Cargo-Container werden auf dem Flughafen Shenyang in China in ein Flugzeug verladen
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Schnäppchen aus China

Billigware verstopft Luftfrachtmarkt

Das rasante Wachstum der Onlinehändlerfirmen Temu und Shein überschwemmt nicht nur den europäischen und US-Markt mit Billigware. Es sorgt inzwischen für Engpässe im weltweiten Lufttransport und treibt die Frachtraten auf Rekordhöhe. Zu spüren bekommen das derzeit auch Unternehmen, die wegen der Huthi-Angriffe im Roten Meer vielfach vergeblich vom See- auf den Luftweg auzuweichen versuchen, wie ein Branchenexperte am Mittwoch zu Reuters sagte.

„Noch Mitte 2023 war die Nachfrage aus China sehr schwach, ab Ende des Jahres stieg sie jedoch plötzlich massiv an“, zitiert die Nachrichtenagentur Basile Ricard, der beim Logistik- und Transportkonzern Bollore Logistics das Geschäft mit China leitet.

„Dahinter steckten zwei Firmen, wie sich herausstellte: Temu und Shein“, so Ricard: Zusätzliche Mengen könnten die Flieger kaum aufnehmen, falls wegen der Attacken der Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer die Firmen einige Güter per Flugzeug befördern wollten. „Der größte Trend, der die Luftfracht beeinflusst, ist nicht das Rote Meer, es sind chinesische E-Commerce-Firmen wie Shein und Temu.“

600.000 Pakete täglich allein in die USA

Mit Kleidern für wenige Euro, aber auch mit Haushaltswaren und Spielzeug haben sich die beiden Firmen im Internetgeschäft eine starke Stellung geschaffen. Nach Einschätzung von Marktbeobachtern wie Coresight Research beherrscht allein Shein rund ein Fünftel des weltweiten Fast-Fashion-Markts.

Shein und Temu versenden einem Bericht des US-Kongresses vom Juni 2023 zufolge zusammen 600.000 Pakete täglich nach Amerika. In Deutschland wird die Zahl inzwischen auf etwa 400.000 am Tag geschätzt. Nach Daten von Branchenexperten fliegen Shein und Temu jeweils 4.000 bis 5.000 Tonnen Waren täglich aus. Anders ausgedrückt: Jeden Tag müssen allein dafür über hundert Transportflugzeuge vom Typ Boeing 777 abheben.

Zum Vergleich: Große Techfirmen wie Apple kommen allenfalls auf 1.000 Tonnen am Tag. Branchenkreise zufolge müssen sie bereits um Frachtplatz in den Maschinen kämpfen.

Direktlieferung ohne Zwischenhändler

Die Strategie von Shein und Temu scheint klar: Beide Firmen liefern direkt aus China und lassen die Ware bis zur Wohnungstür in Wien, New York oder Rio de Janeiro liefern. Zwischenhändler gibt es genauso wenig wie Logistikzentren und Lagerhäuser.

Hemden, Toaster und Spielzeug, das zurückgegeben wird, wird vernichtet. Die Apps sind teils wie Spiele gestaltet, die zu immer neuen Käufen anregen sollen, Datenschützer halten sie für bedenklich. Aber auch Konsumentenschützer warnen teils wegen Sicherheitsbedenken vor vielen Produkten. Außerdem greift die Produkthaftung nicht, weil der Hersteller Tausende Kilometer entfernt in China sitzt und es keinen Importeur gibt.

Kugelschreiber in vier Verpackungen

Günstig sind die Waren auch, weil die Firmen darauf achten, alles unterhalb der jeweiligen Zollgrenzen der Länder zu verpacken. „Ein Stift für Brasilien wurde so in vier Teile zerlegt und einzeln verpackt“, sagt ein Logistikexperte. Um die vergleichsweise strengen chinesischen Vorschriften bei Exporten von Elektroprodukten zu umgehen, würden die Waren mittlerweile per Lkw nach Vietnam geschafft und dann von Hanoi ausgeflogen.

Suche nach eigenen Flugzeugen

Selbst Thailand sei ein Ziel gewesen, da viele Passagierflugzeuge dort im Bauch noch Frachtkapazität hätten und die Luftfrachtraten entsprechend niedriger seien. Zudem versuchten die Firmen inzwischen selbst, Flieger zu beschaffen: „Wir haben gehört, dass Temu zwölf Großtransporter sucht, um sie zu leasen. Sie suchen den Markt nach jedem Flugzeug ab, das sie bekommen können. Wir haben sogar eine Anfrage direkt auf unsere Website bekommen“, berichtete Marc Schlossberg, Vizepräsident beim Luftfrachttransporteur Unique Logistics.

Temu erklärte laut Reuters, man suche in den USA und Europa nach Zwischenhändlern, um Transportwege und Lieferzeit zu verkürzen. Shein hat bereits begonnen, Lagerhäuser in den USA einzusetzen. „Shein arbeitet ständig daran, sich für den Kunden zu verbessern und effizienter zu werden“, erklärte das Unternehmen.

Mit Blick auf Nachhaltigkeit „eine Katastrophe“

Ein schnelles Abflauen des Frachtbooms aus China erwarten Logistiker jedoch nicht. Zwar hätten einige Frachtlinien ihre Kapazitäten ausgeweitet, doch auch diese seien bereits langfristig gebucht, sagt ein Sprecher des Logistikdienstleisters Schenker: „Wir erwarten, dass die starke Nachfrage in den kommenden Monaten anhält.“

Was eigentlich in der Branche für Freude sorgen sollte, wird jedoch auch kritisch gesehen. Es sei ungewiss, ob das Geschäft mit Temu und Shein dauerhaft sei, gibt gegenüber Reuters ein namentlich nicht genannter Logistikexperte zu Bedenken. Die Gefahr bestehe, dass jahrelang zuverlässige Kunden nun verdrängt würden. „Und mit Blick auf Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit ist das Geschäft mit Temu und Shein ohnehin eine Katastrophe.“

WKO sieht dringenden Handlungsbedarf

Scharfe Kritik kommt auch von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). Während nationale Händler und Händlerinnen „von der Bürokratie überflutet werden, verschaffen sie chinesischen Billigprodukten klare Wettbewerbsvorteile. Das schädigt den Wirtschaftsstandort Europa enorm“, kritisiert Martin Sonntag, Obmann des Bundesgremiums des Versand-, Internet und allgemeinen Handels der WKO, am Mittwoch per Aussendung.

„Das Absurde an der Situation ist, dass sich die Europäische Union diese Verluste durch ihr lückenhaftes Zoll- und Steuersystem zum Teil selbst beschert hat“, so Sonntag, demzufolge es den Zollbehörden neben der gesetzlichen Grundlage auch an Personal und der für „halbwegs funktionierende Kontrolle“ notwendigen Technik fehle. Erhöhten Handlungsbedarf ortet Sonntag sowohl bei nationalen als auch europäischen Gesetzgebern, diese „müssten schnellstmöglich dafür sorgen, dass diese bestehende Art des Geschäfts nicht mehr möglich ist“.

„Wir stehen für Fair Commerce statt Schrott Commerce“, heißt es dazu beim Handelsverband, der so wie die Wirtschaftskammer unter anderem eine schnelle Abschaffung der EU-Zollfreigrenze von 150 Euro einfordert. Das ist bisher bis 2028 vorgesehen – so lange könne laut Handelsverband allerdings „kein europäischer Handelsbetrieb warten. Es ist höchste Zeit aufzuwachen.“