: „Er war lebendig, gesund und lebenslustig.“

Internationales Entsetzen

International wurde der Tod Nawalnys mit Entsetzen und scharfer Kritik am Putin-Regime quittiert, mitunter verbunden mit Schuldzuweisungen an den russischen Machthaber. Österreich forderte eine vollumfängliche Untersuchung der Todesumstände. Nawalny wurde international als politischer Gefangener anerkannt. Russland wies das als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurück.