Ein Schüler beim Betreten des Schulgebäudes
APA/Helmut Fohringer
Coronavirus

Kinder als Spiegel der Erwachsenenwelt

In Österreich und vielen anderen Ländern zirkuliert das Coronavirus derzeit besonders stark unter Kindern und Jugendlichen. Inwieweit das mit der ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7 zusammenhängt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Immer deutlicher zeigt sich dafür, dass das Infektionsgeschehen in der Erwachsenenwelt sich bei den Jungen und Jüngsten widerspiegelt.

In keiner Altersgruppe ist die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner hierzulande derzeit höher als bei den 15- bis 24-Jährigen und den Fünf- bis 14-Jährigen. Ähnliches lässt sich aktuell etwa auch im Vereinigten Königreich und in Italien beobachten. In beiden Ländern kursiert die erstmals im Süden Englands entdeckte Virusvariante B.1.1.7 stark. „Die britische Variante hat die besondere Fähigkeit, sich stark in der jungen Generation zu verbreiten“, sagte Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza. In Regionen, die besonders vom Erreger betroffen sind – den roten Zonen –, bleiben die Schulen vorläufig bis 6. April geschlossen.

Ob B.1.1.7 Kinder und Jugendliche tatsächlich stärker trifft als Erwachsene, sei wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt, sagt der Mikrobiologe Michael Wagner von der Uni Wien gegenüber ORF.at. Wagner ist wissenschaftlicher Koordinator der PCR-Gurgelstudie, deren dritte Runde seit vergangener Woche in den österreichischen Schulen läuft. In den ersten beiden im Herbst durchgeführten Durchgängen zeigte sich laut Wagner, dass Kinder und Jugendliche eine ähnlich hohe Viruslast im Rachen tragen wie Lehrkräfte. „Wenn wir die Sechs- bis 14-Jährigen zusammennehmen, dann ist die Viruslast im Durchschnitt nicht unterschiedlich zu jener der Lehrer“, so Wagner. Bei jüngeren Kindern seien dagegen etwas niedrigere Viruslasten als bei älteren gemessen worden.

Übertragung: Viruslast nur einer von mehreren Faktoren

Die Funde decken sich mit den Ergebnissen internationaler Untersuchungen. Bei Kindern verläuft eine CoV-Infektion häufiger asymptomatisch als bei Erwachsenen. Trotzdem können sie große Mengen Virus in sich tragen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Spanien kam zu dem Schluss, dass die Viruslast bei infizierten Kindern ebenso hoch wie bei Erwachsenen war. Und: Zwischen asymptomatischen und symptomatischen zeigten sich keine Unterschiede, was die Viruslast betrifft.

„Es besteht kein Zweifel daran, dass Kinder ansteckend sein können“, sagt Wagner, „die Frage ist, wie ansteckend.“ Die Viruslast sei nämlich nur einer von vielen Faktoren bei der Übertragung des Erregers. Maßgeblich ist auch die Stärke des Aerosol- und Tröpfchenausstoßes. „Das variiert schon bei Erwachsenen extrem“, so Wagner. Aerosole mit infektiösem Material gelangen nicht nur beim Niesen oder Husten in die Luft. Auch lautes Singen und Schreien – wie es Kinder gerne tun – erhöhen den Ausstoß. Allerdings haben Kinder ein kleineres Atemvolumen, was die Abgabe der Schwebeteilchen wiederum dämpfen kann.

Wer wen ansteckt

Bei Erwachsenen gilt: 20 Prozent der CoV-Infizierten sind für 80 Prozent der Infektionen verantwortlich. Bekannt sind sie unter dem Begriff „Superspreader“, mit konsequentem Contact-Tracing lassen sie sich in vielen Fällen ausfindig machen. Ein Kind als Ausgangspunkt einer Infektionskette zu identifizieren ist dagegen ungleich schwieriger.

Kinder in einer Volksschule
Reuters/Leonhard Foeger
Wie stark Kinder von der Virusvariante B.1.1.7 betroffen sind, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt

Da die Infektion bei Kindern oft asymptomatisch verläuft, können sie die Eltern unbemerkt anstecken. Bis sich die Erkrankung bei den Erwachsenen bemerkbar macht, sie getestet werden und das Contact-Tracing startet, könne der PCR-Test bei den Kindern bereits negativ ausfallen, so Wagner: „Dann heißt es sogar, die stecken sich nicht an.“

Eine als Preprint vorliegende Studie der staatlichen dänischen Seuchenschutzbehörde (SSI) mit den Daten von mehr als drei Millionen Menschen kam zu dem Schluss, dass mit jedem in einem Haushalt lebenden Kind das Risiko einer Coronavirus-Infektion ansteigt. Wagner plädiert dafür, in Österreich „Haushaltsstudien“ durchzuführen, um Licht ins Dunkel zu bringen. In der Praxis bedeutet das: Wird ein Kind mit einer asymptomatischen Infektion durch Zufall entdeckt, müssen alle im Haushalt lebenden Personen über mehrere Wochen getestet werden.

Mehr als 1.200 Positive bei „Nasenbohrertests“

Am 8. Februar haben die Schulen hierzulande wieder den Präsenzunterricht aufgenommen. Voraussetzung für den Schulbesuch sind regelmäßige Antigen-Selbsttests im vorderen Nasenbereich, besser bekannt als „Nasenbohrertests“. Volksschülerinnen und Volksschüler müssen die Tests ab 15. März nicht mehr zwei-, sondern dreimal pro Woche durchführen. Die restlichen Schulen arbeiten im Schichtbetrieb, mit zwei Tagen Präsenz- und zwei Tagen Distanzunterricht (am Freitag haben alle Fernunterricht).

