Bücher von Peter Handke
APA/Hans Klaus Techt
Literaturnobelpreis für Handke

Begeisterung und kritische Töne

Als Geheimtipp für den Literaturnobelpreis hat Peter Handke schon lange gegolten. Am Donnerstag wurde die wichtigste literarische Auszeichnung der Welt dann tatsächlich an den 76 Jahre alten Autor vergeben. Unter die Begeisterung für Handkes Triumph mischte sich auch Kritik – vor allem an Handkes Haltung im Jugoslawien-Konflikt.

Österreichs Staatsspitze würdigte Handke am Donnerstag. „Ein ‚geglückter‘ Tag – jedenfalls für die österreichische Literatur, für die Literatur überhaupt“ – ist die Nobelpreisvergabe an Handke für Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Die Formulierung ist eine Anspielung auf Handkes 1991 erschienenes Buch „Versuch über den geglückten Tag: ein Wintertagtraum“. Mit Handke habe „ein Autor den Nobelpreis gewonnen, dessen leise und eindringliche Stimme seit Jahrzehnten Welten, Orte und Menschen entwirft, die faszinierender nicht sein könnten“, hieß es in einer Aussendung des Bundespräsidenten.

Handke „leuchtet die Zwischenräume des Daseins aus und wirft einen behutsamen Blick auf das Fühlen und Denken seiner Figuren. In einem Ton, der schnörkellos und doch einzigartig ist, lässt er uns, die Leserinnen und Leser, an seiner Welt und Sprache teilhaben“, sagte Van der Bellen. „Wir haben Peter Handke viel zu verdanken. Ich hoffe, er weiß das.“ „Höchst verdient und eine würdige Anerkennung für ein literarisches Ausnahmetalent“ ist Handkes Auszeichnung für Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Kulturminister Alexander Schallenberg. „Handke hat Generationen von Leserinnen und Lesern bewegt“, hieß es in einer Aussendung.

Schriftsteller Peter Handke
Reuters/Christian Hartmann
Durch den Anruf von der Schwedischen Akademie rückte Handke am Donnerstag schlagartig ins Scheinwerferlicht

„Zeitlose Bereicherung“

„Eine wertvolle & zeitlose Bereicherung sowie eine wichtige Visitenkarte für Österreich in der Welt“ nannte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Handkes Werk. „Seine Auseinandersetzung mit Sprache, die ein wesentlicher Ausdruck von Kultur und Werten ist, ist bis heute ein Meilenstein in der Literaturgeschichte“, so Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Für SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda ist die Entscheidung für Handke „die längst fällige Anerkennung für einen der wichtigsten deutschsprachigen Autoren und Dramatiker als Literat von Weltrang. Sprache ist sein Instrument zur Erfahrung und Vermittlung der Welt, mit der er sich immer kritisch auseinandersetzt.“ Der Schriftsteller sei ein manchmal auch umstrittener politischer Künstler, etwa durch seine Unterstützung für den serbischen Politiker Slobodan Milosevic: „Ein kritischer, streitbarer österreichischer Künstler, der sich den Nobelpreis – für den er schon einige Jahre im Gespräch war – absolut verdient hat“, so Drozda.

Gemischte Reaktionen wegen proserbischer Haltung Handkes

Während vor allem in Österreich die positiven Reaktionen auf den Literaturnobelpreis für Handke überwiegen, waren nicht zuletzt aus dem ehemaligen jugoslawischen Raum negative Stimmen zu erwarten.

„Cestitamo zelo toplo!“, gratulierte die künftige grüne Nationalratsabgeordnete und „leidenschaftliche Handke-Leserin“ Eva Blimlinger auf Slowenisch. Handkes Mutter ist Kärntner Slowenin. Gemeinsam mit Jelinek zählten Handkes Werke zur Weltliteratur, so Blimlinger. NEOS-Kultursprecher Sepp Schellhorn bezeichnete Handke als „außergewöhnlichen Schriftsteller, der noch nie mit dem Strom geschwommen ist und immer seinen eigenen Weg gegangen ist, sowohl inhaltlich als auch sprachlich“.

