Pressekonfernz von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Herbert Neubauer
Harter Lockdown ab Dienstag

„Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel“

Der harte Lockdown wird ab Dienstag Realität – und betroffen sind wie im Frühjahr viele Bereiche. Bis auf ein paar Ausnahmen, etwa Lebensmittelgeschäfte und Apotheken, schließt der Handel. Die Schulen werden komplett auf Fernunterricht umgestellt. Ebenfalls schließen müssen alle persönlichen Dienstleister wie Frisöre und Masseure. Zudem gelten Ausgangsbeschränkungen nun rund um die Uhr.

Weil die Zahlen mit dem bereits seit zwei Wochen geltenden „Lockdown light“ nicht sinken, sondern weiter steigen, mache das eine Verschärfung notwendig, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Pressekonferenz der Regierungsspitze am Samstagnachmittag. Die Verordnung tritt mit Dienstag, 0.00 Uhr in Kraft und gilt bis Sonntag, 6. Dezember, 23.59 Uhr.

„Meine eindringliche Bitte für die nächsten Wochen ist: Treffen Sie niemanden! Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel“, so Kurz. Er appellierte insbesondere an jene, die alleine leben, sich möglichst nur eine Person auszuwählen, die sie treffen. „Ich weiß, dass diese Maßnahmen extrem einschneidend sind. Wir wollen aber, dass er (der Lockdown, Anm.) wirkt“, sagte der Kanzler.

„Wollen Familienfeste verhindern“

Die Kontaktbeschränkungen bleiben wie erwartet: In der Verordnung heißt es dazu, Kontakte außerhalb des eigenen Haushaltes sind nur zulässig mit „dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebenspartner“, mit „einzelnen engsten Angehörigen“ sowie mit „einzelnen wichtigen Bezugspersonen, mit denen in der Regel mehrmals wöchentlich Kontakt gepflegt wird“.

Die Empfehlung von Kurz, sich möglichst nur mehr mit einer Person zu treffen, ist nicht explizit in der Verordnung festgeschrieben. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sagte dazu in der ZIB2, die Passage sei so zu verstehen, dass Treffen mit engen Angehörigen „als Einzelperson“ stattfinden sollen. „Wir wollen verhindern, dass es wieder zu Familienfeierlichkeiten, zu Familienfesten kommt.“ Ziel sei eine „massive Reduktion der Kontakte“.

Anschober: „Wir können uns keine Verzögerung mehr leisten“

Die befürchtete zweite Welle im Herbst sei eskaliert, so Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). „Die zweite Welle ist gewaltiger und dynamischer als die erste Welle im Frühling.“ Die Lage im Land sei dramatisch. Anschober erklärt die Notwendigkeiten der Maßnahmen.

Verlassen des Wohnraums nur aus triftigen Gründen

Das Verlassen des privaten Wohnraums ist nur aus triftigen Gründen erlaubt – es sind die bereits bekannten Ausnahmen:

  • Ausübung von beruflichen Zwecken und Ausbildungen
  • Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens (Einkäufe) und die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen
  • Betreuung bzw. Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen sowie die Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten
  • Körperliche und psychische Erholung
  • Unaufschiebbare Behörden- oder Gerichtsgänge
  • Abwendung von unmittelbaren Gefahren für Leib, Leben und Eigentum

Statement von Kanzler Kurz

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) über notwendige Maßnahmen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Schulen werden auf Fernunterricht umgestellt

Auch Schulen werden bis inklusive 6. Dezember auf Fernunterricht umstellen, und es wird eine Betreuung (und keinen Unterricht) in den Schulen geben. Auch in Kindergärten wird es weiterhin eine Betreuungsmöglichkeit geben, für alle, die eine Betreuung brauchen, sagten Kurz und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) unisono.

„Kindergärten und Schulen bleiben für die, die sie brauchen, offen“, so Kogler. Viele würden das in Anspruch nehmen müssen, das sei auch notwendig für viele, die lebensnotwendige Arbeit verrichten würden. An den Sonderschulen wird es auch in den kommenden drei Wochen Präsenzunterricht geben.

