Versammlung des UNO Sicherheitsrats in New York
APA/AFP/Charly Triballeau
Guterres warnt

„Naher Osten am Rande des Abgrunds“

Nach dem Angriff des Iran auf Israel hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres dringend zur Deeskalation aufgerufen. „Der Nahe Osten steht am Rande des Abgrunds“, sagte Guterres am Sonntag bei einer Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates in New York. „Die Menschen in der Region stehen vor der realen Gefahr eines verheerenden großen Konflikts. Jetzt ist die Zeit, zu entschärfen und zu deeskalieren. Jetzt ist die Zeit für maximale Zurückhaltung“, es sei an der Zeit, „vom Abgrund zurückzutreten“.

„Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, auf Frieden hinzuarbeiten“, sagte Guterres vor dem Sicherheitsrat. „Weder die Region noch die Welt können sich mehr Krieg leisten.“ Die Sondersitzung war auf Bitten Israels einberufen worden. Zuvor hatte der Iran in der Nacht zum Sonntag erstmals in der Geschichte der Islamischen Republik seinen Erzfeind Israel direkt angegriffen.

Die Revolutionsgarden feuerten nach eigenen Angaben Dutzende Drohnen, Raketen und Marschflugkörper ab. Die israelische Armee sprach am Sonntagabend von rund 350 aus dem Iran Richtung Israel abgefeuerten Geschoßen.

Die vom Iran auf den Namen „Aufrichtiges Versprechen“ getaufte Operation wurde von Teheran als Vergeltungsschlag für die Tötung hochrangiger Offiziere in Syrien dargestellt. Am 1. April waren bei einem mutmaßlich von Israel geführten Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegeneräle getötet worden.

Internationaler Aufruf zur Zurückhaltung

Der Angriff löste international – abgesehen von den Verbündeten des Iran – Empörung und Sorge vor einer weiteren Eskalation der Lage in Nahost aus. Etliche Länder standen dabei auch im direkten Kontakt mit dem Iran. Auch Erzfeind Saudi-Arabien habe eigenen Angaben zufolge auf Außenministerebene in einem Telefonat „die Auswirkungen der Entwicklungen in der Region und die zunehmende Eskalation vor dem Hintergrund der Krise im Gazastreifen erörtert“.

Scharfe Kritik am Vorgehen des Iran kam unter anderem auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der österreichischen Bundesregierung. US-Präsident Joe Biden sicherte Israel die Unterstützung der USA zu. Vieles hänge nun von der Reaktion Israels ab, so der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, der dazu sagte: „Wir wollen keine Eskalation und schon gar keinen Krieg gegen den Iran.“

Nach Darstellung aus Washington habe US-Präsident Biden Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu dazu angehalten, einen möglichen israelischen Vergeltungsschlag gegen den Iran und dessen Folgen sorgfältig abzuwägen. In dem Telefonat zwischen den beiden habe Biden Netanjahu „sehr deutlich“ gemacht, dass man „sorgfältig und strategisch über die Risiken einer Eskalation nachdenken“ müsse, sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter am Sonntag in Washington.

Zwischen Militärschlag und strategischer Partnerschaft

Derzeit lägen zwei Varianten auf dem Tisch, wie Israel auf den iranischen Angriff reagieren werde: entweder ein Militärschlag gegen den Iran oder eine langfristige strategische Partnerschaft mit Verbündeten, um gegen die Bedrohung aus dem Iran vorzugehen, berichtet ORF-Korrespondent Nikolaus Wildner aus Tel Aviv.

Israels Kriegskabinett vertagt Entscheidung

Israel halte sich laut den Worten von Staatspräsident Jizchak Herzog „alle Optionen“ offen. Ob und wie Israel auf die von Herzog als „Kriegserklärung“ bezeichnete Eskalation reagiert, bleibt offen. Vielmehr habe das israelische Kriegskabinett, wie CNN berichtete, eine Entscheidung über die weitere Vorgehensweise vertagt. Israel strebe nach dem iranischen Angriff aber keinen Krieg an – vielmehr sei in dieser Situation Ausgewogenheit gefragt, wie Herzog in einem Interview am Sonntag sagte.

Bei dem iranischen Angriff auf Israel wurden nach Angaben von Israels Militärsprecher Daniel Hagari „mehr als 300 Bedrohungen verschiedener Art losgeschickt“. Gleichzeitig mit dem iranischen Luftangriff führten zudem die Hisbollah-Miliz im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen Angriffe gegen israelische Ziele aus.

„Die iranische Bedrohung ist auf die israelische Überlegenheit in der Luft und im technologischen Bereich getroffen, in Kombination mit einer starken, kämpferischen Koalition, die gemeinsam den Großteil der Bedrohungen abgefangen hat.“ Hagari sprach von einem „sehr bedeutsamen strategischen Erfolg“. Von 170 unbemannten Flugkörpern, die der Iran losgeschickt habe, seien „null auf das israelische Gebiet vorgedrungen“. Auch von mehr als 30 Marschflugkörpern, die der Iran abgefeuert habe, sei keiner nach Israel eingedrungen.

Grafik zu Luftangriffen des Iran gegen Israel
Grafik: APA/ORF

Moskau und Teheran warnen vor „Provokationen“

Die Außenminister Russlands und des Iran warnten am Sonntag indes gemeinsam vor „neuen gefährlichen Provokationen“. Diese könnten nach Meinung des russischen Außenministers Sergej Lawrow und seines iranischen Kollegen Hussein Amir-Abdollahian zu verstärkten Spannungen in Nahost führen.

„Wie festgestellt wurde, können eine weitere Eskalation der Situation in der Region und neue gefährliche provokative Handlungen zu einer Zunahme der Spannungen im Nahen Osten führen“, berichtete das russische Außenministerium am Sonntag über den Inhalt des Telefonats der beiden Minister.

Iran droht mit „zehnmal größerer“ Antwort

Auch der Nationale Sicherheitsrat des Iran warnte Israel vor einer militärischen Antwort auf die Vergeltungsschläge. „Wenn das zionistische Regime weiterhin Bösartigkeiten gegen den Iran fortsetzen will, wird es eine Antwort erhalten, die mindestens zehnmal größer ist als der jüngste Angriff“, zitierte das Portal Nur News unter Berufung auf eine Mitteilung des Rats. Der Iran habe die kleinste Form der Bestrafung für Israel gewählt und lediglich Militäreinrichtungen attackiert, hieß es.

Das mächtige Gremium befasst sich mit Fragen rund um die nationale Sicherheit. Neben dem Präsidenten als Vorsitzendem gehören dem Rat mit rund einem Dutzend Mitgliedern mehrere Minister und Generäle an. Der Rat trifft Entscheidung über dem Parlament, die nach Zustimmung durch den Religionsführer final sind.