Vergangene Woche wurden an Österreichs Schulen 1,4 Mio. Schnelltests durchgeführt. 1.247 davon fielen positiv aus (840 bei Kindern und Jugendlichen, 407 bei Lehr- und Verwaltungspersonal). Das entspricht etwa 0,09 Prozent der Getesteten. Die in absoluten Zahlen meisten Fälle wurden bei den Selbsttests in dieser Woche in Wien entdeckt (429), gefolgt von Niederösterreich (209), Oberösterreich (161), die wenigsten in Vorarlberg (19). 13 der insgesamt 5.800 österreichischen Schulen wurden nach positiven Schnelltests ins Distance-Learning geschickt, teilte das Bildungsministerium gegenüber der APA mit.

Im Vergleich zu den Vorwochen sind die Zahlen erneut gestiegen. Zuletzt gab es rund 900 positive Testergebnisse, in der Kalenderwoche sieben waren es rund 500. Das Bildungsministerium und Fachleute der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ), die das Screening wissenschaftlich begleiten, führten den Anstieg gegenüber der APA zum Teil auf das gestiegene Infektionsgeschehen in der gesamten Gesellschaft zurück. Außerdem würden die Schülerinnen und Schüler die Probenentnahme mit zunehmender Übung immer besser beherrschen.

Antigen-Tests mit begrenzter Aussagekraft

Wagner sieht die Antigen-Schultests positiv, verweist aber auf die Grenzen der Aussagekraft der verwendeten Tests. Mit Hilfe der Schnelltests ließen sich viele, aber nicht alle „wirklich Hochinfektiösen“ herausfiltern. Durch die Testpflicht erreiche man auch Kinder aus weniger gesundheitsaffinen Gesellschaftsschichten, in denen die Eltern vielleicht weniger oft die öffentlichen Testangebote nutzen. Die Antigen-Schnelltests sind allerdings viel weniger sensitiv als die bei der Gurgelstudie eingesetzten PCR-Tests. Infizierte und durchaus auch Infektiöse könnten durchs Raster rutschen, so Wagner.

Ein Testkit zum Selbsttesten
APA/Herbert Neubauer
Seit 8. Februar müssen sich Schülerinnen und Schüler mehrmals pro Woche selbst testen

Bei der PCR wird im Labor nach Virusbestandteilen gesucht. Bereits am dritten, vierten Tag nach der Ansteckung kann der Erreger mit dieser Methode nachgewiesen werden. Betroffene haben zu diesem Zeitpunkt meist noch keine Symptome, können aber schon infektiös sein. Antigen-Schnelltests dagegen funktionieren am zuverlässigsten am fünften, sechsten Tag; knapp vor oder häufiger kurz nach dem Auftreten erster Krankheitsanzeichen.

Bei einem positiven Antigen-Schnelltests erscheinen eine Viertelstunde nach dem Auftragen der Probe zwei Striche. Diese 15-minütige Zeitspanne muss laut Wagner unbedingt abgewartet werden. Auch wenn der zweite Strich sehr schwach aufscheine, könne das Ergebnis positiv sein, so der Wissenschaftler. Vorteile der Schnelltests sind der geringere Aufwand und das rasch vorliegende Ergebnis. Bei der PCR dauert es mit Logistik und Auswertung für gewöhnlich einen Tag, bis das Resultat verfügbar ist.

Spiegel, nicht „Motor“

Das deutsche Robert Koch-Institut kam nach der Auswertung von CoV-Ausbrüchen an Schulen zu dem vorsichtigen Ergebnis, dass Schülerinnen und Schüler „eher nicht als ‚Motor‘“ der Pandemie eine größere Rolle spielen. Die „Häufigkeit“, mit der Schulcluster auftreten, stehe aber „in einer engen Beziehung zur Inzidenz in der Gesamtbevölkerung“. „Kinder spiegeln das Infektionsgeschehen in der Allgemeinbevölkerung wider“, sagt auch Wagner, der diesbezüglich auf die Ergebnisse der zweiten Runde der Gurgelstudie im Herbst verweist. Das Infektionsgeschehen in Schulen und in der österreichischen Gesamtbevölkerung bewegte sich damals in einer ähnlichen Größenordnung.

Wolle man die Schulen dauerhaft offenhalten und auf den Schichtbetrieb verzichten, müsse man das derzeitige Testkonzept anpassen. Wo es logistisch möglich sei, sollte auf dreimalige Gurgel-PCR-Tests pro Woche umgestellt werden. Aktuell werden in Volksschulen Klassen nicht in Quarantäne geschickt, wenn nur ein Kind infiziert ist. Bei ihnen sollte Wagner zufolge – wie bereits bei Erwachsenen – bei Auftreten eines Falles auch das Umfeld des betroffenen Kindes getestet werden.

Generell sollten „Klassen bei positiven Fällen mindestens zweimal im zeitlichen Abstand von ein paar Tagen mit Gurgel-PCR durchgetestet werden“. Viel hängt freilich davon ab, wie sich die Zahlen entwickeln. Seit Anfang Februar ist ein deutlicher Anstieg zu sehen, die Inzidenz nähert sich bundesweit der 200er-Marke. „Wenn wir in Österreich in ganz hohe Zahlen reinlaufen, glaube ich nicht, dass wir die Schulen offenhalten können“, so Wagner, „aber ich hoffe, dass man durch konsequentes Testen und Verzicht auf weitere Öffnungsschritte – solange die Inzidenz nicht deutlich fällt – es schafft, sie nicht wieder schließen zu müssen.“