Kogler sagte, dass aber nicht nur jene, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, ihre Kinder zur Betreuung schicken können, sondern auch jene, die im Homeoffice überfordert sind: „Da kann es in Ausnahmefällen schon auch dazu kommen, dass das auch genutzt werden muss.“ Die Kinder würden jedenfalls „nicht nur weiter gut betreut, sondern auch dort beim Lernen dann unterstützt“.

Statement von Vizekanzler Kogler

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) über notwendige Maßnahmen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Kurz versicherte, dass Handel und Schulen als Erste wieder öffnen würden. Niemand wolle Schulschließungen, aber nun sei diese Maßnahme schlichtweg notwendig, um die Pandemie einzudämmen. Es stimme nicht, dass die Schulen eine geringe Rolle in der Pandemie spielten.

Handel bekommt 20 bis 60 Prozent Umsatzverlust ersetzt

Schließen müssen alle persönlichen Dienstleister. Das betrifft etwa Friseure, Kosmetikerinnen und Masseure. Überall, wo es möglich ist, soll auf Homeoffice umgestellt werden, sagte Kurz. Weiter offen hat neben dem gesamten Lebensmittelhandel, Post, Trafiken und Apotheken der Agrar- und Tierfutterhandel, Tankstellen, Handyshops, Abfallentsorger, Putzereien und Fahrrad- bzw. Kfz-Werkstätten. Die Öffnungszeiten bleiben auf 6.00 bis 19.00 Uhr limitiert.

Pressekonfernz von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Herbert Neubauer
Die Regierungsspitze aus ÖVP und Grünen bei der Pressekonferenz

Jene Geschäfte, die schließen müssen, werden einen Teil des Umsatzverlusts durch den Lockdown ersetzt bekommen, so Kogler. Allerdings werden nicht so viele Ausfälle wie in der Gastronomie kompensiert, wo man zuletzt 80 Prozent festgelegt hatte. Im Handel werden es je nach Branche zwischen 20 und 60 Prozent sein.

Anschober: Zweite Welle „gewaltiger und dynamischer“

Die befürchtete zweite Welle im Herbst sei eskaliert, sagte Anschober bei der Pressekonferenz. „Die zweite Welle ist gewaltiger und dynamischer als die erste Welle im Frühling.“ Die Lage im Land sei dramatisch, die Zahl der Neuinfektionen steige seit zirka 23. Oktober „fast explosionsartig“. Darum müsse man nun die Notbremse ziehen. „Wenn wir jetzt nicht handeln, werde es zu Situationen der Triage in den Spitälern kommen“, so Anschober.

„Enormer Eingriff ins Grundrecht“

Im ZIB2-Interview verteidigte Anschober den zweiten Lockdown: Es handle sich zwar um einen enormen Eingriff ins Grundrecht der Bevölkerung, doch „wir wissen, dass es in vielen Spitälern schon sehr knapp ist und wir uns keine Zeitverzögerung mehr leisten können.“ Die „Extremzuwächse“ seien reduziert worden, aber das sei noch zu wenig, so Anschober. Zu den Vorwürfen der Opposition sagte er, dass „sehr intensiv an der Vorbereitung gearbeitet worden“ sei – „von Gesundheitsbehörden bis zu Spitalsverantwortlichen“.

Die Situation in den Intensivstationen wird laut Anschober auch mit ausschlaggebend für die Beendigung des Lockdowns sein. „Der Zulauf zu den Intensivstationen muss geringer sein als der Abgang.“ Außerdem müsse der Reproduktionsfaktor sinken – von aktuell 1,2 auf deutlich unter eins. Das würde bedeuten, dass jeder Infizierte nur noch weniger als eine weitere Person ansteckt.

Statement von Gesundheitsminister Anschober

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) über notwendige Maßnahmen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Ein halbwegs reguläres Weihnachten sei möglich, wenn der Lockdown in den nächsten Wochen greife und die Zahlen wieder zurückgehen. Anschober sagte, er spüre wieder Anzeichen eines Gemeinschaftsgefühls und die Stimmung einer Solidarität wie im Frühling. „Wir alle entscheiden“, wie es mit der Pandemie in Österreich weitergeht, so der Gesundheitsminister.

