Arbeiter auf einer Hochspannungsleitung
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Stromnetzausbau

Zwischen Wertschöpfung und sozialer Frage

Dem heimischen Stromnetz wird künftig eine noch wichtigere Rolle für die Energieversorgung zukommen als bisher. Damit gehen Investitionen in Milliardenhöhe einher, die auch erhebliche volkswirtschaftliche Effekte mit sich bringen. Eine aktuelle Studie geht allein für das Übertragungsnetz von Tausenden Jobs und Milliarden an Wertschöpfung aus. Zugleich stellt sich aber auch die Frage, wie die Kosten verteilt werden.

Der Ausbau des Stromnetzes sei nicht weniger als eine „Generationenfrage“, sagt Thomas Karall. Er ist kaufmännischer Vorstand des Übertragungsnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG) – und damit mitverantwortlich für eines der größten Investitionsprojekte des Landes.

Tatsächlich werden künftig einige ihren Kindern und Kindeskindern erzählen können, dass sie beim heimischen Netzausbau dabei waren. Die Investitionen, die allein die APG für die kommenden zehn Jahre tätigen will, sollen insgesamt 90.000 Beschäftigungsverhältnisse schaffen – das heißt im Schnitt 9.000 Vollzeitjobs pro Jahr.

Wertschöpfung von 6,6 Milliarden Euro

Zu diesen Zahlen kommt eine von der APG in Auftrag gegebene Studie des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung. Das Institut unter der Leitung des Chefökonomen der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, errechnete den „ökonomischen Fußabdruck“ der rund neun Milliarden Euro schweren Investitionen, welche die APG bis 2033 plant. Am Mittwoch präsentierte Helmenstein gemeinsam mit Karall und dem technischen APG-Vorstand Gerhard Christiner in Wien die Ergebnisse.

Arbeiter auf einer Hochspannungsleitung
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Der Netzausbau braucht auch entsprechende Arbeitskräfte

Eine der zentralen Zahlen der Studie: 6,6 Milliarden Euro. So groß ist laut Economica die Bruttowertschöpfung, die das Investitionsprogramm der APG bis 2033 nach sich zieht. Ganz vereinfacht gesagt: Von jedem Euro, der für den Ausbau des Übertragungsnetzes in die Hand genommen wird, bleiben über 70 Cent tatsächlich in Österreich. Laut Helmenstein ist das im Vergleich mit vielen anderen Infrastrukturinvestitionen ein hoher Wert.

Investitionen als Teil der Netzgebühr

So groß die volkswirtschaftlichen Effekte auch sind, Investitionen benötigen dennoch Kapital. Anders gesagt: Jemand muss dafür bezahlen. Im Fall des Stromnetzes sind das zuvorderst die Kundinnen und Kunden über die Netzgebühr, auf die im Schnitt fast ein Drittel der Stromrechnung entfällt.

Wenngleich die Investitionsausgaben nur einen Teil der Netzkosten ausmachen, die Netzbetreiber haben auch laufende Ausgaben. Investitionen werden überdies über Jahrzehnte abgeschrieben. Das mache die Kosten für den Netzausbau schon „beherrschbar“, sagt APG-Vorstand Karall. Allerdings ist es mit den von der APG veranschlagten neun Milliarden Euro nicht getan. Eine ähnlich hohe Summe müssen auch die Betreiber der Verteilnetze für den Ausbau in die Hand nehmen.

AK sieht „soziale Frage“

Joel Tölgyes, Referent für Energiepolitik in der Arbeiterkammer (AK), rechnet deshalb in den kommenden 15 Jahren mit einem merklichen Anstieg der Netzentgelte. Zwar bezeichnet er den Ausbau der Netze als „unbedingte Voraussetzung“ für die Energiewende, er sieht darin aber auch eine „soziale Frage“.

Der Ökonom spricht gegenüber ORF.at von „ungleich verteilten“ Kosten. Haushalte seien für rund ein Viertel des Stromverbrauchs verantwortlich, tragen aber mehr als 40 Prozent der Netzkosten. Die Großindustrie verbrauche ähnlich viel Strom, finanziere das Netz aber nur zu elf Prozent mit, so Tölgyes.