„Zweites historisches Ereignis“ für Kärnten

Freude herrschte auch beim Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ). Die Erfolgsmeldung passe auf den Landesfeiertag und sei „das zweite historische Ereignis am 10. Oktober für ganz Kärnten“, hieß es in einer Aussendung.

Handke war 2018 mit dem Kärntner Landesorden in Gold ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung hatte im Vorfeld allerdings für Debatten und sogar eine Richtlinienänderung gesorgt. Da der Landesorden in Gold nämlich vornehmlich Politikern vorbehalten war, hätte Handke „nur“ den Landesorden in Silber erhalten sollen. Nach einer breiten öffentlichen Diskussion war die Verleihung von Ehrenzeichen neu geregelt worden.

„Durch eine unglaubliche Fülle an Werken sowie seine unvergleichbare poetische Sprache hat Handke dem ‚Gewicht der Welt‘ Ausdruck verliehen“, meinten der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (beide SPÖ).

Jelinek: „Höchste Zeit“

Elfriede Jelinek, die 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, zeigte sich begeistert über die Vergabe der Auszeichnung an Handke. „Großartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen“, so die Autorin. Für Jelinek war es „höchste Zeit!“ Sie freue sich auch, dass die Auszeichnung an jemanden gehe, „auf den sie in Österreich endlich stolz sein werden“. Ähnliches war auch vom deutschen Suhrkamp Verlag zu hören. „Der Verlag freut sich riesig“, sagte eine Sprecherin.

Sehr erfreut zeigte sich auch Autorin Julya Rabinowich auf Twitter: „Ich hab mich beim Handke!!!! Tweeten gefühlt wie andere beim Tor!!!! schreien“, ließ sie wissen und bemerkte abschließend: „Ich hätte auch gern für Ljudmila Ulitzkaja Tor!!!!! geschrien.“ Die Russin war zuletzt ebenfalls als aussichtsreiche Kandidatin für die Auszeichnung gehandelt worden. „Es freut mich außerordentlich. Der größte Poet unserer Sprache hat den Preis bekommen“, sagte der Literat Michael Köhlmeier.

Für den ehemaligen Burgtheater-Direktor Claus Peymann ist der Nobelpreis für Handke „die schönste Nachricht“. „Die Heldinnen und Helden seiner Romane und seiner Stücke begleiten uns weiter, auch nachdem wir die Bücher zugeklappt und die Theater verlassen haben. Das Theater verdankt ihm viel – ich verdanke ihm viel! –, und auch deshalb macht die Nachricht vom Nobelpreis Mut und Hoffnung“, so Peymann. Der deutsche Filmemacher Wim Wenders, für den Handke das Drehbuch zu „Der Himmel über Berlin“ geschrieben hatte, widmete dem Schriftsteller eine Laudatio. „Wer sonst? Wer sonst hat die Sprache so ernst genommen als seine Lebensaufgabe? Wer sonst hat sie uns dabei immer als unser Eigenstes ans Herz gelegt?“, schrieb Wenders, um sich selbst die Antwort zu geben: „Wer sonst als Du, Peter?“

„Skandalös, grotesk, beschämend“

Unter die Begeisterung mischten sich kritische Stimmen. Die Botschafterin des Kosovo in den USA, Vlora Citaku, nannte die Entscheidung der Schwedischen Akademie „skandalös, grotesk und beschämend“. Handke ist bis heute wegen seiner politischen Ansichten zu den Jugoslawien-Kriegen (1991–1999) umstritten.

1996 kam es nach der Veröffentlichung von Handkes Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ zu heftigen Kontroversen. Wegen der Haltung des Vatikans im Kosovo-Krieg trat Handke 1999 aus der römisch-katholischen Kirche aus und zur serbisch-orthodoxen Kirche über. Zu den umstrittensten Auftritten des Schriftstellers zählte 2006 seine demonstrative Teilnahme am Begräbnis des serbischen Ex-Präsidenten Milosevic, dem vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal der Prozess gemacht worden war.

