Sebastian Kurz im Wiener Straflandesgericht
ORF/Patrick Bauer
Prozess wegen Falschaussage

Acht Monate bedingt für Kurz

Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli sind am Freitag wegen Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss schuldig gesprochen worden. Kurz wurde zu acht Monaten Haft bedingt, Bonelli zu sechs Monaten bedingt verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Kurz betonte im Anschluss, er empfinde das Urteil als „sehr unfair“.

Nach dem Urteil meldeten die Anwälte von Kurz und Bonelli Nichtigkeit und volle Berufung an, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gab keine Stellungnahme ab. Das Urteil für Kurz betraf Aussagen zur Aufsichtsratsbestellung in der ÖBAG. Freisprüche gab es zur Vorstandsbesetzung mit Thomas Schmid und zur Schmid-Schiefer-Vereinbarung, bei der es um Absprachen zwischen ÖVP und FPÖ zu Postenbesetzungen ging.

Der Gesetzgeber stelle eine Falschaussage vor dem U-Ausschuss trotz der anderen Situation mit dieser gleich, erläuterte Richter Michael Radasztics sein erstinstanzliches Urteil. Radasztics nannte die Aussagen des Belastungszeugen Thomas Schmid „glaubwürdig“ und „differenziert“. Die beiden von der Verteidigung gebrachten russischen Entlastungszeugen beurteilte der Richter dagegen entschieden als nicht glaubwürdig.

Staatsanwalt Roland Koch und Staatsanwalt Gregor Adamovic am Wiener Straflandesgericht
ORF/Lukas Krummholz
Die WKStA-Ankläger Roland Koch und Gregor Adamovic

Richter: Kanzler-Ansage entscheidend

Bei der Besetzung des ÖBAG-Aufsichtsrats – in dem Punkt sind beide schuldig gesprochen – habe Kurz im U-Ausschuss den Eindruck erweckt, seine Einbindung habe sich darauf „reduziert“, dass er um seine Meinung gefragt wurde. Das finde aber im Beweisverfahren „keine Deckung“. Allein die Causa Sigi Wolf, den Kurz als ÖBAG-Aufsichtsratschef wollte, zeige das. „Den wollten sie haben – und das ist mehr als bloßes Gefragt-Werden.“

Und Radasztics wies die Vorstellung klar zurück, wenn der Kanzler etwas sage, dann sei das eine Aussage unter vielen. Der Fall sei damit vielmehr entschieden, „causa locuta“, wie es Radasztics formulierte. Und wenn Mitarbeiter in Chats geschrieben hätten, sie müssten mit Kurz zu einer Angelegenheit noch Rücksprache halten, dann sei es wohl nicht so, dass das dann nie passiert sei.

Das Gesamtbild, das sich ergibt, sei „eindeutig“: Kurz habe seine Rolle im U-Ausschuss „heruntergespielt“ und habe das sehr wohl bewusst gemacht. Er gehe daher davon aus, dass Kurz’ Aussage objektiv und subjektiv falsch sei.

Aussagenotstand bei Kurz nicht gegeben

Und der Richter betonte, er sehe auch keinen Aussagenotstand – weder den allgemeinen noch den besonderen für U-Ausschüsse. Das war die zu Prozessbeginn ins Treffen geführte Exit-Strategie der Verteidigung im Fall einer Verurteilung, die darauf abzielt, dass bei Sorge vor einer Verwicklung in ein Strafverfahren eine Falschaussage nicht strafbar ist.

Radasztics folgte hier der WKStA, die Kurz vorwarf, nicht aus Eigenschutz falsch ausgesagt zu haben, sondern um damals politisch wegen Postenschachers nicht angreifbar zu werden. Kurz’ Argument, wonach er in einem ORF-„Sommergespräch“ Monate vor der U-Ausschuss-Aussage bereits seine Rolle bei der Postenbesetzung eingeräumt habe und eine falsche anderweitige daher widersinnig gewesen wäre, wies der Richter zurück. Diesen Widerspruch in seinen Aussagen habe Kurz ja selbst geschaffen.

Richter weist Formalargument zurück

Bei der Begründung des Schuldspruchs für Kurz wie Bonelli wies Radasztics das Formalargument der Angeklagten klar zurück: Ja, natürlich habe letztlich Löger formell die Entscheidung getroffen, aber man müsse natürlich den ganzen informellen Teil davor berücksichtigen. Anders als Kurz sprach Radasztics Bonelli in einem Anklagepunkt den putativen Aussagenotstand zu.

Acht Monate bedingt für Kurz

Nach zwölf Verhandlungstagen ist Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz bezüglich des Verdachts der Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss Freitagabend in einem von drei Anklagepunkten schuldig gesprochen worden, in den beiden anderen Anklagepunkten der Falschaussage wurde er freigesprochen.

