Staatsanwalt Gregor Adamovic und Staatsanwalt Roland Koch
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Kurz-Prozess

Die Plädoyers von Anklage und Verteidigung

Der Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinen Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen Falschaussage im U-Ausschuss ist mit nicht rechtskräftigen Schuldsprüchen zu Ende gegangen, nun ist mit der Einbringung von Rechtsmitteln zu rechnen. Die Anklage sah den Fall in ihrem Plädoyer „klar gelagert“, für beide Angeklagten wurde ein Schuldspruch beantragt. Beide Verteidiger verwiesen auf die Angst ihrer Mandanten vor Strafverfolgung.

Kurz und Bonelli wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vorgeworfen, Kurz’ Rolle bei Postenbesetzungen für die ÖBAG – konkret für den Aufsichtsrat und Vorstand – kleingeredet zu haben. Im U-Ausschuss gilt die Wahrheitspflicht, eine Falschaussage ist daher strafbar.

„Selten ist ein Fall der Falschaussage so klar gelagert gewesen“, sagte Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic beim Plädoyer der Ankläger. Ein „in einem Argumentationsspagat vorgebrachter Aussagenotstand“ liege in dem Fall nicht vor. Für Kurz und Bonelli forderte die WKStA eine bedingte Freiheits- und eine unbedingte Geldstrafe, wie Oberstaatsanwalt Roland Koch ausführte. Bei Bonelli könne die Strafe etwas geringer ausfallen, hieß es vor dem Urteil.

„Aus parteipolitischen Erwägungen Unwahrheit gesagt“

Für die WKStA bestünden keine Zweifel, dass die Angeklagten falsch ausgesagt hätten – aus Gründen der politischen PR. Personalentscheidungen seien für Kurz sehr wichtig gewesen, die ÖVP sei sehr (auf Kurz) zentriert angelegt gewesen. Kurz habe den Parlamentariern aus parteipolitischen Erwägungen die Unwahrheit gesagt, so Oberstaatsanwalt Koch.

Staatsanwalt Gregor Adamovic und Staatsanwalt Roland Koch
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Adamovic (stehend) begann mit dem Plädoyer der WKStA, später sprach Koch.

„Kurz und Bonelli haben nicht nur Message kontrolliert“

In Sachen Besetzung der Staatsholding ÖBAG lägen alle Vorgänge detailliert auf dem Tisch. Kurz habe bei der Übernahme der ÖVP ein Durchgriffsrecht verlangt. „Kurz und Bonelli haben nicht nur die Message kontrolliert“, so Adamovic. Das zeige sich auch angesichts der Personalbesetzungen in Ministerien. Kurz und seine Vertrauten hätten diskutiert, der damalige Kanzler das letzte Wort gehabt. „Formal zuständige Minister wurden zu Exekutoren.“ Das „Schema“ sei immer dasselbe gewesen, so Adamovic.

Adamovic verwies auch auf den Sideletter für Postenbesetzungen in vielen weiteren Institutionen, darunter auch die ÖBAG. „Die Rolle eines bloßen Informationsempfängers hatte Kurz nie und nimmer“, so der Ankläger. Auch die Besetzung des ÖBAG-Aufsichtsrats sei klar gelagert – darauf würden Chats aus dem engsten Umfeld von Kurz deutlich hinweisen. Kurz habe die Kandidaten vorher „abgesegnet“, auch hier habe die WKStA „überhaupt keine Zweifel“.

Mit Antworten an Fragen „vorbeigeturnt“

Die „größte PR-Nummer“ sei die Frage gewesen, ob Kurz im U-Ausschuss „nein“ oder „na“ gesagt habe. Dabei sei das gar nicht relevant, so Adamovic. Die Antworten im Ausschuss hätten sich stets an den Fragen „vorbeigeturnt“, so Adamovic. „Ein gesunder junger Menschen ist in der Lage, sich an wesentliche Vorgänge zu erinnern“, so Adamovic – es seien keine besonders spezifischen, sondern offene Fragen gestellt worden. Das etwas nicht mehr erinnerlich gewesen sei, könne „nur eine Schutzbehauptung“ sein, so Adamovic.

Richter Michael Radasztics
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Richter Michael Radasztics muss über Schuld oder Unschuld des Ex-Kanzlers und seines Ex-Kabinettschefs entscheiden

Das Motiv aus Sicht der WKStA: Kurz habe „Optikprobleme“ verhindern wollen, der evidente Postenschacher sei mit dem proklamierten „neuen Stil“ nicht vereinbar gewesen, so Adamovic. Der Fokus der Angeklagten sei vorrangig auf die mediale Berichterstattung ausgerichtet gewesen, das sei auch im Prozess augenscheinlich geworden. Kurz habe vor den Kameras Erklärungen abgegeben, im Gerichtssaal habe er der WKStA keine Antworten gegeben. Und die „Geschichte mit den russischen Geschäftsmännern“ sei eine „plumpe Falle“ gewesen.