Nehammer: „Es zipft jeden an“

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) dankte den Polizistinnen und Polizisten dafür, die Verordnungen durchzusetzen und Kontrollen durchzuführen. Auch jetzt seien sie wieder im Einsatz, um eine Senkung der Infektionszahlen herbeizuführen. Es brauche wieder den gemeinsamen Schulterschluss von März und April. Es gehe darum, weniger Kontakte zu haben. Eines sei klar, „es zipft jeden an“, zugleich sei es aber nötig. Es gelte darum, gemeinsam in die Normalität zurückzufinden.

Statement von Innenminister Nehammer

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) über notwendige Maßnahmen, um die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

Nicht überall werde die Polizei bis ins kleinste Detail kontrollieren können, sagte Kurz. „Daher mein Appell, je stärker wir zusammenhalten, desto kürzer wird der Lockdown anhalten.“ Es sei aber nicht vorauszusehen, wie viele Menschen mitmachen. Andere Länder mussten monatelang in einem Lockdown verharren, weil die Menschen undiszipliniert waren. Daher der Appell von Kurz: „Machen Sie mit!“ Je weiter die Zahlen fallen, desto leichter werde es fallen, wieder Öffnungsschritte zu setzen.

Kogler: Sind uns bewusst, „dass das eine Zumutung ist“

Verständnis für Ärger und Unmut in der Bevölkerung zeigte auch Kogler: „Unser Leben wird für die kommenden zweieinhalb Wochen zum zweiten Mal im Jahr wieder drastisch eingeschränkt.“ Der Bundesregierung sei bewusst, „dass das eine Zumutung ist“. Aber es gehe um das Leben der Nachbarin, des Onkels, der Oma „und vielleicht um Ihr eigenes Leben“. „Bleiben Sie bitte so gut es geht zu Hause. Bis auf die Ausnahmegründe, gerade was Bewegung betrifft“, so der Sportminister.

Die Enge eines Lockdowns könne auch zu Überforderung und Spannung innerhalb von Familien führen, so Kogler. Er appellierte, Angebote zu nutzen, um Konflikte zu verhindern. Dennoch sei das Einhalten der Maßnahmen wichtig: „Bleiben Sie bitte so gut es geht zu Hause, reduzieren Sie Ihre physischen Kontakte.“ Für die nächsten zwei bis drei Wochen solle auf Treffen verzichtet werden, so Kogler.

Ordinationen uneingeschränkt geöffnet

Die Ordinationen bleiben uneingeschränkt geöffnet. Das betonte die Ärztekammer und wies zugleich auf die „unbedingte“ Notwendigkeit von Terminvereinbarungen hin. Begleitpersonen sollten nur nach Rücksprache in die Ordination mitkommen. Ein gut organisiertes Terminmanagement – auch auf elektronischem Weg – garantiere, dass sich möglichst wenige Patientinnen und Patienten gleichzeitig in den Warteräumen der Ordinationen befänden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Kirche zieht beim Lockdown mit

Die katholische Kirche setzt während des neuen Lockdowns die öffentlichen Gottesdienste befristet aus. Das kündigte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Salzburgs Erzbischof Franz Lackner, an. Die näheren Details sollen nach Gesprächen mit den anderen Kirchen und Religionsgesellschaften festgelegt werden, die am Montag stattfinden sollen – mehr dazu in religion.ORF.at.

Hauptausschuss muss neuen Lockdown noch absegnen

Der Hauptausschuss des Nationalrats wird am Sonntag um 18.00 Uhr zusammentreten, um den neuen Lockdown abzusegnen. Es reichen dafür die Stimmen der Regierungsfraktionen ÖVP und Grüne. Die Ausgangsregeln und die Bestimmungen für den Veranstaltungsbereich müssen im Hauptausschuss nach zehn Tagen wieder bestätigt werden, daher sollen sie vorerst nur bis 26. November gelten.