Eine Frau steckt ihr Mobiltelefon an der Steckdose an
Getty Images/Maskot
Haushaltskunden zahlen für alle Ebenen des Stromnetzes anteilig

Das hat mit dem System der Kostenwälzung zu tun. Das sieht vor, dass Verbraucher auf den unteren Netzebenen anteilig auch die Kosten der darüber liegenden Netze mittragen. Große Industriebetriebe sind hingegen oft in einer höheren Netzebene angeschlossen. Für sie spielen die niedrigeren Netze kostentechnisch keine Rolle. Das gilt auch für große Kraftwerke – wie Erzeuger generell nur einen kleinen Anteil an den Netzkosten tragen.

Stromerzeugung wird dezentraler

„Nicht mehr zeitgemäß“ sei diese Aufteilung, sagt Tölgyes. Der AK-Ökonom argumentiert auch mit Veränderungen bei der Stromerzeugung. Früher lag diese vor allem bei großen Kraftwerken. Von ihnen wurde der Strom von oben weg weiter nach unten verteilt.

Doch mit Voranschreiten des Erneuerbarenausbaus bildet dieses Bild zunehmend weniger die Realität ab. Gerade PV-Anlagen speisen ihren Strom zumeist auf einer niedrigeren Netzebene ein. Der Strom fließe somit nicht mehr nur „von oben herunter“, sondern auch „von unten hinauf und dann wieder herunter“, sagt Tölgyes.

Zahlen für Leistung

Für den AK-Ökonomen wäre eine Möglichkeit, die Netzkosten künftig sowohl nach unten als auch nach oben zu wälzen. Zugleich schlägt er vor, stärker von der Leistung her zu denken. Wer etwa eine große PV-Anlage auf dem Dach oder eine Wallbox für das E-Auto installiert, braucht auch mehr Anschlussleistung – die sich aber nicht in höheren Gebühren niederschlägt.

Für eine PV-Anlage höhere Netzgebühren zu zahlen, das sei natürlich nicht so leicht zu vermitteln. Verursachergerechtigkeit beziehe sich aber nicht nur auf den Verbrauch, sondern auch auf die Einspeisung. „Zumal man in Zeiten ohne PV-Strom ja trotzdem auf ein funktionierendes Netz angewiesen ist“, so Tölgyes. „Auf jeden Fall sollten aber vor allem große, kommerzielle Stromerzeuger finanziell stärker am Netzausbau beteiligt werden“, sagt der AK-Referent.

Dieser letzte Punkt trifft auf Wirtschaftsseite auf wenig Zustimmung; die Überlegung, Erzeuger auf der Ebene der Haushalte stärker zur Kasse zu bitten, freilich schon. Dass auf der untersten Netzebene die „Inanspruchnahme der Leistung nicht verursachungsgerecht bepreist ist“, kritisiert etwa auch Jürgen Streitner, Leiter der Abteilung Umwelt- und Energiepolitik in der WKO, gegenüber ORF.at.

Gesetz noch vor dem Sommer?

Dass das Thema zuletzt verstärkt diskutiert wurde, kommt nicht von ungefähr. In Kürze starten im Parlament die Verhandlungen zum Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG). Noch vor dem Sommer soll das Gesetz, so der Wunsch von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), beschlossen werden.

Dafür braucht es allerdings eine Zweidrittelmehrheit – und damit zumindest die Stimmen von SPÖ oder FPÖ. Es sei jedenfalls „bedauerlich“, dass der Begutachtungsentwurf des ElWG weiterhin an der Kostenwälzung festhält, sagt Tölgyes.

Offene Rolle des Staates

Noch gar nicht „in der breiten Debatte“ seien überdies Überlegungen, wie sich der Staat finanziell am Netzausbau beteiligen könnte. „Man könnte etwa staatliche Garantien oder bestimmte Zuschüsse für den Netzausbau einführen, um die Kapitalkosten für den Netzausbau zu senken“, sagt der AK-Referent.

Da schließt sich dann fast der Kreis zum Ökonomen Helmenstein. Die Economica-Studie berechnete auch, wie viel die Investitionen an Steuern und Abgaben nach sich ziehen – und kam bis 2033 auf rund 2,8 Milliarden Euro.

„Dazu kommen später aber noch Abgaben aus dem laufenden Betrieb“, sagt Helmenstein. Laut dem Ökonomen wäre es nur sinnvoll, Abgaben aus Investitionen wieder für weitere Investitionstätigkeiten zu verwenden. Schließlich gehe es auch um das Versprechen der Marktwirtschaft: „Dass es der kommenden Generation besser geht.“