Kurz-Verteidiger: „Keine Falschaussage“

Nach der WKStA war Kurz-Verteidiger Otto Dietrich an Wort. Sein Mandant habe im U-Ausschuss nicht falsch ausgesagt, es gäbe keinen Unterschied zwischen Wort und Wirklichkeit. „Schlagwörter ersetzen keine Beweise“, so Dietrich. Anhand von Zeugenaussagen von Ex-Finanzminister Gernot Blümel und Arnold Schiefer nannte Dietrich den U-Ausschuss ein Gremium zur „Suche nach der politischen Wahrheit“, anders als die Justiz, die der faktischen Wahrheit nachgehe.

Bei einer Falschaussage sei ein „Korrektiv“ vorhanden, nämlich der Aussagenotstand, wenn etwa Angst vor strafrechtlicher Verfolgung bestehe. Wenig überraschend teilte er nicht die Ansicht der WKStA, dass die Gefahr einer solchen Strafverfolgung nicht bestanden hätte. Anders als Kurz habe sich Schmid am selben Tag, an dem Kurz ausgesagt hat, entschlagen. Die Entscheidung, dass Schmid ÖBAG-Chef wird, habe aber Kurz nicht getroffen.

Sebastian Kurz im Wiener Straflandesgericht
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Ex-Kanzler Kurz im Gerichtssaal, im Vordergrund sein Anwalt Otto Dietrich

Von Schmid seien keine konkrete Anworten zu erhalten gewesen, unzählige Male habe er das unspezifische Wort „man“ benutzt. Namen habe er nur genannt, wenn es ins Bild seiner Aussage gepasst habe, so Dietrich sinngemäß. Kurz würden von der WKStA nicht die Aussagen vorgeworfen, sondern die eigene Interpretation der Aussagen – Kurz sei deshalb freizusprechen, hieß es im Vorfeld des Urteils.

Bonelli-Anwalt: „Zusammenbau falscher Wirklichkeiten“

Bonelli-Anwalt Werner Suppan sprach hinsichtlich der Anklage von einem Zusammenbau falscher Wirklichkeiten aus Tausenden Chats. „Weil alles so klar und eindeutig ist, hat das Ermittlungsverfahren 26 Monate gedauert“, spottete Suppan über die Ausführungen der WKStA. Auch dass der Strafantrag so viele Seiten (über 100, Anm.) und nicht nur vier hatte und die WKStA eingangs 108 Zeugen und Zeuginnen angestrebt hatte, sei ein Indikator dafür, dass eben nicht alles so klar und eindeutig sei, wie von der Anklagebehörde dargestellt.

Anwalt Werner Suppan im Wiener Straflandesgericht
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Bonelli-Anwalt Suppan: „Vorwürfe brechen in sich zusammen“

Auch Suppan kam auf den Aussagenotstand zu sprechen. 70 Prozent der Fragen hätten mit dem „Strafrecht“ zu tun gehabt. Befürchtung strafrechtlicher Verfolgung sei natürlich gegeben gewesen, so Suppan. Es sei „klar“ Aussagenotstand anzuwenden – es sei ein Freispruch auszusprechen.

Kurz: „Mir wird eine Interpretation vorgeworfen“

Nach den Verteidigern durften noch die Angeklagten sprechen: Kurz sagte, er sei „mit dem Vorsatz zum U-Ausschuss gegangen, nicht hier zu landen“. Er sei nicht perfekt vorbereitet gewesen, sagte Kurz wie schon einige Male im Prozess. Er habe den Eindruck, dass es nicht um seine Aussagen gehe, sondern um eine Interpretation seiner Aussagen. „Es ist extrem befremdlich, dass einem ein anderer sagt, wie die eigenen Aussagen gemeint gewesen sind“, es fühle sich „fruchtbar“ an, und man fühle sich „wehrlos“.

Bonelli sprach von einem der „erniedrigendsten“ Gefühle in seinem Leben, hier vor Gericht zu stehen. Auch erzählte er von Gesprächen in der Familie, die ihn bestärkt hätten.

Schaltungen nach Moskau und Amsterdam

Am Vormittag hatten die letzten Zeugeneinvernahmen stattgefunden. Der zweite befragte (und zuletzt verhinderte) russische Geschäftsmann berichtete via Videoschaltung nach Moskau Ähnliches wie sein bereits beim letzten Termin befragter Geschäftspartner, die beiden Zeugen waren von der Verteidigung beantragt worden. Probleme während der Befragung gab es mit der Übersetzung durch einen Russischdolmetscher, der schwer zu verstehen war.

