Ortsansicht von Ischgl
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Klägeranwalt

Ischgl-Bericht „Wasser auf unsere Mühlen“

Die politische Aufarbeitung der Causa Ischgl ist das eine. Parallel dazu sind aber auch vier Amtshaftungsklagen des Verbraucherschutzvereins (VSV) gegen die Republik in der Causa Ischgl anhängig. Für den Klägeranwalt ist der am Montag präsentierte Bericht der Expertenkommission jedenfalls „Wasser auf unsere Mühlen“.

Denn die Kommission habe im Zusammenhang mit dem Coronavirus-Cluster im Skiort, der zu einer Verbreitung in viele Länder führte, „zahlreiche Versäumnisse“ der Behörden auf allen Ebenen – von der Gemeinde bis hin zur Bundesregierung festgestellt, so der Wiener Anwalt Alexander Klauser gegenüber ORF.at.

Schon vor dem Urlauberschichtwechsel am Samstag, dem 7. März, hätten die Behörden – etwa durch die isländische Meldung – Kenntnis von Covid-19-Erkrankungen gehabt. Man hätte daher die Anreise Tausender Urlauberinnnen und Urlauber damals durch entsprechende Warnungen verhindern können und damit die Gefahr weiterer Ansteckungen, so Klauser. Dann seien in der Woche vom 7. bis 13. März unabweislich Fälle aufgetaucht, etwa im Lokal „Kitzloch“. Trotzdem sei die Verordnung, den Liftbetrieb zu stoppen, mit zweitägiger Verspätung erfolgt, so Klauser.

Lydia Ninz (VSV), Blogger Sebastian Reinfeldt, Rechtsanwalt Alexander Klauser und Verbraucherschutzverein (VSV)-Obmann Peter Kolba
APA/Herbert Neubauer
VSV-Obmann Peter Kolba (ganz rechts) und Alexander Klauser (2. von rechts) bei der Präsentation der Klagen

„Bezirksbehörde ins Handwerk gepfuscht“

Und drittens habe die Expertenkommission Fehler beim Abreisemanagement festgestellt. Hier habe Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit seiner Ankündigung am 13. März um 14.00 Uhr, dass über das Paznauntal und St. Anton mit sofortiger Wirkung Quarantäne verfügt werde, für Chaos gesorgt. Der Anwalt der vier Klagsparteien spitzte es so zu: „Kurz pfuschte der Bezirksbehörde ins Handwerk.“ Denn juristisch zuständig für die Verhängung der Quarantäne sei die Bezirkshauptmannschaft als mittelbare Gesundheitsbehörde.

Kolba: „Klar sein Vergehen“

Auch VSV-Obmann Peter Kolba betonte, des Kanzlers Reaktion auf den Bericht lege nahe, dass er offenbar einem Irrtum unterliege – nämlich dass, wenn er etwas anordne, die Behörde das zu tun habe. Doch sei er für die Verhängung der Quarantäne nicht zuständig. Das folgende Chaos bei der Abreise sei daher „klar sein Vergehen“.

Und Kolba sagte auch unter Verweis auf die Reaktionen von Kanzler Kurz und Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP): Diese seien nicht dazu angetan, das Vertrauen der Winterurlauber wiederzugewinnen.

Die Quarantäne galt nur für die einheimische Bevölkerung. Alle Touristen wurden aufgefordert, die davon betroffenen Orte zu verlassen. Die Ankündigung führte zu chaotischen Zuständen. Denn die Urlaubenden versuchten, Ischgl möglichst rasch zu verlassen – nicht wenige von ihnen mussten dann aber etwa in Innsbruck auf ihren Flug, der erst am nächsten Tag ging, warten. Das habe, so Klausers Vorwurf, das Risiko einer Ansteckung und der Verbreitung der Epidemie erhöht.

Kurz rechtfertigt sich für Ischgl-Krisenmanagement

Bundeskanzler Kurz (ÖVP) spricht angesichts des kritischen Reports der „Ischgl-Kommission“ von einer Ausnahmesituation im März 2020, in der schnelle Entscheidungen gefragt waren.

Kurz verteidigt sich

Die Erkenntnisse der Kommission werden derzeit von allen Seiten, nicht zuletzt den verschiedenen politischen Playern, in ihrem Sinne interpretiert. Die Opposition in Tirol und im Bund attackiert die politischen Entscheidungsträger. Diese beteuern wiederum, im Wesentlichen korrekt vorgegangen zu sein.

Aus Regierungskreisen wurde gegenüber ORF.at betont, man müsse zwischen dem Behördenweg und der Kommunikation unterscheiden. Natürlich sei Kurz nicht zuständig für die Umsetzung des Epidemiegesetzes. Es sei auf behördlicher Ebene von Bezirk über Land bis zu den zuständigen Ministerien die Quarantäneverhängung abgeklärt worden. Zugleich habe angesichts der Ausnahmesituation Einigkeit darüber bestanden, dass die Entscheidung nur von einer Stelle und zentral von Wien aus kommuniziert werden solle.

Kurz selbst hatte sich am Dienstag erneut verteidigt und betont, alle Entscheidungen seien stets mit den zuständigen Behörden abgestimmt gewesen – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Kläger sehen Fahrlässigkeit und bedingten Vorsatz

Die Vorwürfe in den eingereichten Klagen gehen noch über die im Expertenbericht erhobene Kritik – dieser enthält keine Schuldzuweisungen – hinaus. In den Klagen wird den Behörden nicht nur vorgeworfen, fahrlässig gehandelt zu haben, sondern auch mit „bedingtem Vorsatz“. Es sei „Druck von Lobbyisten aus dem Bereich des Tourismus, insbesondere aus Kreisen der Seilbahnwirtschaft, der Hotellerie und der Gastronomie“ ausgeübt worden.

Einzelne Behörden hätten es in Kauf genommen, dass Menschen dadurch gefährdet worden seien, so die Klagsschrift. Bei bedingtem Vorsatz sei der Strafrahmen höher als bei Fahrlässigkeit – und auch die Schadenansprüche würden sich entsprechend erhöhen, so Klauser.

Nach der Einreichung der Klagen Ende September läuft derzeit eine vierwöchige Frist, in der die Finanzprokuratur zur Klage Stellung nehmen muss. Kolba rechnet damit, dass Anfang November ein erster Verhandlungstermin feststehen könnte. Beantragt wurde die Einvernahme der beteiligten Politiker, inklusive Bundeskanzler. Klauser betonte, man wolle weitere Klagen einbringen. Ziel des VSV ist es, die Republik zu Verhandlungen und Schadenersatzzahlungen zu bringen, um jahrelange Verfahren zu vermeiden.