Festnahme beim Nawalny-Gedenken in St. Petersburg
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Russland

Festnahmen bei Nawalny-Gedenken

Nach dem Tod von Kreml-Gegner Alexej Nawalny geht Russlands Polizei hart gegen trauernde Unterstützer vor. In mehreren russischen Städten wurden bis zum späten Freitagabend mehr als 100 Menschen bei Gedenkveranstaltungen festgenommen, wie die Bürgerrechtsorganisation OWD-Info mitteilte. Unterdessen bestätigte nun auch Nawalnys Team den Tod des Kreml-Gegners.

Allein in St. Petersburg seien laut Angaben von OWD-Info rund 60 Personen festgenommen worden. Weitere Festnahmen gebe es in zehn Städten, darunter in Moskau, Brjansk und Krasnodar. „Wie groß doch selbst die Angst des Machtapparates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird“, schrieb der russische Friedensnobelpreisträger und Gründer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, Dmitri Muratow, am Samstag auf Telegram.

Die Menschen waren gekommen, um im Gedenken an Nawalny, der offiziellen Angaben zufolge im Alter von 47 Jahren in einem Straflager im äußersten Norden Russlands ums Leben gekommen ist, Blumen abzulegen.

Festnahme beim Nawalny-Gedenken in St. Petersburg
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Russlands Polizei geht mit Härte gegen Nawalnys Anhängerinnen und Anhänger vor

Großes Polizeiaufgebot in Moskau

In Moskau war bis in die Nacht hinein ein großes Polizeiaufgebot im Stadtzentrum, wie eine Reporterin der dpa berichtete. Zwischenzeitlich hatten Menschen dort in einer langen Schlange gewartet, um am Solowezki-Stein, der Opfern politischer Repressionen gewidmet ist, Blumen abzulegen. Viele wurden zwar zu dem Stein durchgelassen, jedoch von Polizisten eingeschüchtert und ständig ermahnt, den Ort schnell wieder zu verlassen.

Die Behörden warnten bereits im Vorfeld vor der Teilnahme an möglichen Protesten. Auch „die Organisation oder Durchführung nicht genehmigter Versammlungen sowie Aufrufe zu solchen Veranstaltungen“ stellten eine Ordnungswidrigkeit dar, teilte das Büro der Generalstaatsanwaltschaft mit. Dabei verwies die Behörde auf eine Reihe von Aufrufen, „an einer Massenkundgebung im Zentrum von Moskau teilzunehmen“.

Nawalny-Gedenken in Moskau
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Blumen zum Gedenken an Alexej Nawalny am Denkmal für die Opfer politischer Repressionen in Sankt Petersburg

Putin-Gegnerin Scherbakowa: „Politischer Mord“

Die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial und Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa stellte am Freitagabend in der ZIB2 unterdessen außer Frage: Der Tod des wichtigsten russischen Oppositionellen, Alexej Nawalny, „ist ein politischer Mord“.

Scherbakowa: „Nicht schnell zweiten Nawalny“

Die Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial und Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa glaubt nach dem Tod von Alexej Nawalny nicht, dass es zu einer Protestwelle kommt. „Es wird nicht so schnell einen zweiten Nawalny geben“, zeigte sie sich Freitagabend in der ZIB2 skeptisch.

Es sei nur nicht klar, ob Nawalny nun direkt umgebracht worden sei oder ob sein Tod Folge der monatelangen schrecklichen Folter, die er in der Haft erleiden habe müssen, sei. Nawalny werde nun als der wichtigste Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Geschichte eingehen. Und die Historikerin und Germanistin, die mittlerweile im Exil lebt, zeigte sich skeptisch, dass Nawalnys Tod eine große Protestwelle in Russland auslösen wird. Im Gegenteil, betonte sie: „Es wird nicht so schnell einen zweiten Nawalny in Russland geben.“ Der Unterdrückungsapparat sei viel zu mächtig, als dass es eine wirksame Opposition geben könnte.

Mangott: „Grausames Verbrechen“

Ganz ähnlich sah das – ebenfalls in der ZIB2 – der Russland-Experte Gerhard Mangott. Egal, wie Nawalny nun zu Tode gekommen sei, es bleibe ein „grausames Verbrechen des russischen Staates“. Zuerst sei Nawalny vergiftet worden, jetzt habe man ihn in der Haft drangsaliert. Dass Putin Nawalny und andere Oppositionelle so gnadenlos verfolgt, erklärt Mangott mit einer „paranoiden Angst“ des Kreml-Chefs.

Russland-Experte Mangott zum Tod Nawalnys

Nach dem Tod von Oppositionsführer Alexej Nawalny gibt es international scharfe Kritik am russischen Regime. In der ZIB2 sind dazu die russische Friedensnobelpreisträgerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa und der Russland-Experte Gerhard Mangott (Universität Innsbruck).

Nawalny sei eine polarisierende Figur gewesen, da hätte Putin gar keine Angst haben müssen. Aber Putins Ziel sei es, eine Wüste zu hinterlassen, inklusive Ausschaltung von Medien und NGOs. Da sei es „nicht zu erwarten, dass in nächster Zeit ein Keim auf diesem verwüsteten Boden sprießt“. Es gehe Putin um „Abschreckung und Ausschaltung jeder potenziellen Bedrohung“.

