Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl
APA/Hans Klaus Techt
Ulrich Seidl

Umstrittener „Sparta“ zeigt Fantasie statt Taten

„Sparta“, Ulrich Seidls Bruderfilm zu dem im Frühling gestarteten „Rimini“, war lange nur aufgrund seiner umstrittenen Produktionsbedingungen im Gespräch. Bei der Viennale ist der Film nun erstmals in Österreich zu sehen.

Zuerst war die Neugierde auf den Film groß, dann kam das Entsetzen, als Anfang September im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Mitwirkende zitiert wurden, es habe nicht ausreichende Sorgfalt gegenüber den mitwirkenden Kindern beim Dreh des Films „Sparta“ gegeben. Seidl schwieg zunächst zu den Vorwürfen und schrieb dann in einem Statement: „Ich wünsche mir, dass ‚Sparta‘, wenn der Film erst einmal im Kino ist, diese von außen und erst im Zuge der Berichterstattung entstandenen Vorbehalte ausräumen kann.“

Genau das ist nun auch möglich, im Gegensatz zum Filmfestival in Toronto hat man sich bei der Viennale dazu entschieden, „Sparta“ vor dem österreichweiten Kinostart in zwei Vorstellungen zu zeigen. Das soll nicht „Ausdruck einer Entlastung“ sein, wie es von Festivalseite hieß, „aber ebenso wenig will die Viennale Teil einer Vorverurteilung von Regisseur oder Film sein“. Es ergibt sich nun also die merkwürdige Gelegenheit, einen Film zu sehen, von dessen Dreh ungewöhnlich viele Details in Zeitungen zu lesen waren.

Szene aus dem Film Sparta zeigt badende Kinder und einen Mann und einen Jungen, die daneben stehen und zuschauen
Ulrich Seidl Filmproduktion
Das bisher einzige Bild aus dem Film: Ewald (Georg Friedrich) mit Buben bei seiner „Spielfestung“ im rumänischen Dorf.

Fast alles fast echt

Einzelne Szenen wurden da seziert, etwa die eine, wo ein Bub zwischen seinem brutalen Stiefvater und dem Mann sitzt, der sich als Sportlehrer aus Österreich ausgibt, und vom Stiefvater gezwungen wird, ein Schnapsglas auszutrinken. Der Bub beginnt zu weinen. Es ist auch für die Zuschauerin keine angenehme Szene, soll es auch nicht sein, der Stiefvater demonstriert da seine Macht über den Buben.

Natürlich ist kein Schnaps im Glas, genauso wie der Stiefvater nicht der echte Stiefvater ist und Georg Friedrich kein vorgeblicher Sportlehrer, sondern Schauspieler. Die Tränen sind aber echt. Der Bub habe gedacht, seine Mutter könne glauben, dass er Schnaps trinken würde, so begründete Seidl später, warum das Kind seine Fassung verloren hat. Andere Momente, über die zu lesen war, kommen nicht im Film vor, aber genau das ist es eben auch: In den Vorwürfen ging es nicht um den Filminhalt, sondern um die Herstellungsumstände des Films.

Regisseur zu „Sparta“-Vorwürfen

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl sorgte mit seinem neuen Film „Sparta“ im Vorhinein schon für heftige Kritik und Aufregung. Vor der Premiere bei der Viennale nahm der Regisseur Stellung zu den Vorwürfen.

Der Film ist jedenfalls zuvorderst ein Kinofilm und keine Ansammlung an Indizien für oder wider einen ordungsgemäßen Umgang, so nah Seidl an der Wirklichkeit auch ist, mit seinen Geschichten, den Drehorten und auch mit der Herkunft vieler seiner Laiendarsteller. „Wir haben in genau dem Milieu gedreht, weil der Inhalt bedingt hat, in einer Gegend zu drehen, die ökonomisch rückständig ist und in der ein Großteil der Väter das Jahr über im westlichen Ausland arbeitet“, so Seidl gegenüber ORF.at.

Zärtliche Männer

„Sparta“ handelt vom jüngeren Bruder jenes glücklosen Schnulzensängers namens Richie Bravo, den Michael Thomas in „Rimini“ fulminant mit Schmalz, Schweiß und Tränen verkörpert. Bei der Berlinale hatte der Film seine Premiere gefeiert und war im April bei der Diagonale mit dem Hauptpreis ausgezeichnet worden. Wie schon dort kommt auch in „Sparta“ der inzwischen verstorbene Michael Rehberg als gebrechlicher, dementer Vater vor, ein Mann, dem die in seiner Erinnerung goldene Nazi-Zeit näher ist als die Gegenwart seines Pflegeheims.