Literaturkritiker Kastberger zum Handke-Nobelpreis

Literaturprofessor Klaus Kastberger erläutert seine Einschätzung zur Entscheidung der Schwedischen Akademie, Peter Handke den Literaturnobelpreis 2019 zu verleihen.

Scharfe Kritik kam vom Außenminister Albaniens, Gent Cakaj. „Was für einen absurden und schamvollen Akt erleben wir im Jahr 2019!“, sagte Cakaj. „Als passionierter Anhänger der ewigen Kraft der Schönheit der Literatur zur Bereicherung der menschlichen Erfahrung und als Opfer ethnischer Säuberungen und von Genozid bin ich entsetzt über die Entscheidung, den Nobelpreis für Literatur an einen Genozidleugner zu verleihen“, so der albanische Außenminister.

Aus Serbien, wo Handke bereits vielfach ausgezeichnet wurde, kamen Glückwünsche für den „großen Freund der Serben“. In einem Interview mit dem serbischen Fernsehen hatte sich Handke heuer abermals kritisch über den NATO-Einsatz im Kosovo-Krieg vor 20 Jahren geäußert: „Die, die bombardiert und Tausende Menschen getötet haben, gehören nicht zu Europa und dem Planeten Erde.“

„Literarisches Gesamtwerk“ setzte sich durch

„Die politische Korrektheit hat eine krachende Ohrfeige erhalten, eine Niederlage erlitten“, sagte der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck mit Blick auf Handke. Dieser sei einer der großen Provokateure – er beweise, dass man sich politisch total verlaufen und gleichzeitig Weltliteratur schreiben könne. Handke sei ein „würdiger Preisträger“.

Der Grazer Germanist und Handke-Experte Klaus Kastberger betonte unterdessen nicht nur Handkes Vielseitigkeit („Es ist da mit Sicherheit für jeden etwas dabei“), sondern auch, dass sich angesichts der teils kritisierten Äußerungen zu Jugoslawien letztlich doch noch das „literarische Gesamtwerk“ des Kärntners durchgesetzt habe.

„Mache weiter, als ob nichts gewesen wäre“

„Ich war extrem erstaunt, unglaublich überrascht“: Mit diesen Worten reagierte Peter Handke auf den ihm zugesprochenen Literaturnobelpreis. Er werde nun aber auch weitermachen, „als ob nichts gewesen wäre“.

„Von Peter Handke wurde bisher gesagt, dass er mit seinen Äußerungen zu Jugoslawien den Nobelpreis verspielt hätte. Jetzt hat er ihn, aber was heißt das? Dass in den Überlegungen der Jury letztlich doch sein literarisches Gesamtwerk obsiegt hat“, so Kastberger. „Tatsächlich gibt es viele Handkes, und es ist da mit Sicherheit für jeden etwas dabei: der frühe Sprachrebell auch gegen die Gruppe 47, die Kultbücher der 70er Jahre über die eigene Mutter und Amerika; die vollständige Wende ins Innere mit langsamer Heimkehr; die Journale und Versuche; das österreichische Staatsdrama ‚Immer noch Sturm‘ in Form einer Familienaufstellung.“

Gespräch über Handke

Jochen Jung, Martin Schwab, Bernhard Fetz und Daniela Strigl sprechen über Peter Handkes Gewinn des Literaturnobelpreises.

Gegen die „marktgängige Literatur“

Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl betonte in der Zeit im Bild die Bedeutung der Handke-Entscheidung für die Literatur an sich: „Es ist schon auch über Österreich hinausgehend ein Preis, der eine Literatur der Bedächtigkeit und Langsamkeit stark macht, gegen eine marktgängige Literatur des flotten Erzählens.“