Julia Nawalnaja ruft zu Kampf auf

Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja rief zuvor von der Münchner Sicherheitskonferenz aus zum Kampf gegen die russische Führung auf. „Wir sollten heute gegen dieses schreckliche Regime in Russland kämpfen“, sagte sie am Freitag.

Putin und seine Verbündeten sollten „bestraft werden für das, was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben“, sagte Nawalnaja auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Putin müsse „persönlich für alle Gräueltaten zur Rechenschaft gezogen werden“.

Nawalnaja: „Sie werden bestraft werden“

Nach der Meldung der Behörden über den Tod von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat seine Ehefrau Julia Nawalnaja bei der 60. Münchner Sicherheitskonferenz zum Kampf gegen die russische Führung aufgerufen. Nawalnys Team kann den Tod des 47-Jährigen bisher nach eigenen Angaben nicht bestätigen.

Sie habe darüber nachgedacht, die Konferenz zu verlassen und zu ihren Kindern zurückzukehren, sagte Nawalnaja. Sie habe sich dann gefragt, was ihr Mann an ihrer Stelle getan hätte. „Und ich bin sicher: Er wäre hier auf dieser Bühne gestanden“, sagte Nawalnaja.

Tod in russischer Strafkolonie

Nach Angaben der Gefängnisverwaltung FSIN starb Nawalny am Freitag in einer Strafkolonie in der russischen Polarregion. Die Gründe für seinen Tod würden untersucht, hieß es. Der 47-Jährige wurde unter anderem wegen angeblichen „Extremismus“ zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt. International jedoch wurde der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen forderten seit Langem seine Freilassung.

Der kremlnahe TV-Sender RT meldete, Nawalny sei an einem Blutgerinnsel gestorben, das sich gelöst habe. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. Die ehemalige FSIN-Analystin Anna Karetnikowa erklärte, Thromboembolien (Blutgerinnsel, Anm.) seien eine „allgemein komplexe und schwer zu beweisende Diagnose“.

Die Strafkolnie in der Alexei Navalny untergebracht war
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Seit Ende des Vorjahres war Nawalny im Straflager „Polarwolf“ inhaftiert

„Pulmonale Thromboembolie“ sei „die Bezeichnung für eine Krankheit, die zumindest von Gefängnisärzten“ in einem „übertragenen, leicht erweiterten Sinn verwendet wird. Etwa so: ‚Warum ist der Patient gestorben?‘ ‚Vergessen Sie’s, die schreiben sowieso nur Thromboembolie, wer soll das denn untersuchen?“, zitierte das russische Onlineportal Medusa aus einem Facebook-Eintrag Karetnikowas.

Das russische Präsidialamt hat nach eigenen Angaben keine Informationen über die Ursache des Todes von Nawalny. Die Strafvollzugsbehörde unternehme alle Untersuchungen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Freitagmittag.

Nawalnys Mutter zum Straflager gereist

Nachdem sich Nawalnys Team am Vortag noch zürückhaltend gezeigt hatte, bestätigte Sprecherin Kira Jarmysch mit Verweis auf Nawalnys Mutter den Tod des Kreml-Kritikers. Dessen Mutter war den Angaben zufolge in das Straflager im Norden Russlands gereist und habe dort die Nachricht über den Tod ihres Sohnes erhalten.

Ende Dezember war bekanntgeworden, dass der 47-Jährige in das entlegene Straflager „Polarwolf“ in der Jamal-Region weitab vom Machtzentrum Moskau verlegt worden war. Zuvor hatten seine Unterstützer und Unterstützerinnen wochenlang nach ihm gesucht, weil das russische Strafvollzugssystem ihnen keine Auskunft über Nawalnys Verbleib gegeben hatte.

Hinweis

In memoriam Alexej Nawalny ist die Doku „Nawalny“ des kanadischen Regisseurs Daniel Rohe ab sofort auf ORF ON und in den TVthek-Apps zu sehen.

Kurz nach der Nachricht über den Tod Nawalnys veröffentlichten unabhängige russische Medien ein Video, das den Oppositionellen während eines Gerichtstermins am Donnerstag zeigen soll. Nur einen Tag vor seinem Tod habe Nawalny den Umständen entsprechend noch „fröhlich, gesund und munter“ gewirkt, hieß es auf dem Telegram-Kanal Sota am Freitag. In dem rund 30 Sekunden langen Clip ist zu sehen, wie Nawalny spricht und lächelt. Er war laut Medien per Video in den Gerichtssaal zugeschaltet.

„Ich möchte keine Beileidsbekundungen hören“, sagte Nawalnys Mutter. Sie habe ihren Sohn erst am Montag im Straflager besucht, fügte sie hinzu: „Er war lebendig, gesund und lebenslustig.“

Internationales Entsetzen

International wurde der Tod Nawalnys mit Entsetzen und scharfer Kritik am Putin-Regime quittiert, mitunter verbunden mit Schuldzuweisungen an den russischen Machthaber. Österreich forderte eine vollumfängliche Untersuchung der Todesumstände. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) kritisierte zudem Russlands Reaktion auf einen Kommentar von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Nawalnys Tod. „Die russische Wehleidigkeit ist hier fehl am Platz“, wie Schallenberg dazu anmerkte.