Demonstranten bei Protesten gegen die Regierung
Reuters/Ronen Zvulun
Demos, Wehrpflicht

Druck auf Israels Regierung steigt

Der Druck auf Israels Regierung und ihren Chef, Benjamin Netanjahu, steigt weiter. Am Sonntag gingen unter anderem in Jerusalem erneut Zehntausende mit dem Ruf nach einer Neuwahl auf die Straßen. Unterdessen versucht sich Netanjahu im Streit über die Wehrpflicht ultraorthodoxer Männer in Zuversicht: Der Streit sei „lösbar“, sagte er, ohne Details zu nennen.

In Jerusalem protestierten Zehntausende Demonstranten und Demonstrantinnen gegen die Regierung Netanjahus und forderten einen Rücktritt der Regierung, eine Neuwahl sowie einen raschen Deal zur Freilassung der Geiseln in der Gewalt der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Proteste gab es auch in Tel Aviv. Die Demonstrationen sollen in den kommenden Tagen weitergehen.

Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu bei der Kundgebung vor, Israels Beziehungen zu den USA zu zerstören und die Hamas-Geiseln ihrem Schicksal zu überlassen: „Alles für die Politik, nichts für das Land.“ Knapp 100 Entführte in der Gewalt der Hamas dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein. Angehörige der Geiseln haben Netanjahu vorgeworfen, er habe kein echtes Interesse daran, ihre Freilassung zu erzielen.

Demonstranten bei Protesten gegen die Regierung in Jerusalem
Reuters/Ilan Rosenberg
Die Demonstrationen sollen in den kommenden Tagen weitergehen

Netanjahu wies die Forderungen nach einer Neuwahl zurück, diese würde unter anderem die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln lähmen. „Die Rufe nach einer Wahl jetzt, auf dem Höhepunkt des Krieges, einen Moment vor dem Sieg, werden Israel für mindestens ein halbes Jahr lähmen, meiner Einschätzung nach sogar acht Monate“, sagte er am Sonntag. Er sei verpflichtet, alle Geiseln heimzuholen.

Wehrpflicht sorgt für Streit in Regierung

Auch in der eigenen Regierung ist Netanjahu unter Zugzwang. Der Streit über die Wehrpflicht ultraorthodoxer Männer in Israel gefährdet das fragile Kriegskabinett, das keine gemeinsame Linie findet. Am Sonntag sprach sich Netanjahu grundsätzlich für eine gerechtere Verteilung aus. Die strengreligiösen Repräsentanten hätten „schon einen weiten Weg hinter sich gebracht“, sagte er vor Journalisten.

„Mit einer positiven Einstellung und echtem Willen kann man zu einer Einigung gelangen und nicht zu einer Konfrontation mitten im Krieg, während wir nur noch einen kleinen Schritt vom Sieg entfernt sind“, sagte er, allerdings ohne genauere Details zu nennen. „Ich glaube, dass man das Problem lösen kann“, sagte er weiter. Der Krieg habe aber die Regierung daran gehindert, vor Ablauf einer Frist ein Gesetz zu verabschieden, das die Frage regeln solle.

Frist läuft ab

Vom 1. April an sollen laut einer einstweiligen Anordnung des Höchsten Gerichts in Israel die staatlichen Subventionen für ultraorthodoxe Männer im wehrpflichtigen Alter gestrichen werden. Zudem ist das Militär verpflichtet, von da an Religionsstudenten einzuziehen, die bisher weitgehend befreit waren. Nach Medienberichten handelt es sich um mehr als 60.000 Männer.

Strengreligiöse Politiker kritisierten die neuen Anweisungen scharf. Im Mai ist eine weitere Beratung des Gerichts in der Frage geplant. Netanjahu hat außerdem 30 Tage Aufschub erhalten, um weitere Anmerkungen einzureichen. Eine gesetzliche Regelung, die den meisten ultraorthodoxen Männer erlaubte, nicht in der Armee zu dienen, war im vergangenen Jahr abgelaufen. Eine alternative Regelung lief Sonntagnacht aus.

Erneuter Anlauf für Friedensgespräche

Unterdessen gehen die Bemühungen um einen Deal zur Freilassung weiterer Geiseln und eine Feuerpause im Gaza-Krieg weiter. Laut Medienberichten traf eine israelische Delegation am Sonntag in Kairo ein. Ziel der neuen Gespräche sei es, zunächst auszuloten, ob es überhaupt sinnvoll sei, dass sich die israelischen Geheimdienstchefs in den kommenden Tagen an den indirekten Verhandlungen beteiligten, berichtete die „Times of Israel“ unter Berufung auf einen israelischen Vertreter.

Israel sei „enttäuscht“ vom Vermittler Katar. Dort waren die Verhandlungen zuletzt geführt worden, bevor sie vor einigen Tagen platzten. Seit Wochen vermitteln die USA, Katar und Ägypten zwischen Israel und der islamistischen Hamas, um eine neue Feuerpause und einen Austausch aus Israel verschleppter Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zu erreichen. Direkt verhandeln Israel und die Hamas nicht.

Netanjahu pocht auf Offensive in Rafah

Ein Hamas-Anführer, Osama Hamdan, sagte dem arabischen Sender al-Jazeera am Sonntag, seine Organisation fordere weiterhin ein Ende der israelischen Angriffe, einen israelischen Abzug aus dem Gazastreifen, die Rückkehr der Binnenflüchtlinge in den Norden des Gazastreifens sowie einen Wiederaufbau des Küstenstreifens. Israel lehnt das ab. Hamdan warf Israel vor, die Verhandlungen zu behindern, Netanjahu warf der Hamas vor, ihre Positionen zu verhärten. Netanjahu bekräftigte, ein Sieg über die Hamas sei nur mit einer Offensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten möglich.

Die Vereinten Nationen sowie Israels Verbündete warnen, ein solcher Einsatz werde die bereits katastrophale humanitäre Lage dort verschlimmern und die dringend benötigte Grundversorgung mit humanitärer Hilfe verhindern. In der Stadt leben derzeit nach Schätzungen mehr als eine Million Menschen – die meisten von ihnen Flüchtlinge aus anderen Teilen des Gazastreifens.

Parteikollege kritisiert Biden

Auch der Druck auf US-Präsident Joe Biden steigt. „Wir haben eine Situation, in der Netanjahu dem Präsidenten der Vereinigten Staaten quasi den Mittelfinger zeigt“, so Parteikollege und US-Senator Chris van Hollende im Sender ABC. „Und wir schicken noch mehr Bomben. Das ergibt keinen Sinn.“ Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, aber die Partnerschaft mit den USA sei „kein einseitiger Blankoscheck“.

Es müssten im Gegenzug klare Forderungen gestellt und mehr Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zur Bedingung gemacht werden. Van Hollen zählt bei den Demokraten zu den Kritikern der US-Militärhilfen für Israel. Er wiederholte die Aussage, die israelische Regierung blockiere aktiv und im Widerspruch zum Völkerrecht humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung. Die US-Regierung verschärfte zuletzt auf mehreren Kanälen ihre Kritik an Israel.