Trauernde Menschen in Sankt Petersburg
Reuters
Nawalny-Tod

Rufe nach Herausgabe der Leiche

Zwei Tage nach dem Tod des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny in einem sibirischen Gefängnis haben die Angehörigen weiter keinen Zugang zur Leiche. Sowohl innerhalb als auch außerhalb Russlands werden die Rufe nach einer Herausgabe lauter.

Der Druck auf die russischen Behörden zur Herausgabe der Leiche des Kreml-Kritikers Nawalny an seine Hinterbliebenen wächst: Mehr als 12.000 Menschen hätten einen entsprechenden Aufruf an das russische Ermittlungskomitee unterstützt, teilte die Bürgerrechtsplattform OWD-Info am Sonntag auf Telegram mit. OWD-Info hatte den Aufruf selbst erst am späten Samstagnachmittag gestartet.

„Die Herausgabe der Leiche muss so schnell wie möglich erfolgen. Wenigstens nach seinem Tod sollte Alexej Nawalny bei seinen Angehörigen sein“, heißt es in der Erklärung.

Behörden: Bei Hofgang zusammengebrochen

Der nach vielen Tagen in immer wieder angesetzter Einzelhaft körperlich geschwächte Nawalny war nach russischen Behördenangaben am Freitag bei einem Hofgang im Straflager bei eisigen Temperaturen zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche waren nach Angaben des Strafvollzugs erfolglos.

Menschenrechtler werfen dem russischen Machtapparat Mord vor. Auch der Westen macht den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Regierung direkt oder zumindest indirekt für den Tod Nawalnys verantwortlich. Die Mitarbeiter des prominenten Antikorruptionskämpfers gehen davon aus, dass Nawalny gezielt getötet wurde. Weltweit gibt es Gedenkveranstaltungen für den mit 47 Jahren in Haft ums Leben gekommenen russischen Oppositionspolitiker. In Russland wurden bei verschiedenen Aktionen seit Freitag mehr als 400 Menschen festgenommen.

Deutscher Justizminister fordert Freigabe

Als einer der ersten westlichen Politiker forderte am Sonntag der deutsche Justizminister Marco Buschmann öffentlich die Freigabe und Untersuchung des Leichnams. Die russischen Behörden müssten umgehend Nawalnys Leiche freigeben, sagte der FDP-Politiker der dpa. „Dieses letzte Mindestmaß an Respekt sollten die russischen Herrscher dem toten Nawalny und seiner Familie entgegenbringen – nachdem sie dem lebenden Nawalny dies bereits versagt hatten.“

Buschmann sagte, es brauche nun umgehend eine unabhängige Feststellung der Todesursache und die Umstände müssten aufgeklärt werden. „Nur mit einer unabhängigen Untersuchung kann für die Weltöffentlichkeit und die Menschen in Russland festgestellt werden, was eigentlich schon jeder weiß: Putin hat Nawalny umgebracht – direkt oder indirekt durch die Haftbedingungen.“

Exilzeitung: Leichnam mit blauen Flecken

Die in Russland von den Behörden geschlossene und dann im Ausland wieder eröffnete „Nowaja Gaseta“ berichtete derweil unter Berufung auf eigene Quellen, dass Nawalnys Leiche im Bezirkskrankenhaus der Stadt Salechard im hohen Norden Sibiriens aufbewahrt werde. Eine Obduktion habe zumindest bis Samstag noch nicht stattgefunden. Zudem soll der Körper des Toten blaue Flecken aufweisen.

Salechard ist die Hauptstadt des autonomen Bezirks der Jamal-Nenzen. Das Straflager „Polarwolf“, in dem Nawalny starb, liegt etwa 50 Kilometer Luftlinie nordwestlich davon – bereits jenseits des Polarkreises.

Witwe bei EU-Außenministertreffen

Nur kurz nach der Todesnachricht rief Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja bei einer vielbeachteten Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz zum Kampf gegen die russische Führung auf. Am Montag ist Nawalnaja nun auch zu den Beratungen der europäischen Außenminister in Brüssel eingeladen worden.

Wie der Außenbeauftragte Josep Borrell am Sonntag dazu mitteilte, wollten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen „ein starkes Signal der Unterstützung für die Freiheitskämpfer in Russland senden“ und die Erinnerung an den 47-jährigen Nawalny ehren. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel will Nawalnys Witwe nach Angaben seiner Sprecherin empfangen.

US-Botschafterin besucht Gedenkstätte

Die US-Botschafterin in Moskau, Lynne Tracy, besuchte am Sonntag eine improvisierte Gedenkstätte für Nawalny. Die US-Botschaft veröffentlichte ein Foto von Tracy vor Blumen am Solowezki-Stein in Moskau, einem Mahnmal für die Opfer politischer Unterdrückung, das zu einem Gedenkort für Nawalny geworden ist.

„Heute betrauern wir am Solowezki-Stein den Tod von Alexej Nawalny und anderer Opfer politischer Unterdrückung in Russland“, erklärte die US-Botschaft dazu und sprach Nawalnys Familie, Kollegen und Unterstützern ihre „tiefste Anteilnahme“ aus. „Seine Stärke ist ein inspirierendes Vorbild. Wir ehren sein Andenken“, hieß es weiter über Nawalny.

Nach Angaben von OWD-Info wurden bis Samstag mehr als 400 Menschen in 36 Städten bei Versammlungen zum Gedenken an Nawalny festgenommen. Russische Gerichte begannen laut Menschenrechtsorganisationen am Samstag, Haftstrafen gegen die Teilnehmer des Gedenkens von bis zwei Wochen zu verhängen. In Moskau errichtete die Polizei an dem als „Mauer der Trauer“ bekannten Mahnmal für die Opfer von Unterdrückung in der Sowjetzeit Absperrungen, um die Trauerbekundungen für Nawalny zu verhindern.