Zentral sollte aus Sicht der Verteidiger mittels Angaben der russischen Zeugen die Glaubwürdigkeit Schmids untergraben werden. Schmid bestätigte via Zoom-Call am Freitag das „Bewerbungsgespräch“ mit den beiden Geschäftsleuten in Amsterdam im Sommer 2023, es ging um einen Job für ein Ölprojekt in Georgien. Auch derzeit hält sich Schmid in Amsterdam auf, er hatte mit der Befragung bereits seinen dritten Auftritt im Prozess.

„Habe keine Antworten bekommen“

Schmid soll bei dem „Bewerbungsgespräch“ gegenüber den Geschäftsleuten angegeben haben, die WKStA habe ihn unter „großen Druck“ gesetzt, und er habe bei seiner Befragung nicht immer die Wahrheit gesagt – zumindest, wenn man dessen Aussagen „analysiert“ und „zwischen den Zeilen liest“, wie der russische Zeuge sagte. Auf spätere Nachfragen der Verteidigung sagte der Mann, dass alles, was in der eidesstattlichen Erklärung stehe, seiner Wahrnehmung entspreche.

Mit den Angaben der Russen konfrontiert berichtete Schmid am Freitag von sehr unkonkreten Angaben beim ersten Treffen. Dennoch habe er dem zweiten Termin zugesagt, immerhin habe einer der Geschäftsmänner einen weiten Weg nach Amsterdam unternommen. Auch in der Folge sei es unkonkret geblieben, man habe eher „Smalltalk“ geführt, etwa über Amsterdam gesprochen. Wer hinter dem Ölprojekt stehe, sei ihm nicht gesagt worden. „Ich habe keine Antworten bekommen“, über Inhalte sei nicht gesprochen worden, auch über seinen Lebenslauf habe man nicht gesprochen.

Schmid: „Über Verfahren ist nicht geredet worden“

Auch über das Verfahren sei nur allgemein gesprochen worden. Er habe lediglich angegeben, dass er aufgrund „politischer Diskussionen“ Österreich verlassen habe. Am zweiten Tag sei er dann mit Medienberichten zu Verfahren und Ermittlungen konfrontiert worden. Einer der Russen habe gefragt: „Sind sie zu dir gekommen, oder bist du zu ihnen gegangen?“ Gemeint waren die Ermittler. Schmid sagte, das sei von ihnen ausgegangen, er „kooperiere“ mit den Ermittlern. Über das Verfahren selbst sei nicht geredet worden. Dass der Name Kurz gefallen sei, konnte Schmid nicht ausschließen.

„Über Druck wurde nicht gesprochen“

Dass die Staatsanwaltschaft „Druck“ ausgeübt habe, wies Schmid zurück. Es sei eher umgekehrt gewesen. Er schließe aus, über „Druck“ gesprochen zu haben, so Schmid. Zitate aus der eidesstattlichen Erklärung der Russen wies er zurück. „Ich bin gut zu den Menschen, die gut zu mir sind“, wie die Zeugen angaben, habe er nicht gesagt („Schließe ich aus“). Nur so viel: „Was ich bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt habe, entspricht der Wahrheit.“ Gegenüber den Russen habe er keine davon abweichenden Angaben gemacht, andere Behauptungen seien „Blödsinn“. Es sei eine „sehr merkwürdige Geschichte“.

Der am Freitag befragte Geschäftsmann gab an, keine Kontakte zu Kurz’ Verteidiger Dietrich gehabt zu haben. Der andere russische Zeuge der Verteidigung hatte ja in seiner Befragung angegeben, von Dietrich Hilfe beim Erstellen der eidesstattlichen Erklärung bekommen zu haben – der zweite Zeuge gab an, die Erklärung lediglich unterschrieben zu haben. Andere Bewerber oder Bewerberinnen für den Job habe es wohl gegeben, Namen offenbarte der Zeuge aber nicht. Das sei ein „Geschäftsgeheimnis“.

„Eigenes Süppchen gekocht“

Auf Antrag der Verteidigung wurde die angeblich geplante Einbindung der B&C Holding in die ÖBAG erörtert. Die geäußerte Behauptung: Schmid habe das hinter dem Rücken von Kurz forciert und „sein eigenes Süppchen gekocht“. Schmid wies das zurück. Später äußerte sich Kurz dazu – freilich wiederum genau umgekehrt: „In so großen Systemen haben Menschen ihre Eigeninteressen.“ Vom Vorhaben, die B&C in die ÖBAG zu bringen, habe er nichts gewusst.