Sein Lieblingssohn Ewald, der in Rumänien lebt und den Friedrich als unendlich zärtlichkeitsbedürftigen Mann spielt, ist weniger robust als der ältere Bruder Richie. Ewald darf sich beim Besuchen sogar ins Pflegebett zu seinem Vater kuscheln, es ist das womöglich das erste Mal in seinem Leben, dass er ihm nah sein darf, ohne weggestoßen zu werden. Die Liebe, die Ewald sonst im Leben bekommen könnte, ist ihm körperlich unangenehm, so sehr er sich auch Mühe gibt, den Erwartungen seiner rumänischen Freundin (fantastisch: die Laiendarstellerin Florentina Elena Pop) zu entsprechen.

Gefährliches Begehren

Seine Sehnsucht wird erst wach, wenn er spielende Buben in Parks sieht. Manchmal schmuggelt er sich in eine Schneeballschlacht, flüchtet dann und weint am Steuer seines wuchtigen SUV. Mit Buben zu balgen ist das, was er sich wünscht, insgeheim will er noch viel mehr, doch es ist ein Begehren, dem er nie nachgeben darf. Irgendwann beginnt er aber doch, den Wunsch in die Tat umzusetzen, er kauft eine leer stehende alte Schule in einem ärmlichen Dorf, beginnt, sie zu einer Spielfestung umzubauen, und spricht Buben aus dem Dorf an, er biete Judo-Unterricht.

Diese Figur des Mannes aus dem Westen, der in Rumänien eine Bubenbande zum gemeinsamen Balgen verlockt, ist keine Drehbucherfindung. Seidl bezieht sich dabei auf eine Reportage, die er 2014 in einer deutschen Zeitung gelesen hatte. Dabei ging es um einen Mann aus Bayern, der sich in Dörfern in Siebenbürgen als Wohltäter bei Eltern von Buben vorgestellt hatte, er sei ein Sportlehrer und biete den Kindern gratis Kurse an.

Der Fall flog auf, weil der Täter die Buben beim Balgen und Plantschen fotografierte und filmte und die Bilder dann einer Onlineplattform anbot. Dabei wurde er von einem benachbarten Bauern beobachtet, der die Polizei einschaltete. Der kriminelle Aspekt interessiert Seidl in „Sparta“ jedoch nicht: „Für mich war das Thema, dass da jemand von seiner Neigung weiß, mit sich kämpft und versucht, damit zu leben.“

Filmhinweis

„Sparta“ wird im Gartenbaukino am 21.10. um 20.30 Uhr und am 22.10. um 12.30 Uhr gezeigt.
Der im Rahmen des ORF-Film-/Fernsehabkommens geförderte Film startet 2023 in den österreichischen Kinos.

Böser Bubensommer

Es ist ein Abenteuersommer, den Ewald für sich und die Kinder inszeniert, mit gemeinsamem Putzen der desolaten Schule, mit dem Bau einer Bubenfestung. Wäre da nicht der unstillbare Schmerz seines Begehrens, wäre es fast ein Idyll. „Sparta“ ist ein verzweifelter, zärtlicher Film, der gemeinsam mit „Rimini“ unter dem Titel „Böse Spiele“ geplant war und später den Arbeitstitel „Gladiatoren“ hatte, nach den übermütigen Gladiatorenspielen, die Ewald im Film mit den Buben aufführt, ganz so wie es auch der reale Täter getan hat.

„Verzagte Männer“ wäre auch ein angemessener Titel, um liebevolle und lieblose Vater-Sohn-Beziehungen geht es da, um leibliche, gewünschte, ersehnte, und eigentlich gar nicht so sehr um diesen Mann mit seiner brandgefährlichen Neigung. Dass auch so ein Film möglich sein muss, ist keine Frage. Dass in Badehose abgefilmte Buben, deren Körper vor der Kamera inszeniert werden, womöglich mulmige Gefühle verursachen können, ist aber nicht von der Hand zu weisen.

"Zu glauben, Laiendarsteller seien nicht gescheit genug, sich gegen mich zu wehren, ist einfach eine unfassbar arrogante Haltung. Keiner wird von mir vor die Kamera gezwungen“, so Seidl über seine Arbeit. Alle Eltern seien eingebunden gewesen, kennen inzwischen auch den Film, seien einverstanden und hätten auch nie Einwände gegen die Dreharbeiten gehabt. Was tatsächlich passiert ist, darüber sind sich offenbar auch die nicht einig, die dabei waren.