Auto des World Central Kitchen nach einem Anschlag in Deir Al-Balah
Reuters/Ahmed Zakot
Angriff auf Hilfsorganisation

Offiziere verstießen gegen interne Regeln

Israels Armee hat drei Tage nach dem tödlichen Luftangriff auf den Konvoi der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) in Gaza betont, dass mit dem Einsatz interne Regeln für Kampfeinsätze ignoriert wurden. Zwei Offiziere wurden entlassen, drei hochrangige Kommandanten wurden gemaßregelt. Der Hilfsorganisation WCK reicht das aber nicht, sie fordert eine unabhängige Untersuchung. Und der internationale Druck auf Israel steigt weiter.

Seit dem Angriff auf den WCK-Konvoi am Dienstag, bei dem sieben Mitarbeiter, – darunter Staatsbürger von Australien, Polen, Großbritannien und USA – getötet wurden, ist der internationale Druck auf Israel im Gaza-Krieg nochmals deutlich gestiegen. Bereits am Freitag wurde nun die Untersuchung der Armee abgeschlossen. Demzufolge wurden die Fahrzeuge in der Nacht irrtümlich für einen Konvoi von Terroristen gehalten.

Die Wärmelichtbildkameras hätten die Logos der NGO auf den Fahrzeugen nicht erkennen können. Es sei aber vor allem gegen die internen Vorgaben für einen Feuereinsatz verstoßen worden – daher wurden zwei Milizoffiziere aus der Armee entlassen sowie drei hochrangige Kommandanten abgemahnt.

„Ernsthaftes Versagen“

„Der Angriff auf die Fahrzeuge der Hilfsorganisation ist ein schwerer Fehler, ausgelöst durch ein ernsthaftes Versagen – einerseits eine falsche Identifizierung, Fehler im Entscheidungsprozess und ein Angriff, der gegen die Kampfanleitungen der Armee verstieß“, hieß es in einer Stellungnahme der Armee.

Israel hatte bereits zuvor eingestanden, dass es sich bei dem Angriff um einen zwar unabsichtlichen, aber schweren Fehler gehandelt habe. Die Route des WCK-Konvois war zuvor mit der Armee abgesprochen worden.

WCK fordert „systemischen Wandel“

Die Hilfsorganisation WCK hat die Untersuchung des israelischen Militärs zu ihren getöteten Helfern im Gazastreifen und die Entlassung zweier Offiziere von ihren Positionen als „wichtige Schritte nach vorn“ bezeichnet, gleichzeitig aber grundlegende Veränderungen gefordert.

„Ohne einen systemischen Wandel wird es weitere militärische Fehlschläge, weitere Entschuldigungen und weitere trauernde Familien geben“, schrieb die Organisation und bekräftigte einmal mehr ihre Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung des Vorfalls durch Dritte. Ihre Einsätze im Gazastreifen blieben weiter ausgesetzt.

Israel entlässt Offiziere aufgrund schwerer Fehler

Wenige Tage nach dem Luftangriff auf einen Konvoi der Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) in Gaza mit sieben Toten zieht Israel Konsequenzen. Zwei Offiziere wurden am Freitag aus der Armee entlassen, drei weitere wegen Fehlverhaltens abgemahnt.

UNO und USA halten Druck aufrecht

Auch UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte einen Strategiewechsel von Israel, denn: "In seiner Geschwindigkeit, dem Ausmaß und der unmenschlichen Brutalität ist der Gaza-Krieg der tödlichste Konflikt – für Zivilisten, für humanitäre Helfer, für Mitarbeiter im Gesundheitswesen und für unsere eigenen Kollegen. „Wenn die Tür für Hilfe geschlossen ist, öffnet sich die Tür für das Verhungern“, so Guterres.

Mehr als eine Million Menschen, etwa die Hälfte der Bevölkerung des abgeriegelten Küstenstreifens, seien von katastrophalem Hunger bedroht. „Nichts kann die Kollektivstrafe für die Palästinenser rechtfertigen“, sagte Guterres.

