Hilfslieferungen aus Ägypten an der Grenze zu Gaza
AP/Amr Nabil
Gaza-Hilfe

USA halten Druck auf Israel aufrecht

Der internationale Druck auf Israel im Gaza-Krieg steigt – das spiegelt sich in der Freitagvormittag vom UNO-Menschenrechtsrat beschlossenen Forderung, Israel keine Waffen mehr zu liefern. Tatsächliches Gewicht hat freilich der Druck der USA. Nur wenige Stunden nach einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden gab der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu teilweise nach und kündigte an, mehr Hilfslieferungen nach Gaza zu lassen. Doch die USA halten den Druck aufrecht. Wegen Fehlverhaltens beim Luftangriff auf die NGO World Central Kitchen entließ Israel zwei Offiziere.

US-Außenminister Anthony Blinken begrüßte am Freitag die israelische Ankündigung, fügte aber gleich hinzu, dass der Erfolg sich daran bemessen werde, ob sich die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza tatsächlich verbessere. „Die Ergebnisse sind der wirkliche Beweis, und wir werden diese in den kommenden Tagen und Wochen sehen“, sagte Blinken und machte damit indirekt klar, dass die USA die Umsetzung der israelischen Ankündigung genau verfolgen werden.

Fast gleichzeitig mit Blinkens Aussagen bei einem Treffen mit europäischen Kolleginnen und Kollegen in Brüssel forderte der UNO-Menschenrechtsrat einen Stopp der Waffenverkäufe an Israel. In einer Resolution verlangte das in Genf ansässige Gremium, wegen der „möglichen Gefahr eines Völkermords im Gazastreifen“ jegliche Waffenlieferungen nach Israel einzustellen. Für die Resolution stimmten 28 Mitglieder, sechs votierten dagegen, 13 enthielten sich.

Echter Schmerzpunkt für Israel

Es ist das erste Mal, dass der UNO-Menschenrechtsrat Position zu dem seit einem halben Jahr andauernden Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen bezieht. Der Rat hat keine Möglichkeit, die Einhaltung seiner Resolutionen durchzusetzen.

Inhaltlich zielt die Resolution genau auf den größten Schmerzpunkt Israels. Denn ohne die internationalen Waffenlieferungen und -verkäufe könnte Israel den Krieg – zumindest in dieser Intensität – längst nicht mehr führen. Das erklärt auch das diesmal rasche partielle Einlenken des rechtspopulistischen israelischen Premiers Netanjahu gegenüber Biden. Denn dieser drohte beim Telefonat erstmals – wenn auch nur indirekt – damit, die seit Monaten unbeschränkte Versorgung mit Waffen und Munition zu begrenzen. Biden kommt auch innenpolitisch und innerparteilich angesichts der Wahlen im November immer stärker unter Druck, eine härtere Position gegenüber Netanjahu zu vertreten.

Beschluss Stunden nach Telefonat

Israels Kriegskabinett entschied Freitagfrüh, den Hafen von Aschdod sowie den Grenzübergang Eres für Hilfslieferungen wieder zu öffnen. Dadurch kann leichter und schneller Hilfe in den besonders von Lebensmittelmangel betroffenen Norden Gazas gelangen. Auch die über den Grenzübergang Kerem Schalom aus Jordanien kommende Hilfe werde aufgestockt, hieß es.

Davor hatte ein 30-minütiges Gespräch zwischen Netanjahu und US-Präsident Joe Biden stattgefunden. Darin forderte Biden nach Angaben des Weißen Hauses vom israelischen Premier eine Reihe „spezifischer, konkreter und messbarer Schritte“, um das Leid für die Menschen in Gaza zu verringern und den Schutz von Helfern zu erhöhen. Die künftige US-Politik in Bezug auf Gaza hänge davon ab, wie Israel diese Maßnahmen umsetze, warnte Biden.

Zwei Offiziere entlassen

Zugespitzt hatte sich die Lage nach einem Luftangriff des israelischen Militärs, bei dem diese Woche sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen im Gazastreifen getötet worden waren. Nach dem Vorfall äußerte sich Biden „empört“ und warf Israel vor, Helfer und Zivilisten nicht ausreichend zu schützen. Den Einwand von Regierungschef Netanjahu, die Attacke sei keine Absicht gewesen, ließ Biden nicht gelten – er hielt dagegen: „Das ist kein Einzelfall.“

Ein am Freitag veröffentlichter Untersuchungsbericht zu dem Vorfall kam zum Schluss, dass der Angriff gegen die militärischen Vorgaben verstieß. Zwei Milizoffiziere wurden deshalb aus dem Dienst entlassen. Drei weitere Offiziere wurden gerügt.

Israel will Gaza-Hilfen „sofort“ verstärken

Nach einer deutlichen Warnung aus den USA hat Israel in der Nacht „sofortige Schritte“ zur Erhöhung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen beschlossen. Der Hafen von Aschdod sowie der Grenzübergang Erez werden vorübergehend für Hilfslieferungen geöffnet, so Medienberichte.

Bericht: Neuer Vorstoß für Geiselabkommen

Biden forderte Netanjahu bei dem Telefonat zudem auf, „unverzüglich“ ein Abkommen zu schließen, um die Geiseln in der Gewalt der Hamas zurückzuholen. Wie der gewöhnlich gut unterrichtete israelische Journalist Barak Ravid Freitagfrüh im Nachrichtenportal Axios unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Quellen berichtete, soll CIA-Direktor Bill Burns am Wochenende zu Gesprächen mit dem Chef des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, David Barnea, sowie ranghohen Vertretern Katars und Ägyptens nach Kairo reisen, um in den seit Monaten stockenden Verhandlungen zu vermitteln.

Knapp 100 der 134 noch in der Gewalt der Hamas befindlichen Entführten dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein.

Israel fürchtet Vergeltungsangriff des Iran

Unterdessen drohte Netanjahu für den Fall eines Angriffs des Iran auf sein Land mit Konsequenzen. „Seit Jahren agiert der Iran sowohl direkt als auch über seine Stellvertreter gegen uns; deshalb geht Israel gegen den Iran und seine Stellvertreter vor, defensiv und offensiv“, sagte Netanjahu laut seinem Büro zu Beginn einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts.

Nach einem mutmaßlich von Israels Militär geführten Luftangriff auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehreren Toten hatte der Iran Vergeltung angekündigt. Bei dem Angriff waren zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Die Revolutionsgarden sind die Elitestreitmacht des Iran und werden als mächtiger eingeschätzt als die konventionellen Streitkräfte.

Die Drohungen des Iran waren auch Thema beim Telefonat zwischen Biden und Netanjahu. Biden machte dabei nach Angaben des Weißen Hauses deutlich, dass die USA Israel angesichts dieser Drohungen unterstützen.

Armeesprecher: GPS-Störungen Absicht

Israels Militärsprecher Daniel Hagari bestätigte unterdessen am Donnerstagabend, das Positionsbestimmungssystem GPS im Land sei am Vortag bewusst gestört worden, um „Bedrohungen zu neutralisieren“. Er machte keine Angaben dazu, wo genau das geschehen sei. In israelischen Medien wurden die Drohungen aus dem Iran als mutmaßlicher Grund genannt.

Angesichts der Sicherheitslage hat Israel zudem Urlaube in allen Kampfeinheiten zeitweilig gestoppt. „Die israelische Armee ist im Krieg, und die Aufstellung der Streitkräfte wird ständig entsprechend der Notwendigkeiten angepasst“, teilte das Militär mit.