Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber
ORF.at/Sonia Neufeld
Interview

„Im Zweifel für den Selbstzweifel“

Nach einem Jahr Pause dürfen Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger ihren Job als Intendanten der Diagonale endlich wieder live vor Ort ausüben. Im Interview mit ORF.at erzählen sie, warum diese Ausgabe der Diagonale eine außergewöhnliche wird, dass sie keine polternden Intendanten werden wollen und worauf sie sich in dieser Woche in Graz am meisten freuen.

ORF.at: Wie geht es Ihnen in dieser turbulenten Zeit?

Sebastian Höglinger: Es geht uns mittlerweile zum Glück wieder gut. Man muss sagen, das letzte Jahr war tatsächlich turbulent und ziemlich viel Achterbahn, mit sehr viel Fallhöhe. Aber seit dem Moment, wo am Horizont wieder das Kino erkennbar wurde und wir wieder daran glauben konnten, dass das Festival – wenn auch mit Einschränkungen – stattfinden kann, hat sich im Team die Stimmung wieder zum Positiven gedreht. Jetzt ist man wieder in einer Phase, wo man von Festivalorganisation sprechen kann (lacht).

Sie haben gesagt, diese Diagonale wird ein außergewöhnliches Festival. Warum?

Peter Schernhuber: Naja, es war fordernd aufgrund der Gesamtsituation, die natürlich auch am gesamten Film- und Kulturbereich nicht unbemerkt vorbeigegangen ist. Da ist im letzten Jahr vieles ins Rutschen geraten, da hat sich vieles in der Filmproduktion geändert. Es blieb sozusagen kein Stein auf dem anderen. Und das merkt man auch den Filmen an, die wir jetzt auf der Diagonale zeigen dürfen in vielerlei Hinsicht.

Außergewöhnlich, weil wir das Festival ja nach wie vor mit großen Einschränkungen abhalten müssen und außergewöhnlich auch deswegen, weil man natürlich merkt, dass das vergangene Jahr Spuren in der Gesellschaft hinterlassen hat, die weit über die eigentliche Pandemie hinausgehen. Da geht’s um Fragen von Öffentlichkeit, Fragen von Vertrauen, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen. Und das spürt man auf der Leinwand und man wird es wahrscheinlich auch vor der Leinwand merken. Alles in allem wird das Festival hoffentlich außergewöhnlich im positivsten Sinn.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber
Diagonale/Sebastian Reiser
„Man merkt den Filmen an, dass kein Stein auf dem anderen blieb“

Warum haben Sie „Fuchs im Bau“ als Eröffnungsfilm gewählt?

Höglinger: „Fuchs im Bau“ ist für uns der stimmige Startpunkt fürs Festival, weil es intelligentes und unterhaltsames Kino ist, nach dem wir uns sehr gesehnt haben. Dieser Film ist tatsächlich eine Überraschung, und es ist ja nicht schlecht, wenn man mit einer Überraschung ins Festival einsteigt. Wir haben ja eine gewisse Affinität zu Coming-of-age-Geschichten, wenn es auch in diesem Fall eine unter ganz anderen Vorzeichen ist. Wir möchten diesem Film Rückenwind geben, wir haben aber auch das Gefühl, dass der Film der Diagonale Rückenwind gibt.

Der Diagonale-Schauspielpreis geht dieses Jahr an Christine Ostermayer. Wie kam die Entscheidung zustande?

Schernhuber: Der Preis wird immer von der Schauspieljury vergeben. Wir waren sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Und Sebastian hatte das Glück, das wahrscheinlich schönste Telefonat der heurigen Diagonalevorbereitung mit Christine Ostermayer zu führen, weil sie gemeint hat, wir machen uns lächerlich mit dieser Entscheidung, wenn wir ihr den Preis geben. Wir sehen das natürlich nicht so. Und können die Begeisterung der Jury nur teilen und freuen uns wahnsinnig, dass sie extra aus München anreisen und den Preis hier entgegen nehmen wird. Es wird ein Kunstwerk von Verena Dengler sein. Und auch das ist immer ein sehr, sehr schöner Moment, wenn Künstlerinnen auf andere Künstlerinnen treffen.

Höglinger: Ihr Witz und ihre Selbstkritik, die nicht nur kokett sind, sondern auch eine gewisse emotionale Ehrlichkeit haben, das ist schon bewundernswert.

Sie sind bekannt für Ihre Reden, die mitunter durchaus kritisch und politisch sind. Spüren Sie dadurch manchmal Gegenwind?

Höglinger: Ich weiß jetzt gar nicht, ob das alle unterschreiben würden, dass wir keine Schleimer sind (beide lachen). Bisher haben wir keinen groben Gegenwind wahrgenommen. Ich glaube, wir sind halt in einer Position, wo man nie alle glücklich machen kann.

Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber
Diagonale/Theresa Wey
„Wir sind in einer Position, wo man nie alle glücklich machen kann“

Schernhuber: Der Punkt ist ja, dass es überhaupt nicht ausgemacht ist, dass wir mit unserer Haltung Recht haben. Und das auch nie beanspruchen. Und die Diagonale ist auch immer ein Ort, wo es stark um Konfrontationen geht, den direkten Austausch und mitunter auch Streit. Und solange man das respektvoll miteinander austrägt, ist da glaube ich sehr viel gewonnen. Das ist auch ein Stück weit das, was wir mit dem gesamten Festival erreichen wollen. Gerade im letzten Jahr, wo ja eine gewisse Form von Öffentlichkeit weggebrochen ist und vieles dann nur noch auf Social Media stattgefunden hat, hat man auch sehr stark gemerkt, was da ins Rutschen gerät und was da fehlt, wenn die direkte Konfrontation und der direkte Streit eben nicht mehr stattfinden und das alles ins Persönliche abrutscht. So gesehen ist es gut, wenn da auch Widerspruch kommt.

Höglinger: Und ich glaube, was wir nicht so verkörpern, ist so eine polternde Selbstsicherheit. Ich glaube, es war die erste Rede, wo wir wie immer Tocotronic bemüht haben (Anm.: „Im Zweifel für den Zweifel“), aber im Zweifel hoffen wir, dass dieser Selbstzweifel ein Stück mitschwingt, wo wir wieder bei Christine Ostermayer wären.

Schernhuber: Wenn wir irgendwann mal polternde Intendanten sind, dann muss uns das wer sagen, dann müssen wir gehen.

Worauf freuen Sie sich abseits des Filmprogramms am meisten?

Höglinger: Ich freue mich tatsächlich am meisten auf die Begegnungen mit Menschen und auf die Frage „Was hast du gerade gesehen, und wie war’s?“ statt „Wie geht’s dir wegen Corona?“. Der verengte Covid-Blick und das Monothematische sind schon sehr zäh und das Kino kann mehr denn je dabei helfen, den Blick wieder zu weiten.

Schernhuber: Ich kann mich nur anschließen. Nach einem Jahr, in dem man immer dieselben Personen getroffen hat, freue ich mich auf die Menschen, die man jetzt noch nicht kennt und in einer Woche kennengelernt haben wird.