US-Außenminister Antony Blinken begrüßte die israelische Ankündigung, mehr Hilfslieferungen nach Gaza zu lassen, fügte aber gleich hinzu, dass der Erfolg sich daran bemessen werde, ob sich die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza tatsächlich verbessere. Die USA würden die Umsetzung der Ankündigung genau verfolgen.

Stunden später legte Blinken nach und richtete Israel aus: „Das Leben von Zivilsten muss Priorität vor militärischen Operationen haben, nicht umgekehrt.“ Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby kündigte an, die vom israelischen Militär veröffentlichte Untersuchung zum tödlichen Angriff auf WCK-Mitarbeiter „sorgfältig zu prüfen“. Ähnlich äußerte sich auch der britische Außenminister David Cameron.

Echter Schmerzpunkt für Israel

Am Vormittag forderte zudem der UNO-Menschenrechtsrat in Genf wegen der „möglichen Gefahr eines Völkermords im Gazastreifen“ einen Stopp der Waffenverkäufe an Israel. Für die Resolution stimmten 28 Mitglieder, sechs votierten dagegen, 13 enthielten sich der Stimme. Es ist das erste Mal, dass der UNO-Menschenrechtsrat Position zu dem seit einem halben Jahr andauernden Krieg bezieht. Der Rat hat keine Möglichkeit, die Einhaltung seiner Resolutionen durchzusetzen.

Inhaltlich zielt die Resolution genau auf den größten Schmerzpunkt Israels. Denn ohne die internationalen Waffenlieferungen und -verkäufe könnte Israel den Krieg – zumindest in dieser Intensität – längst nicht mehr führen. Das erklärt auch das diesmal rasche partielle Einlenken des rechtspopulistischen israelischen Premiers Benjamin Netanjahu gegenüber US-Präsident Joe Biden. Denn dieser hatte bei einem Telefonat erstmals – wenn auch nur indirekt – damit gedroht, die seit Monaten unbeschränkte Versorgung mit Waffen und Munition zu begrenzen.

Wildner (ORF): „Israel muss glaubhafte Schritte setzen“

ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner spricht unter anderem über den Drohnenangriff auf einen Hilfskonvoi und darüber, ob die personellen Konsequenzen daraus auf Druck der USA entstanden sind.

Beschluss Stunden nach Telefonat

Israels Kriegskabinett entschied Freitagfrüh, den Hafen von Aschdod sowie den Grenzübergang Erez für Hilfslieferungen wieder zu öffnen. Dadurch kann leichter und schneller Hilfe in den besonders von Lebensmittelmangel betroffenen Norden Gazas gelangen. Auch die über den Grenzübergang Kerem Schalom aus Jordanien kommende Hilfe werde aufgestockt, hieß es.

Davor hatte ein 30-minütiges Gespräch zwischen Netanjahu und US-Präsident Biden stattgefunden. Darin forderte Biden nach Angaben des Weißen Hauses vom israelischen Premier eine Reihe „spezifischer, konkreter und messbarer Schritte“, um das Leid für die Menschen in Gaza zu verringern und den Schutz von Helfern zu erhöhen.

Bericht: Neuer Vorstoß für Geiselabkommen

Biden forderte Netanjahu bei dem Telefonat zudem auf, „unverzüglich“ ein Abkommen zu schließen, um die Geiseln in der Gewalt der Hamas zurückzuholen. Knapp 100 der 134 noch in der Gewalt der Hamas befindlichen Entführten dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein. Der Chef des US-Geheimdienstes CIA, Bill Burns, reist US-Medien zufolge am Wochenende zu Gesprächen über deren Freilassung nach Kairo. Burns werde den Leiter des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, sowie Vertreter Ägyptens und Katars treffen, so die „New York Times“ am Freitag.

Viele israelische Botschaften geschlossen

Unterdessen drohte Netanjahu für den Fall eines Angriffs des Iran auf sein Land mit Konsequenzen. Zahlreiche israelische Botschaften weltweit erhöhen derzeit ihre Sicherheitsvorkehrungen und bleiben teils geschlossen. Nach einem mutmaßlich von Israels Militär geführten Luftangriff auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehreren Toten hatte der Iran Vergeltung angekündigt.