Für eine reine Geldstrafe sei aus „spezialpräventiven Gründen“ kein Platz gewesen. Der Richter betonte, es sei „kein Politprozess“ gewesen, sondern ein Prozess gegen einen Ex-Politiker und dessen Mitarbeiter, weshalb der Strafrahmen entsprechend niedriger zu bemessen gewesen sei. Mildernd wirkte sich aus, dass Kurz und Bonelli unbescholten waren. Die Freiheitsstrafen werden den beiden unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Bei der Strafbemessung für Kurz betonte Radasztics: Man könne durchaus berechtigt Kritik üben am Parlament, diese sei für die Kontrolle im demokratischen System aber zentral – und der U-Ausschuss sei dafür das wichtigste Instrument, würdigte Radasztics die Funktion von U-Ausschüssen.

Diversion für Glatz-Kremsner

Die dritte Angeklagte, Ex-ÖVP-Vizechefin und Ex-Casinos-Austria-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, hatte am ersten Prozesstag ihrerseits Falschaussage vor dem U-Ausschuss (zu einem anderen Sachverhalt, Anm.) eingestanden und eine Diversion bekommen.

Freispruch bei Schmid-Besetzung

Einen Freispruch gab es für Kurz, was seine Aussagen zur Besetzung des ÖBAG-Vorstandes durch Schmid betrifft. „Sie haben zweifellos gewusst, dass Schmid dieses Interesse hat“, verwies der Richter auch auf dementsprechende Aussagen des Ex-Kanzlers im U-Ausschuss und: „Sie haben dies auch wohlwollend betrachtet, und Schmid hat das als Förderung gesehen.“ Der Umdeutung des Chats an Schmid „Kriegst eh alles was du willst“ in ein Einbremsen Schmids konnte das Gericht wiederum nicht folgen.

Kurz findet Schuldspruch unfair

Beim Verlassen des Landesgerichts betonte Kurz zunächst, dass er in zwei Punkten freigesprochen worden sei. Den Schuldspruch in einem Anklagepunkt empfinde er trotzdem als „sehr unfair“, und er sei „überrascht“. Er verwies auf den Rechtsstaat, und man werde abwarten, wie die zweite Instanz die Sache sehe. Er beteuerte erneut, er habe sich bemüht, die Fragen vor dem U-Ausschuss wahrheitsgemäß zu beantworten. Zudem sagte Kurz, für die Verurteilung sei Schmids Zeugenaussage nicht wesentlich gewesen.

WKStA: Schuld „ganz klar“

Die WKStA hatte zuvor in ihrem Plädoyer betont, der Tatbestand der Falschaussage sei bei beiden Angeklagten „ganz klar“ erfüllt. Kurz habe aus politischen Gründen, weil er öffentlich nicht mit Postenschacher in Zusammenhang gebracht werden wollte, vorsätzlich vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss falsch ausgesagt. Auch die Bedingungen für einen Aussagenotstand – eine zulässige Falschaussage, um zu verhindern, in einem anderen Sachverhalt angeklagt zu werden – sieht die WKStA nicht gegeben. Würde den Angeklagten ein solcher Aussagenotstand zugestanden, wäre das mit der „Abschaffung der Wahrheitspflicht vor U-Ausschüssen gleichzusetzen“.

Verteidiger: „26 Monate für Textinterpretation“

Die Verteidiger von Kurz und Bonelli wiesen den Vorwurf der Falschaussage und auch die zugrundeliegende Frage, ob Kurz Postenbesetzungen entscheidend beeinflusste bzw. vorgab oder nur darüber informiert war, zurück und forderten Freisprüche. Es gäbe keinen Unterschied zwischen „Wort und Wirklichkeit“ bei den Aussagen Kurz’, sagte Otto Dietrich.

Kurz Anwalt Otto Dietrich
ORF/Patrick Bauer
Verteidiger Dietrich forderte den Freispruch für Kurz sowie Suppan für Bonelli

Bonellis Verteidiger Werner Suppan verwies in seinem Plädoyer auf die bekannte US-Psychologin Wendy Wood, wonach das Gedächtnis „notorisch unzuverlässig“ sei und sich jedes Mal, wenn man über einen Sachverhalt rede, verändere. Die Staatsanwaltschaft habe 26 Monate für eine „Textinterpretation“ gebraucht, so Suppan, der den Beweisantrag der WKStA als „Falschantrag“ bezeichnete.

Kurz: Falsch interpretiert

Kurz selbst betonte in seinem Schlusswort, „Herr Rat, sie können mir glauben“, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, wegen Falschaussage vor dem Strafrichter zu landen. Er hätte sich sicher besser vorbereiten können auf seine Befragung im U-Ausschuss und er könne sich sicher nicht an jedes Detail erinnern, verteidigte sich Kurz und beklagte erneut, von der WKStA falsch interpretiert worden zu sein. Bonelli ließ die letzten drei Jahre des Verfahrens sehr persönlich Revue passieren, verwies auf Sorgen seiner Kinder und zwei Wallfahrten.