mehrere Menschen spazieren auf einer Straße
ORF/Georg Hummer
Menschenrechte

Amnesty sieht „Schicksalsjahr“ für Österreich

Der diesjährige Jahresbericht von Amnesty International (AI) zeigt nach den Worten der Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation in Österreich, Shoura Hashemi, ein „düsteres Bild“ vom Zustand der Welt. International ist von fast vollständig gelähmten völkerrechtlichen Institutionen die Rede – aber auch in Österreich ortet AI „gravierende“ Probleme und angesichts der anstehenden Nationalratswahl ein „Schicksalsjahr“ für Menschenrechte.

Ob anhaltende Sorgen rund um Frauenrechte, Tausende aus der offiziellen Betreuung verschwundene unbegleitete minderjährige Geflüchtete, ein als löchrig bezeichnetes soziales Auffangnetz oder Einschüchterungsvorwürfe in Sachen Pressefreiheit: Auch im Österreich-Kapitel des Jahresberichts 2023/24 listet Amnesty etliche offene Baustellen.

Entgegen den Versprechungen der Regierung hätten sich die Probleme in Österreich verschärft, so AI, das per Aussendung die anstehende Nationalratswahl als Chance und gleichzeitig als wichtige Gelegenheit bezeichnet, „unsere Stimme für die Achtung der Menschenrechte und eine gerechte Gesellschaft abzugeben“.

„Es ist ein Schicksalsjahr für Menschenrechte in Österreich“, so Hashemi samt dem an alle Parteien gerichteten Appell, sich für den Schutz und die Verwirklichung der Menschenrechte einzusetzen, anstatt mit spaltender Rhetorik Angst zu schüren.

„Löchriges soziales Auffangnetz“

Gegen menschenrechtliche Verpflichtungen verstoße dem AI-Bericht zufolge etwa die derzeitige Regelung der Sozialhilfe. Sie sei ein „löchriges soziales Auffangnetz“, das Armut verfestige, außerdem gebe es Hindernisse beim Zugang, hieß es in der dazugehörigen Pressemitteilung. Dass subsidiär Schutzberechtigte und ukrainische Geflüchtete gar keinen Zugang zur Sozialhilfe, sondern nur zur geringeren Grundversorgung haben, führe zu prekären Situationen.

Nicht nur ukrainische, sondern auch unbegleitete geflüchtete Kinder finden keine zufriedenstellende Situation vor, wie AI zudem festhält. Der genannte Hintergrund: „In Österreich ist der alarmierende Trend zu beobachten, dass ein großer Teil der unbegleiteten geflüchteten Kinder aus der offiziellen Betreuung verschwindet.“

Als einen der Hauptgründe nennt AI das Fehlen einer Obsorge für unbegleitete geflüchtete Kinder ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft. Mit Verweis auf Zahlen aus dem Innenministerium beziffert AI die Zahl der betroffenen Minderjährigen mit 4.700. Das seien knapp 95 Prozent der unbegleiteten geflüchteten Kinder, die im selben Zeitraum in Österreich Asyl beantragt haben. Hashemi spricht von einem menschenrechtlichen Skandal, der dringende Maßnahmen seitens der österreichischen Regierung erfordere.

„Frauenrechte in Gefahr“

Anhaltenden Handlungsbedarf ortet AI bei Frauenrechten – allen voran beim Kampf gegen Gewalt an Frauen. AI verweist hier auf die mutmaßlich 26 Femizide im Vorjahr. Auch 2023 sei die Anzahl damit auf hohem Niveau geblieben – dennoch fehle weiterhin ein nachhaltiger Aktionsplan. Als ausstehende Maßnahmen nennt die Menschenrechtsorganisation etwa den Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung.

Problematisch sei zudem die Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch, der aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden muss, betonte Hashemi. Dabei müssten „die finanzielle Belastung der Betroffenen verringert und Versorgungslücken geschlossen werden“. Heute ist der Zugang je nach Region unterschiedlich schwer, die Kosten werden privat bezahlt.

SLAPP-Klagen als Angriff auf Pressefreiheit

Einen negativen Trend ortet AI schließlich auch in Sachen Pressefreiheit. So seien Journalistinnen und Journalisten zunehmend mit wirtschaftlichem Druck, aber auch mit unter der Bezeichnung SLAPP (Strategic Lawsuit Against Public Participation – Strategische Klagen gegen öffentliche Teilnahme) bekannten Einschüchterungsklagen konfrontiert.

Hashemi fordert, die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit zu stärken und Journalisten vor SLAPP-Klagen zu schützen. Auch brauche es „eine Medienförderung, die sich an klaren und objektiven Qualitätskriterien orientiert“.

Kritik gibt es auch an Handlungen der Polizei bei Demonstrationen. In Wien hätte diese Journalisten bei der Berichterstattung über Proteste behindert. Die im Jänner 2024 eingerichtete Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibedienstete bezeichnet AI im Jahresbericht indes als Schritt in die richtige Richtung.

Zunahme bei Hassverbrechen „besonders erschreckend“

Um Misshandlungsvorwürfe durch die Polizei besser aufklären zu können, fehle laut AI aber weiterhin eine Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten. Bemängelt werden schließlich die Zustände in österreichischen Haftanstalten – hier geht es etwa um unverhältnismäßig lange Isolation in der Schubhaft, aber auch mangelnden Zugang zu psychosozialer und medizinischer Behandlung und „katastrophale Zustände“ von Zellen und Sanitäranlagen.

Als „besonders erschreckend“ hebt AI die Zunahme von Hassverbrechen und rassistisch motivierten Taten in Österreich hervor. „Seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023 ist ein deutlicher Anstieg antisemitischer Vorfälle zu verzeichnen. Gleichzeitig stieg auch die Häufigkeit von antimuslimischen Übergriffen.“

AI fordert auch für diesen Bereich von der Regierung „entschiedene und umfassende Schritte gegen Hassverbrechen zu unternehmen, insbesondere gegen diskriminierende Gewalt und zur Stärkung der Gleichstellung“.

Ausstehendes Klimaschutzgesetz

Unter dem Titel „Recht auf ein faires Gericht“ erinnert AI im Jahresbericht 2023/24 dann auch daran, dass das Bundesverwaltungsgericht „das ganze Jahr über ohne formale Führung“ gewesen sei. „Auch andere hohe Funktionen innerhalb der Justiz blieben wegen des Verdachts der Vetternwirtschaft unbesetzt“, lautet ein weiterer Kritikpunkt.

Unter „Recht auf gesunde Umwelt“ verweist AI am Ende des Österreich-Kapitels auf ein 2023 nicht beschlossenes neues Klimaschutzgesetz. „Österreichs Klimamaßnahmen, einschließlich der nachhaltigen Verringerung der Kohlenstoffemissionen, sind nicht auf dem richtigen Weg, um ihre Ziele zu erreichen“, wie es dazu noch heißt.

Das Innenministerium verwies auf Anfrage von ORF.at auf das große Vertrauen, das Österreicher laut Umfragen der Polizei entgegenbringen. Im Rahmen der Aktion von „POLIZEI.MACHT.MENSCHENRECHTE“ würde man laufend im Dialoge mit der Zivilgesellschaft und NGOs stehen. Der „Schutz und die Gewährleistung von Grundrechten in unserer täglichen Aufgabenerfüllung“, von der „persönlichen Freiheit bis zum Versammlungsrecht“ würden „die Polizei zur mit Abstand größten und erfolgreichsten Menschenrechtsorganisation in Österreich“ machen, so das Innenministerium.